Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1983

Spalte:

624-627

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Congar, Yves

Titel/Untertitel:

Der Heilige Geist 1983

Rezensent:

Moltmann, Jürgen

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

623

Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 8

624

Nähe zur Mystik herausgearbeitet (Verweise auf Bernhard Töpfer und
Gert Wendelborn!), ebenso der „potentiell-revolutionäre Charakter"
der Theologie Eckharts (S. 50) und seine „liebende Solidarität"
(S. 45). Hier wäre auf Dietmar Mieth, Christus, das Soziale im Menschen
. Texterschlicßungen zu Meister Eckhart (Düsseldorf 1972) hinzuweisen
, den Borne nicht kennt, obwohl er mit der „Demokratisierung
Christi" bei Eckhart (S. 207) dasselbe meint. Ähnlich ist die Verwandtschaft
mit der „narrativen" Theologie in Mieths Habilitationsschrift
(vgl. meine Besprechung ThLZ 103, 1978 Sp. 889-891), wenn
Borne „Theologie als eine Art Poesie" versteht (S. 11. 147. 238-243
zu Hegel und Blake und sonst. Personen- und Sachregister fehlen leider
). Beginen und Begharden werden wie bei M. Erbstößer und
E. Werner (Ideologische Probleme des mittelalterlichen Plebejertums.
Die freigeistige Häresie und ihre sozialen Wurzeln. Berlin 1960) als
Plebejer verstanden (S. 49 und 67), Jakob Böhme als „Zwischenstation
" zwischen Eckhart und Hegel (S. 51).

Altizers wichtigster Zeuge ist William Blake, der „mit revolutionären
Elementen und der eigenen religiösen Tradition", vornehmlich
mit seinen Ausdrucksmitteln „Poesie, Malerei und Graphik" den
„neuzeitlichen Wandel der Religionsproblematik zu bewältigen
suchte" (S. 95). Bornes eigenständige Bemühung um Blake führt zu
kritischer Distanz gegenüber Aitizer (S. 96), aber auch zu Blake selbst,
was vor allem deren elitäre Tendenzen betrifft (S. 160). Für beide
aber gilt: „Der in der Liebe vollzogene Abschied von jeder unterdrückenden
Macht impliziert die Kritik an einem personalen allmächtigen
Gott" (S. 165). Blake „identifiziert den wahren Gott mit
Jesus und einer neuen Menschheit, dagegen den ,himmlischen Gott'
der Orthodoxie mit Satan" (S. 152-153). Borne nimmt das so auf:
„Der Protest gegen den satanisch gewordenen Gott muß aber erhoben
werden, obwohl selbst das Urchristentum z. T. mit Hilfe eines solchen
Gottesbildes seine Anliegen formulierte." Doch ist das „theologisch
Besondere am Christentum" die Botschaft vom Reiche Gottes. Borne
verweist auf die „klassische Stelle" Mt 25,31 ff, wo der „Mythos des
Weltgerichts" mit der „Sache der Unterdrückten" aufs engste verbunden
ist (S. 156). Borne faßt zusammen: „.. . inhaltlich ist im Einzelnen
Blakes Poesie bedeutend, da sich daraus Elemente für ein heutiges
, von der Radikalität der Sündenvergebung und Liebe ausgehendes
Christentum gewinnen lassen" (S. 165). Damit geht Borne über die
„bürgerliche", rein geistesgeschichtliche Interpretation Blakes durch
Aitizer hinaus (S. 167), verweist aber (S. 168) auf den marxistischen
Auswahlband (W. Blake, Werke, Berlin 1958).

Marxistisch leitet Borne das Kapitel über Hegel ein: „Mit Blake
verbindet Hegel eine gemeinsame historische Situation und eine ähnliche
Art des Reagierens auf sie", während Aitizer geistesgeschichtlich
„eine gemeinsame, über die Jahrhunderte gehende Christusvision"
konstatiert (S. 169), so daß Borne später sagen kann, Aitizer verarbeite
„Hegel in seiner dichterischen Weise christlich-theologisch" (S. 199).
Wie kompliziert und vielschichtig der Gedankengang der Arbeit ist,
zeigt etwa der Ausblick auf die Hegelanalyse: „Es wird dabei um die
Klärung sowohl der Hegelschcn Auseinandersetzung mit der überlieferten
Christologie als auch um Altizers These ihrer Geistesverwandtschaft
mit den erwähnten anderen Strömungen .radikalen Christentums
' und um die Frage ihrer heutigen Relevanz gehen" (S. 169).
Die Beziehungen zu Eckhart, Böhme, Johann vom Kreuz sowie dem
Neuplatonismus hat Hegel selbst gesehen und aufgezeigt. Aber für die
Zeit nach 1801 gilt: „Vor die Alternative zwischen der Liebe im Sinne
Jesu und der bürgerlichen Gesellschaft gestellt, enscheidet sich Hegel
für die letztere" (S. 231). „Der Staat erhält.. . einen göttlichen Rang"
(S. 232). Damit sind die Anknüpfungspunkte „für die späteren faschistischen
Kulturproduzenten in Deutschland und in Italien bei Hegel"
gegeben, während Blake „antifeudal und antibürgerlich in der Tradition
Jesu und der Propheten" dichtet (S. 265). Aitizer ist „noch extremer
idealistisch als Hegel . . . Die Dimension der Gesellschaft und der
Natur taucht noch weniger auf als bei Blake und Hegel" (S. 272). In
Altizers Theologie besteht ein „Mangel an kapitalismuskritischem
Interesse" (S. 281). Die theologische Hegelverarbeitung in der BRD

seit 1945 bleibt nicht frei von Antikommunismus, während andererseits
gegen W. R. Beyer (Hegelbilder, Berlin 1964) daran festzuhalten
sei, daß Hegels Denken „auf Religion beruht" (S. 284).

Das Buch dient dem wissenschaftlichen Nachweis, daß radikales
Christentum einen christlichen Atheismus einschließt. „Solidarität
mit allen Unterdrückten" (Masch.sehr. S. 702) ist ohne Abkehr von
einem Gottesbegriff der Herrschaft und Macht undenkbar. Der Versuch
ist zu wagen, alles „im Sinne . .. der parteilichen Liebe Jesu zu
den Unterdrückten zu vermenschlichen" (S. 275). Das „metaphysische
Geheimnis eines jeden Menschen" (S. 274) bleibt dabei
gewahrt. Praktisch hat die Ökumene die Konsequenzen aus diesem
Nachweis schon längst gezogen, sie hätte sonst viele südamerikanische
und afrikanische Christen wieder ausschließen müssen. Die einzelnen
Kirchen und sog. Freikirchen sind leider noch weit davon entfernt,
radikale und anonyme Christen als Brüder und Schwestern anzuerkennen
.

Druckfehler: S. 195, Z. 12-13 v. o. muß es heißen: im Laufe seiner weiteren
Arbeit. S. 204, Anm. 1 muß es heißen: Karl Löwith statt E. L. S. 309 muß es
heißen: Zahrnt statt Zahrndt.

Zu den Literaturangaben: S. 55, Anm. 1 ist das Erscheinungsjahr der Böhme-
Auswahl i960. S. 173, Anm. 2 ist der Titel Hirsch ungenau angegeben. S. 237,
Anm. 2 und S. 307 fehlt Erik Schmidt, Hegels System der Theologie. Berlin-
New York 1974 (Bespr. v. G. Wendelborn ThLZ 102, 1977 Sp. 835-837).
Sonstige Ergänzungen zum Literaturverzeichnis S. 296-309: W. J. Dobzenkow,
Der heutige protestantische theologische Modernismus in den USA. Moskau
1980 (in russischer Sprache; Hinweis von Jan Vogeler, Moskau). Paul Schulz,
Ist Gott eine mathematische Formel? Reinbek 1977. D. Mieth s. o. im Text. C.
H. Ratschow, Atheismus im Christentum? Gütersloh 1972. G. Wendelborn,
Gott und Geschichte: Der ursprüngliche Verlagsort ist Leipzig. Weitere Veröffentlichungen
des Verfassers: Widerstand und Glück. Betrachtungen zum
Vaterunser. Neukirchen-Vluyn 1982. Bergpredigt und Frieden. Ölten u. Freiburg
i.B. 1982.

Berlin (West) HansUrner

Gössmann, Elisabeth: Die streitbaren Schwestern. Was will die Feministische
Theologie? Freiburg-Basel-Wien: Herder 1981. 142 S. kl. 8' = Herderbücherei.
879. Kart. DM 6,90.

Niesei, Wilhelm: Lobt Gott, den Herrn.der Herrlichkeit. Theologie um
Gottes Ehre. Konstanz: Christliche Verlagsanstalt 1983. 189 S., 1 Porträt 8".
Kart. DM 18,80.

Ruokanen, Miikka: Hcrmeneutics as an Ecumenical Method in the Theology
ofGerhard Ebeling. Helsinki: Luthcr-Agricola-Society 1982. 358 S. 8'= Publi-
cations of Luther-Agricola-Society B 13.

Systematische Theologie: Dogmatik

Congar, Yves: Der Heilige Geist. Aus dem Franz. v. A. Berz. Freiburg
-Basel-Wien: Herder 1982. 510 S.gr. 8-.geb. DM 68,-.

Jedes Ding hat seine Zeit; offenbar auch die theologische Erkenntnis
. Immer wieder drängen sich bestimmte theologische Fragen in den
Vordergrund und ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Es gibt kurzfristige
Modeerscheinungen bei den theologischen Tagesthemen. Es
gibt aber auch langfristige Problemkonstcllationen. Bei ihnen handelt
es sich nicht nur um neue Konzentrationen auf theologische Themen,
sondern auch um einen Wandel in den Grundmustern des theologischen
Denkens und der theologischen Paradigmen überhaupt. Seit
Beginn der Dialektischen Theologie und verstärkt durch den Kirchenkampf
und die Barmer Theologische Erklärung von 1934 stand die
„christologische Konzentration" im Zentrum der evangelischen
Theologie und zu einem guten Teil auch der neueren katholischen
Reformtheologie, die zum 2. Vaticanum führte oder durch dieses
bestimmt ist. Die „christologische Konzentration" war nicht nur die
Zusammenfassung der christlichen Theologie auf das Wesentliche,