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Ausgabe:

1983

Spalte:

542-543

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Titel/Untertitel:

Der altrussische Kondakar' 1983

Rezensent:

Onasch, Konrad

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 7

542

(80-94) mit den umstrittenen Belegen für einen die Wassertaufe komplettierenden
Akt der .Geistmitteilung' (Firmung!) umgeht; deutschsprachige
katholische Theologen pflegen sich hierzu gelegentlich sehr
viel vorsichtiger und auch kritischer zu äußern.

Ahnliches gilt auch für den Abschnitt über die Eucharistie
(147-288). Es kann natürlich heilsam sein für einen mitteleuropäischen
Lutheraner, wenn er Zeuge wird, wie hier die Schwerpunkte
sehr viel anders gesetzt werden als er es gewohnt ist - so wird der lutherische
Gottesdienst (von Karlstadt bis Mahrenholz) auf reichlichen
vier Seiten abgehandelt. Was er jedoch aus der Feder des bewährten
Ökumenikers G. Wainwright über jüngste liturgische Reformen -
wirklich unter weltweitem Blickwinkel! - erfährt, ist dagegen höchst
instruktiv und vermag sein Gesichtsfeld erheblich zu* erweitern
(280-288).

Abschnitte über die Ordination (289-349), das Stundengebet
(350-402) und das Kirchenjahr (403-431) schließen sich an. Ähnlich
wie die vorhergehenden Abschnitte folgen auch sie einem historischen
Aufriß und stellen abschließend jüngste ökumenische Entwicklungen
dar, wobei naturgemäß die englischsprachige Welt besondere Beachtung
findet. Im Abschnitt über das Kirchenjahr bildet der Heiligenkalender
einen eigenen Schwerpunkt (419-431). Ein letzter Abschnitt
des zweiten Teils faßt unter der Überschrift "The Setting of the Litur-
gy" (432-492) Darstellungen zusammen, die sich mit dem gottesdienstlichen
Zeremoniell, mit Musik und Gesang im Gottesdienst
(J. Gelineau), der christlichen Hymnodie, der Sprache des Gottesdienstes
, dem architektonischen Rahmen der Liturgie und der liturgischen
Kleidung befassen.

Der abschließende dritte Teil des Buches-aufs ganze gesehen ebenso
schmal wie der einleitende Beitrag zur Theologie des Gottesdienstes
- möchte wohl dem Eindruck begegnen, hier werde Liturgik
nahezu ausschließlich von einem historischen Ansatz her betrieben
und gelehrt. Er steht unter der Überschrift "Pastoral Orientation" und
enthält einen Beitrag von G. Wainwright, der sich mit der Bedeutung
der Liturgiegeschichte für das Verständnis des Gottesdienstes befaßt
(493-509), und eine Abhandlung von D. H. Tripp zum Thema
"Worship and the Pastoral Office" (510-532) - eine Art pastoraltheologisches
Gegenstück zum einleitenden theologischen Beitrag: Im
Mittelpunkt steht das Verhältnis von Gottesdienst und geistlichem
Amt ("Worship and the Pastorate"); dabei kommt letzterem die Aufgabe
zu, Gottesdienst als ein Tun der Kirche und damit als christlichen
Gottesdienst zu identifizieren ("to identify a liturgical act as the
Church's act", 518). Das geistliche Amt wird als Vollzug des Hirtenamtes
Christi beschrieben; es kann deshalb nur in einer gewissen
,ChristusähnIichkeit' ("Christlikeness", 5200 recht ausgeübt werden.
Die Schwierigkeiten, die sich in einer säkularisierten Welt für den Zugang
zum Gottesdienst und die .Liturgiefähigkeit' der Zeitgenossen
ergeben, kommen zur Sprache, werden m. E. aber zu rasch mit dem
Hinweis auf die grundsätzliche .Fremdheit' des christlichen Gottesdienstes
und mit ein paar historischen Beispielen (mit antiaufklärerischer
Tendenz, 514) zugedeckt. Immerhin wird in diesem Zusammenhang
die Bedeutung der .Laien' ("laity ") für den Gottesdienst hervorgehoben
. Weitere Themen^die Tripp behandelt, betreffen das Verhältnis
von Gottesdienst und Kirche ("Worship and the Body", 521 ff)
und von Gottesdienst und Gesellschaft ("Worship and Secular Society
", 528 ff).

Ein abschließender Blick auf den einleitenden theologischen Beitrag
rundet das Bild: J. D. Crichton folgt hier durchgängig theologischen
Denkmustern, wie sie in den Umkreis der Liturgiekonstitution
des II. Vatikanischen Konzils (und der ihr zuzuordnenden
theologisch-liturgischen Bewegung) gehören, und er hat stets auch
seine anglikanischen Gesprächspartner im Blick. Er entwickelt eine
heilsgeschichtliche Theologie des Gottesdienstes: Liturgie ist Vollzug
des Pascha-Mysteriums Christi; in ihr vergegenwärtigt sich Christus
selbst in seinem Leiden, Sterben und Auferstehen und ermöglicht so
den Gläubigen eine Teilhabe an der Wirklichkeit ("reality") seines
Erlösungswerkes. Wie die Liturgiekonstitution betont auch C. den

dialogischen Charakter der Liturgie: Im Gottesdienst antwortet der
Mensch auf die rettende Zuwendung Gottes. C. verteidigt die Mysterientheologie
O. Casels und vertritt ein Verständnis von 'anamnesis',
dem in anderen Teilen des Buches (so z. B. S. 49) gelegentlich widersprochen
wird: Indem die feiernde Gemeinde die vergangenen Heilsereignisse
,vor Gott' erinnert, wird ihre rettende Kraft hier und jetzt
gegenwärtig (26). Die Kirche, die Gottesdienst feiert und die .anamnesis
' begeht, tut dies freilich in ihrer Eigenschaft als .Sakrament
Christi': In ihr handelt Christus selbst als Haupt seines Leibes, der sie
in sein Selbstopfer (das er ,als Haupt des menschlichen Geschlechts'
dem Vater darbringt, 20!) hineinnimmt. Im ganzen: C. entfaltet ein in
sich geschlossenes innerkirchlich-liturgisches (vielleicht sollte man
besser sagen: kultisches) Sprach- und Weltbild, das von theologischen
Fragestellungen, wie sie immerhin in den letzten Jahrzehnten auch im
angelsächsischen Bereich erörtert wurden, kaum berührt erscheint
(gelegentliche Ausfälle gegen die "demythologizers" können eine solche
Auseinandersetzung kaum ersetzen, 18). Christlicher Gottesdienst
in 'splendid isolation': Das ist kein Weg, den wir auf dem Kontinent
mitgehen können.

Leipzig Karl-Heinrich Bieritz

Dostäl, Antonin, u. Hans Rothe [Hrsg.]: Der altrussische Kondakar'.

Auf der Grundlage des Blagovescenskij Nizegorodskij Kondakar'
hrsg. unter Mitarb. von E. Trapp. Tom. II: Blagovescenskij Konda-
kar' (Facsimile). V, 260 Faks. S. 1976. DM 100,-. Tom. III: Das
Kirchenjahr 1: September bis November. XII, 197 S. 1977.
DM 110,-. Tom. IV: Das Kirchenjahr 2: Dezember bis März. VI,
227 S. 1979. DM 150,-. Tom. V: Das Kirchenjahr 3: April bis
August. IV, 183 S. 1980. DM 140,-. Gießen: Schmitz, gr. 8' = Bausteine
zur Geschichte der Literatur bei den Slawen, Editionen (3).
Bd. 8,2-5.

Der Kondakaf (grch. Kondakarion) gehört zu den liturgischen
Büchern des ostkirchlichen Kultus. Er enthält, nach dem mit dem
1. September beginnenden und mit dem 31. August schließenden Kirchenjahr
, die Kontakien-Texte. Ein Kontakion (kondakion, russ. kon-
dak) besteht aus dem Titel, einem Proöimion und einem grch. Oikos
(russ. ikos) genannten Vers. Im 6. Jahrhundert als erste Hochform der
byzantinischen Kirchendichtung entstanden, besaß das Kontakion
bis zum Bilderstreit weit mehr Troparien (Verse) und eine entsprechend
kompliziertere Struktur. Erst naeh dem Bilderstreit wurden
beide auf die drei obengenannten Einheiten reduziert. Entsprechend
der Bezeichnung für die Liedform wird ihre Notation (Neumen) Kon-
dakariennotation genannt. Die byzantinische Kondakariennotation
wurde in Rußland bereits im 11. Jahrhundert übernommen. Der älteste
und relativ gut erhaltene altrussische Kondakaf ist der Blagovescenskij
Kondakaf aus dem 11./12. Jahrhundert mit Neumen über
dem Text. Lediglich zwei andere Handschriften (der Textkondakar
Pogodins, 12. Jh. und der sog. Tipografskij Ustav, 11. Jh.) sind möglicherweise
älter. Der besondere Wert der altrussischen Musikhandschriften
besteht darin, daß sie eine durch den Bilderstreit-entstandene
große Lücke an neumierten byzantinischen Handschriften, die von
den Ikonoklasten vernichtet worden waren, dadurch annähernd zu
schließen helfen, indem sie der Musikforschung Rückschlüsse auf das
verlorengegangene Notationsmaterial erlauben. Das große Verdienst
der Herausgeber (und des Verlages) besteht darin, daß sie in einem
aufwendigen Editionsunternehmen den bisher nicht veröffentlichten
Blagovescenskij Kondakaf einer breiten wissenschaftlichen Öffentlichkeit
zugänglich gemacht haben, auch wenn sie auf eine Behandlung
der Neumen verzichteten. Der byzantinistische und slavistische
Musikologe ist überdies durch die vorzügliche Faksimileausgabe in
die Lage versetzt, sich mit der Materie zu beschäftigen. Die Gesamtausgabe
hat folgenden Aufbau: Bd. I: Einführung. Initienverzeichnis.
Indices; Bd. II. Blagovescenskij Kondakaf (B). Faksimileausgabe; Bd.
III. Das Kirchenjahr 1: September bis November. Dieser Bd. enthält
zugleich die notwendigsten Erstinformationen der Gesamtausgabe;