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Ausgabe:

1983

Spalte:

589-591

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Stuhlmacher, Peter

Titel/Untertitel:

Versöhnung, Gesetz und Gerechtigkeit 1983

Rezensent:

Haufe, Günter

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589

Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 8

590

arbeitet hat. Das Kap. IV über die Menschensohnlogien in der Quelle
ist nur ein kleines neugeschriebenes Fragment von drei Seiten, das
jedoch in einem Anhang ergänzt wird. .

Der Leser hat Verständnis dafür, daß Mgr. Coppens (wie diesem
auch selbst einsichtig war) die Kraft fehlte, alles neu zu überarbeiten,
um dem Buch eine einheitliche Gestaltung zu verleihen. Aber auch so
ist die Zusammenstellung wertvoll, da man persönliche Stellungnahmen
zu fast allen Problemen der Menschensohnforschung erhält.

Der Vf. äußert sich zu den umstrittenen Gleichnissen im Henoch-
buch, die er immer noch als eine jüdische vorchristliche Komposition
ansieht. Seiner Ansicht nach hat Jesus den Ausdruck „Menschensohn
" wirklich als Titel angewandt. Er scheint dabei direkt an
Dan 7,13 angeknüpft zu haben. Besonders die Logien über das Kommen
des Menschensohnes in der Endzeit werden als authentisch angesehen
. Einige Abschnitte des matthäischen Sondergutes (13,27-43;
19,28; 25,31) scheinen dem Vf. von der jüdischen Tradition des
Buches der Gleichnisse abhängig zu sein. Der Kontext, in dem Jesus
das Wort „Menschensohn" anwendet, handelt nicht von der Zukunft
Israels als einer Art von "corporate personality", sondern vom vollständigen
Anbruch der göttlichen Königsherrschaft.

Der Vf. zögert, zu behaupten, daß schon der irdische Jesus den Titel
.Menschensohn' als Vorausnahme der künftigen göttlichen Königsherrschaft
angewandt habe. Noch schwieriger scheint es ihm, zu
beweisen, daß Jesus, im Bewußtsein seiner Rolle als leidender Gottesknecht
, den „Zwölfen" den bevorstehenden paradoxalen Weg des
Menschensohnes angekündigt habe.

Das Kapitel über Paulus ist negativ: die paulinische Tradition enthält
den Menschensohn-Titel nicht. Im Kapitel über Johannes wird
gezeigt, wie der Vf. des Evangeliums den Titel eingeführt hat, um Jesu
gesamte Existenz zu umreißen. Eine zusätzliche Note beschreibt die
verschiedenen Schichten im Johannesevangelium, in denen der Menschensohn
vorkommt. Im Kapitel über die Logien-Quelle behauptet
Mgr. Coppens, daß die jüdisch-christliche Gemeinde in dieser Schrift
Jesus ganz bestimmt den Menschensohn-Titel zuschrieb. Das Kapitel
über Markus schließlich zeigt die redaktionelle Einführung des Menschensohn
-Titels im Text, sieht jedoch vier Logien als von Jesus selbst
herstammend an: Mk8,38; 9,12; 13,26; 14,62. Im Sondergut von
Matthäus und Lukas glaubt der Vf. noch andere authentische Jesus-
logien finden zu können, ohne sie jedoch näher zu untersuchen. Daß
Jesus zögerte, sich immer ausdrücklich dem Menschensohn gleichzustellen
, hängt damit zusammen, daß er sich dessen bewußt war, auf
dieser Erde nicht vollständig die Funktionen des Menschensohnes
auszufüllen.

Man kann bei dieser persönlichen Synthese den Willen finden,
keinen extremen Lösungen zu huldigen. Manche Forscherwerden das
wahrscheinlich bemängeln. Jedoch die Vorsicht, mit der hier historische
Fragen erörtert werden, kann auch die Erfahrung einer jahrelangen
Forschung widerspiegeln, die viele Moderichtungen erlebt
hat, die sich als unbegründet erwiesen haben.

Lund Rene Kiefler

Stuhlmacher, Peter: Versöhnung, Gesetz und Gerechtigkeit. Aufsätze
zur biblischen Theologie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
1981. 319 S. gr. 8 Kart. DM 29,80.

„Die von Tübingen ausgehenden biblisch-theologischen Versuche
sind in den letzten Jahren dankbar begrüßt, aber auch massiv und
z. T. sogar in der Absicht kritisiert worden, dem angeblich in diesen
Versuchen wirksamen wissenschaftsfeindlichen pietistischen Ungeist
die Maske vom Gesicht zu reißen." Dieser erste Satz des Vorwortes
beschreibt sehr genau den aktuellen Hintergrund, auf dem der hier
anzuzeigende, nicht ohne Grund Hartmut Gese in Dankbarkeit
gewidmete Sammelband entstanden ist. Er dient der berechtigten
Selbstdarstellung einer Position, die im Widerstreit mit der kritischen

Exegese bultmannscher Prägung wie mit einem a-wissenschaftlichen
Biblizismus einen dritten Weg beschreiten und so einen Ausweg aus
einem vielerorts beklagten Dilemma anzeigen möchte.

Der Band vereinigt 13 Aufsätze, von denen in dem Zeitraum von
1970 bis 1980 in verschiedenen Zeit- und Festschriften 10 bereits
publiziert worden sind, während drei erstmalig erscheinen. Sie alle
möchten besagtem Dilemma mehr oder weniger dadurch beikommen,
daß sie Grundlinien einer biblischen Theologie des Neuen Testaments
sichtbar machen, die in der Lage sind, beiden genannten
Gegenfronten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Charakteristisch
für diese Grundlinien ist einerseits der enge Anschluß an die
alttestamentlich-jüdische Tradition, andrerseits der Nachweis weitgehender
sachlicher Kontinuität zwischen vorösterlichem Jesus, vor-
paulinischen Missionsgemeinden und Paulus. Der Rückgriff auf Hellenismus
, Gnosis und ein vom Alten Testament isoliertes Frühjudentum
erscheint historisch und theologisch als Fehlgriff. Dem aufmerksamen
Leser wird dabei nicht entgehen, daß der Autor anfänglich
noch vertretene kritische Positionen zunehmend aufgibt, um so zu
einem erstaunlich harmonischen Gesamtbild der theologischen Entwicklung
des Urchristentums zu gelangen, in das sich lediglich die
„synthetische Gesetzestheologie des Matthäusevangeliums und des
Jakobusbriefes" (162) nicht recht einfügen will. Als markantestes Beispiel
sei die unterschiedliche Beurteilung der Echtheit von Mk 10,45
genannt. Während der Vf. 1975 („Jesus als Versöhner") das Lösegeld-
Logion „nach dem derzeitigen Forschungsstand" gemeinsam mit den
Leidensweissagungen und den Abendmahlsworten auf den deutenden
Glauben der Gemeinde zurückführt, korrigiert er sich 1980 (,,Existenzstellvertretung
für die Vielen: Mk 10,45 [Mt 20,28]") ausdrücklich
dahin, daß das Wort „vielmehr (in der Grundaussage) authentische
Jesusüberlieferung" sei (29), die vor allem von Jes 43,3f und
Dan 7,9-14 her gedeutet werden will: Jesus selbst prägt das überkommene
Bild vom Mehschensohnrichter im Sinne des stellvertretend für
sein Volk sterbenden Gottesknechtes um. D. h.: sogar bei dem Thema
der heilsmittlerischen Bedeutung des Todes Jesu gibt es zwischen vor
und nach Ostern keine Diskontinuität.

Es ist deutlich, daß St. mit diesem Programm hinter seinen Lehrer
Ernst Käsemann auf den anderen großen Tübinger Adolf Schlatter
zurückgreift. Tatsächlich stellt er Käsemanns Versuch, die Heilsbedeutung
des Kreuzes betont vom ersten Gebot her zu bestimmen,
mit Nachdruck „Achtzehn Thesen zur paulinischen Kreuzestheologie
" (1976) entgegen, die nicht nur die Bedeutung des Sühnetodmotivs
für Paulus und die schöpfungstheologische Dimension seiner Kreuzestheologie
herausarbeiten, sondern darüber hinaus in dem Satz gipfeln
: „Paulus verkündigt, was Jesus selbst gewollt und gelebt hat"
(207). Umgekehrt beschließt den ganzen Band geradezu programmatisch
ein Referat zu „Adolf Schlatter als Bibelausleger". Es leidet
kaum Zweifel, daß St. Schlatters Absicht, vom Text aus zu der Gottes
Handeln bekundenden Geschichte vorzudringen, in differenzierter
Weise aufgreifen und weiterführen möchte.

Da die Mehrzahl der Aufsätze dem kundigen Leser bereits bekannt
ist, seien die übrigen schon früher publizierten Arbeiten zur biblischen
Theologie hier nur kurz genannt. In der Reihenfolge ihres Erscheinens
sind dies: „Das Ende des Gesetzes" (1970), „Er ist unser
Friede" (1974), „Zur neueren Exegese von Rom 3,24-26" (1975),
„Zur paulinischen Christologie" (1977), „Das Gesetz als Thema
biblischer Theologie" (1978). Hermeneutisch wichtig ist die ausdrückliche
Zurückweisung des Versuchs, paulinische Spitzensätze
gegen die von Paulus aufgegriffene christologische Tradition auszuspielen
(211). Im übrigen kehren wesentliche Thesen und Motive der
genannten Beiträge in jenen drei Aufsätzen wieder, die hier erstmals
vorgelegt werden und sich offensichtlich zu einem Gesamtbild ergänzen
sollen, das eindrucksvoll sichtbar macht, wohin das bibeltheologische
Interesse des Autors jüngstens tendiert. Wesentliche Akzente
dieses Gesamtbildes seien im folgenden hervorgehoben.

Die Themen der drei Aufsätze lauten: „Die neue Gerechtigkeit in
der Jesusverkündigung", „Jesu Auferweckung und die Gerechtigkeits-