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1983

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Kirchengeschichte: Neuzeit

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 1

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„Immunisierungs- und Widerstandspotential" der von Barth geprägten
Barmer Theologie, das die Gestapo schon frühzeitig beargwöhnte
(S. 174), wird aufgewiesen. Ähnliches gilt freilich auch für die Kirchen
schlechthin, die zumal während der Kriegszeit als unliebsame Konkurrenz
mit systemstörenden Wirkungen eingestuft wurden (vgl. etwa
Roland D. Blaich: Rivalry for ideological Leadership: the German
Churches and National Socialism during the Second World War,
Washington 1975). Insofern gewinnen Implikationen des gruppenüberschreitenden
volkskirchlichen Potentials der „Mitte" einen
größeren Stellenwert, als es herkömmlichen Auffassungen entspricht,
die die Resistenzbedeutung des offiziellen Kirchentums und einer
breiten Volkskirchlichkeit zu sehr bagatellisierten. Die Bedeutung der
Volkskirche wird indes verschiedentlich apostrophiert (z. B. S. 175,
200). Eine gewisse Reserviertheit scheint auch gegenüber den als
„lutherischen Sonderweg" gekennzeichneten konfessionsbezogenen
Formierungsbestrebungen des deutschen Luthertums im Dritten
Reich vorzuliegen (S. 176). Die Beurteilung der Kirchenausschüsse
(als Repräsentanz einer „schweigenden Mehrheit"; S. 178) folgt zeitgenössischem
kritischem Kalkül, wie überhaupt die synthetische religionspolitische
Konzeption des Reichskirchenministers Kerrl nicht
deutlich genug im Kontrast zu den zunehmend dominierenden weltanschaulichen
Distanzierungskräften des NS-Regimes von Kirche
und Christentum gesehen wird. Als ein singuläres Korrigendum
notiere ich: Methodistenbischof Melle fuhr nicht allein, sondern zusammen
mit dem Vertreter der Baptisten Prediger Schmidt und dem
altkatholischen Bischof Kuessen sowie Volksdeutschen Geistlichen in
einer Delegation zur Oxforder Konferenz (S. 182).

Daß der Vf. im Spannungsbogen der Epoche auch den ökumenischen
Aufbruch und die organisatorische Ausformung der Ökumenischen
Bewegung seinem Thema zeithistorisch überzeugend zu integrieren
versteht und schließlich auch die Relevanz des Ökumenischen
Rates der Kirchen in Genf im Blick auf Koordinierung von Widerstandsaktivitäten
wie auch auf die kirchliche Nachkriegsordnung
nachweist, sei abschließend erwähnt.

Das Buch A. Lindts, dessen Literaturbasis auch von Archivstudien
flankiert wird, trägt in besonderem Maße den Charakter eines kirchengeschichtlichen
Fach- und Informationsbuches auch für breitere
zeitgeschichtlich interessierte Kreise. Plastizität der Darstellung, Bündigkeit
des Sachstils, konzeptionelle Ausgewogenheit zeichnen es aus.
Wo eingebrachte Theorieansätze oder singulare Urteile zur Diskussion
herausfordern oder partiell auch Kontroversen auslösen, wird der
Gewinn, der aus der Lektüre zu ziehen ist, nicht in Abrede gestellt
werden.

Leipzig Kurt Meier

Benrath, Gustav Adolf: König Gustav D. Adolf von Schweden (EvD 52, 1982
S. 7-31).

Besch, Günter: Herkunft und Ziele (EvD 52,1982 S. 32—42).

Breymayer, Reinhard: Neue Impulse zur Erforschung Philipp Matthäus
Hahns, Oetingers und Schellings (BWKG 80/81, 1980/1981 S. 299-316).

Dietzfelbinger, Hermann: Landesbischof D. Hans Meiser - Kirchenleitende
Verantwortung 1933 bis 1955 (ZBKG 50, 1981 S. 96-107).

Eberl, Immo: Die Klosterschüler in Blaubeuren 1751-1810 (BWKG 80/81
1980/1981 S. 38-141).

Florey, Gerhard: Predigt eines Salzburger Prädikanten aus dem Jahre 1731
(JGPrÖ97,1981 S. 133-146).

Gollwitzer, Heinz: Vorüberlegungen zu einer Geschichte des politischen Protestantismus
nach dem konfessionellen Zeitalter. Opladen: Westdeutscher Verlag
1981. 61 S. gr. 8" = Rheinisch-Westfal. Akademie der Wissenschaften. Geisteswissenschaften
. Vorträge G 253. Kart. DM 14,-.

Hahn, Walter: Der Augsburger Traktat (Schriften)-Verein (ZBKG 50, 1981
S. 66-79).

Lochman, Jan Milic: Das Ringen um Toleranz in Böhmen und Mähren
(EvD 52,1982 S. 89-99).

Ludwig, Hartmut: „Die Kirche gehört ja nicht uns . . ." Zur Bedeutung der
Gemeinde im Wirken Martin Niemöllers (ZdZ 36,1982 S. 26-30).

Staats. Reinhard: Das Kaiserreich 1871-1918 und die Kirchengeschichtsschreibung
(ZKG 92, 1981 S. 70-96).

Stein, Albert: Zsigmond Varga, ein Wiener Theologiestudent als Opfer des
Faschismus und Zeuge des Evangeliums (JGPrÖ 97, 1981 S. 124-132).

Wiefel, Wolfgang: Neue Einsichten und Sichtweisen. Der Weg Albert
Schweitzers in den Dienst der Pariser Mission (Standpunkt 10, 1982
S. 104-108).

Wirth, Günter: Die Wirkung des „Falles Niemöller" im Exil (ZdZ 36, 1982
S. 23-26).

Dogmen- und Theologiegeschichte

Louth, Andrew: The Origins of the Christian Mystical Tradition.

From Plato to Denys. Oxford: Clarendon Press 1981. XVIII, 215 S.
8 Lw.£ 12.50.

In überaus geglückter Weise verbindet die Arbeit Sachkenntnis und
klare, gut lesbare Darstellung mit einer geistig-geistesgeschichtlichen,
fundamentalen Aussage. Die frühchristliche Auseinandersetzung zwischen
Evangelium und Platonismus-Neuplatonismus wird entfaltet
an ihrer zentralen Stelle, an der Gotteserfahrung, an der Begegnung
mit Gott: The search for immediacy with this object oft the soul's lon-
ging: this would seem to be the heart of mysticism.

Für die geschichtliche wie dogmatische Bedeutung dieser Fragestellung
sei an die Thesen von A. v. Harnack, E. Brunner, A. Nygren
erinnert, die aber auch der dominikanische Gelehrte A.-J. Festugiere
aufgreift: „Wenn die Kirchenväter ihre Gotteserfahrung ,denkeri',
dann platonisieren sie." Das aktuelle Gewicht der Frage sei mit dem
Hinweis aufgezeigt, daß die Begegnung des Christentums mit den religiösen
Strömungen des indischen Subkontinents, mit Hinduismus,
Buddhismus und deren weitverzweigten Verästelungen, die gleiche
oder doch ähnliche Struktur hat wie diese Ur-Begegnung des Evangeliums
mit der platonischen Tradition. Es ist, wie nicht nur die oben
genannten Forscher zeigen, das Aufeinandertreffen des menschlichen
Suchens nach der erfahrenen Einheit mit dem Letzten, mit dem Göttlichen
, und der von Gott hergehenden Offenbarung in Jesus Christus.

A. Louth untersucht die Struktur dieser Begegnung, indem er die
herausragenden Gestalten der damaligen Geschichte in ihrer Auffassung
von „Mystik" zeichnet. In präziser Formulierung, klarer Gliederung
und mit ausgezeichneten Zitierungen wird deren Lehre von
der Gotteserfahrung dargestellt und diskutiert. Ein Schlußkapitel
resümiert und führt weiter. Der Weg führt von Piaton (1-17), Philon
(18-35) und Plotinos (36-51) über Origenes (52-74) zur Orthodoxie
von Nikaia mit Athanasios (77-80) und Gregor von Nyssa (80-97),
zum Beitrag der Mönchstheologie mit Euagrius von Pontikos
(100-113), Ps. Makarios (113-125) und Diadochos von Photike
(125-131), zu Augustinus (132-158) und Dionysios Areopagites
(159-178). Das Kapitel über „Patristische Mystik und Johannes vom
Kreuz" (179-190) zeigt anhand der Dunkelheitserfahrung (in Absetzung
von VI. Lossky und M. Lot-Borodine), daß der Unterschied zwischen
dem ostkirchlichen „Synergismus" und der westlichen Mystik
reiner „Passivität", des reinen Antwort-Seins, nur einer der Sprach-
gebung und Akzentsetzung ist, "a tension within a deeper union".
Das letzte Kapitel faßt zusammen, daß die Kirchenväter zwar in platonischer
Terminologie schreiben, daß aber P. Festugiere mit seiner
Behauptung Unrecht hat, "There is nothing original in the edifice".

Das Konzil von Nikaia zeigt bei allen Beteiligten, Siegern und
Unterlegenen, daß der biblische Schöpfungsbegriff, "the crisis for
early Christian Platonism" (Fr. Ricken), eine klare Trennungslinie
zur platonischen-neuplatonischen Lehre bedeutet. Origenes und
mehr noch der einflußreiche Mönchstheologe Euagrios denken nach
Louth noch jenseits dieser Linie. Bei den anderen Vätern aber hat sich
die voll-christliche Anwendung der neuplatonischen Terminologie
eindeutig durchgesetzt; und zwar verdient diese Theologie des Gros'
der Väter das Attribut „mystisch" ohne Einschränkung. Der Unterschied
zwischen "Patristic mysticism" und "Piatonist mysticism"