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Ausgabe:

1983

Spalte:

39-41

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

The origins and characteristics of anabaptism 1983

Rezensent:

Bräuer, Siegfried

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 1

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Da die Beiträge als allgemeinverständliche Vorträge konzipiert
wurden, lesen sie sich in der Regel gut. Nur der Vortrag von Känels
über Kunz gleitet teilweise ins Erbauliche über. Durch ausführliche
Anmerkungen untermauert, geben sie zugleich den Forschungsstand
der jeweiligen Thematik wieder, wenn sie nicht gar die Forschung
weiterführen. Letzteres gilt in erster Linie für Walders Studie, in der
u. a. die politische Struktur des Kurfürstentums Sachsen, als fürstlichdualistischer
Typ (Fürst und Stände) und des Stadtstaates Bern als
republikanisch-kommunaler Typ (Herrschaften, Städte, Landschaften
, örtliche Verbände) des dualistischen Gliederstaates verglichen
werden. Bei den Auswirkungen der reformatorischen Bewegung auf
die dualistische Struktur liegt das leitende Interesse der Untersuchung.
Für Kursachsen kommt Walder zu der Feststellung: „Der Anteil der
Landstände am Aufbau der protestantischen Landeskirche im Kurfürstentum
Sachsen war sowohl in sachlicher wie in zeitlicher Hinsicht
beschränkt" (481). Der Einfluß erstreckte sich nur auf eine mittlere
Phase. Entscheidend war die enge Verbindung des Hofes (der
Räte) mit den Wittenberger Theologen und Juristen. Im Zuge der Entwicklung
zur „modernen" Staatlichkeit wurden die intermediären
Herrschaften fester in den Staat eingefügt. Die wesentlich ausführlicher
dargestellte Situation und Entwicklung Berns weist trotz der
anderen Verfassungsstruktur auf eine ähnliche Entwicklung hinaus:
„. . . die aus der Reformation sich ergebenden neuen Aufgaben und
Zuständigkeiten und die aus der Glaubens- und Kirchenhoheit hergeleitete
inhaltlich und räumlich erweiterte Gebotsgewalt der Landesobrigkeit
" führte zur stärkeren Einordnung der Zwischenherrschaften
(Twingherrschaften) in den bernischen Territorialstaat (531). Die Ursachen
für das Zurückdrängen der Ansätze zu einer politischen Zusammenfassung
und Organisation der Landschaft seit dem 16. Jh. liegen
nicht allein in der Reformation, sondern in der seit dem Mittelalter
zunehmenden Verdichtung des Lebens, die eine Verdichtung des
Staates verlangte (R. Feller). Im Rahmen dieser gemeineuropäischen
Entwicklung zur „modernen" Staatlichkeit habe Bern dennoch durch
die Reformation wichtige Impulse erhalten (537). - In den anderen
Beiträgen wird mehrfach nachgewiesen, daß die Entwicklung der
Reformation in Bern differenzierter zu sehen ist als das häufig der Fall
war. Die Durchschlagskraft des Schriftprinzips erweist sich auch für
Bern als einer der entscheidenden Faktoren. Mehrfach wird die unterschiedliche
Situation Berns im Vergleich zu Zürich herausgearbeitet.
Zu den Unterschieden gehört auch, daß die Reformation in Bern
„nicht die Tat eines einzelnen Charismatikers, sondern das Phänomen
einer Gruppe" war (94), unter denen der Maler, Schriftsteller und
Politiker Nikolaus Manuel eine hervorragende Stellung einnahm.
Wurde der Leser schon bei den Vorträgen über die Reformation in
Bern mit unterschiedlichen Forschungspositionen konfrontiert (z. B.
Dellsperger und Locher), so ist das bei den Arbeiten über Nikolaus
Manuel weitaus stärker der Fall. Daß über Manuels Autorschaft von
„Ein seltsamer wunderschöner Traum" trotz mehrfacher Darlegung
der Probleme z. B. keine Klarheit zu gewinnen ist, entspricht der Forschungslage
. Des Guten zuviel wird sicher im Blick auf die Deutung
des Namenszusatzes „Deutsch" getan, wenn die Problematik gleich
von mehreren Autoren aufgegriffen wird und Wiederholungen damit
unvermeidlich werden. Im Einzelfall stellen sich zwar Bedenken
gegen manche Formulierungen (vor allem in dem Beitrag von Tardent
über Manuel als Politiker) ein. Aufs Ganze gesehen hat das Manuel-
Kolloquium und somit auch die vorliegende Publikation das Verdienst
, die Bedeutung des Berner Malers, Schriftstellers, Politikers
und „Reformators" stärker als bisher ins Bewußtsein einer breiteren
Öffentlichkeit zu bringen. Druckfehler: 366: Eberlin von Günzburg
statt Eberhard von Günzberg; 399: Aleander statt Alexander.

Berlin Siegfried Bräuer

Lienhard, Marc [Hrsg.]: The Origins and Characteristics of Anabap-
tism / Les Debüts et les Caracteristiques de l'Anabaptisme. Procee-
dings of the colloquium organized by the Faculty of Protestant
Theology of Strasbourg / Actes du colloque organise par la Faculte

de Theologie Protestante de Strasbourg (20-22 February/Fevrier
1975). The Hague: Nijhoff 1977. IX, 245. gr. 8'= International
Archivesofthe History of Ideas, 87. Lw. hfl 97.50.

Während die Züricher Gedenkveranstaltung aus Anlaß des
450. Jubiläums der Täuferbewegung vorwiegend von den Trends der
jüngsten Forschung geprägt war (vgl. Umstrittenes Täufertum
1525-1575. Neue Forschungen, hrsg. von H.-J. Goertz. 2. Aufl. Göttingen
1977), spiegeln die Referate der Straßburger Tagung zum gleichen
Anlaß stärker die Spannung zwischen der herkömmlichen
monogenetischen und der neuen polygenetischen Sicht des Täufer-
tums wider. Im 1. Teil (Ursprünge und Typologie) äußert sich nach
einer knappen Einführung von John H. Yoder in Forschungsdesiderate
zunächst Paul P. Peachy über "The Radical Reformation,
political pluralism, and the Corpus Christianum" (10-26). Seine
Wiederaufnahme der älteren These, das Täufertum einseitig als neuzeitliche
pluralistische Alternative sowohl zum mittelalterlichen
Corpus-Christianum-Gedanken als auch zu Zwingli wird genauso auf
Skepsis stoßen wie das Referat von Kenneth R. Davis Waterloo
"The origins of anabaptism: Ascetic and charismatic elements exem-
pliying continuity and discontinuity" (27^1). Davis hält, ergänzt
durch den charismatischen Faktor, letztlich an seiner bekannten Auffassung
fest, die Täuferbewegung sei "a radicalization and Protestan-
tization . . . of the lay-oriented ascetic reform vision of which Erasmus
is the principal mediator" (41). Instruktiv, aber nicht neu ist der gut
lesbare Überblick über die „Ursprünge und Strömungen des Täufer-
tums in Österreich" von Grete Mecenseffy (42-61). Über Huts
Lehren wäre auf Grund der Arbeit von G. Seebaß mehr zu sagen
gewesen. John S. Oyers/Goshen Versuch, den Kreis derer zu erweitern
, die mit ihren Gedanken und ihrem Verhalten auf das frühe Täufertum
Einfluß nahmen, verdient auch in methodischer Hinsicht
Beachtung: "The influence of Jacob Strauss on the Anabaptists. A
Problem in historical methodology" (62-82). Es wird allerdings weiterer
Forschungen bedürfen, um festzustellen, ob im Falle von Strauß
wirklich von „Einfluß" auf den Grebelkreis gesprochen werden kann
oder ob es mehr seine Kontroverse mit Luther und strukturelle Ähnlichkeiten
in einigen theologischen Ansichten waren, von denen die
frühen Schweizer Täufer beeindruckt waren. Mit James M. Stayers
Beitrag "Reublin and Brötli: The revolutionary beginnings of Swiss
Anabaptismus" (83-102) ist der Höhepunkt des 1. Teils erreicht.
Stayer kann durch eine genaue Quellenuntersuchung erneut nachweisen
, daß die traditionelle harmonisierende Sicht des frühen Schweizer
Täufertums falsch war. Reublin und Brötli, zwei der führenden Persönlichkeiten
aus den Anfängen des Schweizer Täufertums, waren an
den revolutionären Aktivitäten im Gebiet von Zürich und Schaffhausen
beteiligt.

Der 2. Teil des Bd. unter der Überschrift „Orte und Gestalten des
Täufertums" setzt mit zwei Beiträgen über die Täufer und die Großkirchen
ein: Jean Segu y /Paris: Sattler et Loyola: Ou deux formes de
radicalisme religieux aux XVI" siecle (105-125). Richard Stauffer:
Zwingli et Calvin, Critiques de la confession de Schlcitheim
(126-147). Seguy findet eine erstaunliche Ähnlichkeit in einigen
wesentlichen Auffassungen von Sattler und Loyola. In den Hauptzügen
der Kritik Zwingiis und Calvins an den Schleitheimer Artikeln
Michael Sattlers von 1527 herrscht ebenfalls große Ähnlichkeit. Christof
Wi n hörst/Bethel weist, wie bereits in seinem Buch „Täuferisches
Taufverständnis" (Leiden 1976), nach, daß Hubmaiers Tauf-,
Abendmahls- und Kirchenverständnis sich aus einer eigenständigen
Verarbeitung von scholastischer Tradition und Impulsen durch Luthers
Worttheologie entwickelte: „Anfänge und Aspekte der Theologie
Hubmaiers" (148-168). Hans-Werner Müsing/Hamburg hat in
seinem Beitrag „Karlstadt und die Entstehung der Straßburger Täufergemeinde
" (169-195) den unmittelbaren Einfluß des viertägigen
Aufenthalts von Karlstadt in Straßburg (Oktober 1524) wohl überschätzt
. Die schmale Quellenbasis läßt jedenfalls eine zurückhaltendere
Interpretation geraten erscheinen. Mit der relativ toleranten