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Ausgabe:

1983

Spalte:

611-613

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Martin-Palma, José

Titel/Untertitel:

Gnadenlehre 1983

Rezensent:

Peters, Albrecht

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 8

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enthalten wird. Über die Ausgabe im allgemeinen wurde anläßlich der
früheren Bände berichtet. Der Handschriftenbefund hat die Herausgebergenötigt
, von dist. 17 q. 2 an einen ihrer bisherigen Hauptzeugen
(Cod D) zu verlassen, weil er nicht mehr als repräsentativ betrachtet
werden konnte (Vorwort von Oberman p. V).

In diesem Band wird, gemäß der Disposition des Petrus Lombardus,
zunächst die Darstellung der Trinitätslehre weitergeführt (dist. 7-13).
Dist. 14-16 werden zu einer Frage zusammengezogen (Utrum Spiritus
sanctus . .. mittatur vel detur creaturae rationali, vel non ipse sed tan-
tum dona eius). Hier und jn der berühmten dist. 17 finden sich, wie zu
erwarten war, sehr wichtige Überlegungen zur Gnadenlehre. Dist. 17
umfaßt mehr als die Hälfte des Bandes (S. 215-481), aber nur der kleinere
Teil befaßt sich mit der umstrittenen Frage des Lombarden, die
bei Gregor folgende Form erhält: Utrum sit possibile aliquem meri-
torie deum diligere non habendo in se habitum caritatis creatae
infusum (215-250). Die Frage nach dem augmentum caritatis wird in
zwei Quaestionen behandelt (q. 5-6, 418-481). Die übrigen Seiten (q.
2-4, 250-417) sind der Naturphilosophie gewidmet. Diese Quaestionen
über die forma corporalis sind auch als selbständiger Traktat
überliefert (Vorwort p. V.), was Oberman als eine Bestätigung seiner
Annahme auffaßt, daß Gregor auf diesem Gebiet „Wege in die Neuzeit
eröffnet" habe. Das weitere Nachdenken über diese Frage ist
durch die neue Ausgabe erheblich erleichtert worden.

Kopenhagen Leif Grane

Martin-Palma, Jose: Gnadenlehre. Von der Reformation bis zur
Gegenwart. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1980. 199 S. gr. 8' =
Handbuch der Dogmengeschichte. III: Christologie, Soteriologie,
Ekklesiologie, Mariologie, Gnadenlehre, Fasz. 5b. Kart. DM 68,-.

Angeregt durch die ökumenische Öffnung des II. Vatikanischen
Konzils greift dieser Faszikel des katholischen Handbuches weit in die
evangelische Diskussion und auch in den philosophischen Kontext
hinein. Die Skizze der Gnadenlehre bis zum Ausklang des Mittelalters
liegt noch nicht vor. Der Tenor der Darstellung ist: zunehmende
Destruktion der Transzendenz wie Gratuität der Gnade durch die
neuzeitliche Vernunftkritik. Eine von einem Einzelnen kaum zu überschauende
Fülle an Texten und Sekundärliteratur ist straff zusammengerafft
und in einer präzisen Sprache (mit spanischem Kolorit)
geschildert. Für den evangelischen Theologen sind die Ausführungen
zum Streit um M. Bajus und C. Jansenius, zur nachtridentinischen
Scholastik, zur katholischen Neologie und zur Tübinger Schule wie
zum Neuthomismus sicher besonders erhellend; zugleich dürfte eindrücklich
sein, wie sich die Reformation, Orthodoxie, Pietismus und
Aufklärung, aber auch die evangelische Diskussion des 19. und
20. Jahrhunderts im Urteil eines spanischen Katholiken abspiegelt.

Ein erstes Kapitel (S. 7-66) entfaltet das Ringen um Luthers
Neuansatz in der Rechtfertigung bis hin zum Dekret des Trienter
Konzils. Der Einsatz mit Luther (§ 1, S. 7-21) rückt diesen in die Tradition
des Nominalismus und setzt mit seiner Sicht der Erbsünde ein.
Die Christozentrik des Bekenntnisses von 1528, der Katechismen und
Schmalkaldischen Artikel sowie die streng endzeitliche Orientierung
der Rechtfertigung sind nicht erkannt. In den Ausführungen zum
unfreien Willen ist der Unterschied zwischen einem Spielraum zur
Entscheidung und der Freiheit von unserer adamitischen Selbstbehauptung
in all unserem Tun und Lassen nicht reflektiert. Luther
geht hierbei aus vom Doppelgebot selbstloser Gottes- und Nächstenliebe
, wie es allein in Jesus Christus vorgelebt und vorgestorben ist.
Erkannt ist die Umakzentuierung von der Liebe auf den Glauben
(S. 201); nicht gesehen ist freilich Gottes eiferheiliges Andrängen in
Gericht und Erbarmen, in Gesetz und Evangelium, es nimmt der liebenden
Zuwendung des Menschen empor zu Gott den Spielraum und
läßt den Glauben hervortreten, der nach dem Kleinen Katechismus
durchaus die Liebe in sich schließt. Die anderen Reformatoren,

Melanchthon, Zwingli und Calvin" (§2, S. 21-34), sind adäquater
erfaßt, sie lassen sich leichter in Scholastik und Humanismus einfügen
; doch vor allem für Calvin hätte die Christozentrik unterstrichen
werden müssen; auch berücksichtigt die These, daß die Sicht
des „liberum arbitrium" den eigentlichen Unterschied zwischen den
Reformatoren begründe (S. 29), die Mißverständnisse und Äquivoka-
tionen nicht genügend. Hilfreich ist die Charakteristik der vortridenti-
nischen Kontroverstheologie (§3, S. 35-48); hier wird gezeigt, wie
sich erst allmählich die neuralgischen Punkte herauskristallisieren
und mit der Confessio Augustana die Annäherungsversuche einsetzen
unter der Chiffre einer duplex iustitia; zwei Sprechweisen, eine stärker
intuitiv-phänomenologische und eine mehr deduktiv-analytische, treten
gegeneinander (S. 43); drei Aspekte in Luthers „Ontologie des
Glaubens" werden zurückgewiesen, die Vertrauensdimension, der
relationale Charakter und das Drängen auf Gewißheit (S. 44). Die
relativ behutsame Skizze des Gesprächs auf dem Trienter Konzil (§ 4,
S. 48-66) müßte einmal genauer verglichen werden mit den Darstellungen
von Wilhelm Dantine im Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte
, Bd. II Göttingen 1980, S. 437-464 und von Otto Hermann
Pesch in der Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung
, Darmstadt 1981, S. 168-221. Das zweite Kapitel ist den innerkatholischen
und innerprotestantischen Kämpfen zwischen Orthodoxie
und Aufklärung gewidmet (S. 67-124). Wichtig für uns evangelische
Theologen ist die Einführung in den Streit um Augustin, der
durch Michael Bajus und Johannes Hessels inauguriert und durch
Cornelius Jansenius den Jüngeren vertieft wurde (§§ 5-6, S. 67-93);
das anvisierte augustinische Denkmodell und dessen Spannung zur
scholastischen Tradition werden gut sichtbar, auch hier müßte man
einmal den indirekten Verbindungslinien zum reformatorischen Ansatz
sorgfältiger nachgehen. Die Skizze der scholastischen Gnadenlehre
nach dem Tridentinum (§7, S. 93-108) gipfelt in der Kontroverse
zwischen Jesuiten und Dominikaner „de auxiliis" (S. 103 ff), der
durch die Dekrete des Hl. Offiziums mehr niedergeschlagen als ausgetragen
wurde. Die Jesuiten in Salamanca feierten den gewissen Sieg
des Molinismus mit einem Stierkampf. Ein geraffter Überblick über
den Wandel der reformatorischen Rechtfertigungslehre durch Orthodoxie
, Pietismus und Rationalismus hindurch (§8, S. 108-124)
schließt das zweite Kapitel ab; er läßt sich ergänzen und präzisieren
durch die Darstellung des Rezensenten in der Einführung in die Lehre
von Gnade und Rechtfertigung, S. 22-264.

Das dritte Kapitel schlägt den Bogen von der Aufklärung bis zur
Gegenwart (S. 125-199). Einleitend wird unter Verweis auf Namen
von Bacon und Descartes bis zu Goethe und Schiller (S. 126-131) die
„Krise des europäischen Geistes" beschworen und nach einem
genaueren Verweis auf Kant, Malebranche und Leibniz (S. 131-136)
das Nachgeben der Theologen von einem nur formalen Rationalismus
bis zur radikalen Vernunftkritik an der Gnadendimension skizziert.
Neben den evangelischen „Theologen der Lessingzeit" tauchen hier
weithin unbekannte katholische Namen auf wie P. B. Zimmer,
M. Dobmayer, B. Stattler, S. Schwarzhueber, J. Geisthüttner, J. Dan-
zer, G.Hermes (S. 137-143); die Revolution in der Philosophie
zeugte auch katholische „Mitläufer des neuen Geistes" (S. 141). Die
Epoche zwischen Sturm und Drang und Hegels klassischer Synthese
(§ 10, S. 144-169) wird als eine Einheit vorgestellt; auch hier erscheinen
zunächst Namen von Philosophen wie Fichte, Hegel, Baader,
Schelling, Jacobi und Fries (S. 145-151), eingefügt ist Schleiermacher.
Neben die stärker spekulativen evangelischen (J. K. W. Vatke,
A. E. Biedermann) und katholischen Theologen (A. Günther,
J. Frohschammer) und die unterschiedlichen Vermittlungsversuche
tritt auf evangelischer Seite der Neuansatz der Erweckung, auf katholischer
die Neuscholastik eines M. J. Scheeben, des „katholischen
Gnadentheologen kat'exochen der modernen Zeit" (S. 156) sowie die
Tübinger Schule (S. 156-162). Mit den Links-Hegelianern radikali-
siert sich die Krise des europäischen Geistes. „Positivismus, Marxismus
, Historismus, Lebensphilosophie, Existentialismus bestimmen
nun die Kultur bis hin in das 20. Jahrhundert" (S. 162). Hieraus resul-