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1983

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Systematische Theologie: Allgemeines

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 7

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schränkt, sie zieht sich vielmehr auch schon deshalb durch alle hindurch
, weil in der heutigen Situation die herkömmlichen Grenzen
zwischen den Kirchen überall durch theologische Probleme und Polarisierungen
überschnitten werden. Dies zeigt sich schon im ersten Teil
der Sammlung, in dem bestimmte geschichtstheologische Themen berührt
werden. Drei Beispiele daraus seien kurz angedeutet: Eine vorsichtige
Korrektur nimmt Ratzinger an dem Verständnis der Kirche
als Sakrament vor, wie es in der Konstitution „Lumen Gentium" auf
dem Vatikanum II. (übrigens mit ähnlichen Konsequenzen auch auf
der 4. Vollversammlung des Ökumenischen Rates in Uppsala 1968)
formuliert worden ist. Auf der einen Seite möchte Ratzinger den Begriff
Sakrament wieder stärker an die einzelnen Sakramente und die
darin begründete und erneuerte Gemeinschaft von Gott und Mensch
binden; auf der anderen Seite grenzt er sich gegenüber einem politisierten
Universalismus ab und betont: „Das Sakrament, genannt Kirche
, stellt nicht direkt die weltliche, politische Einheit der Menschen
her; das Sakrament ersetzt nicht die Politik, und die Theokratie in
welcher Form auch immer, ist ein Mißverständnis" (56).

In ähnliche Richtung weisen die vorsichtigen Korrekturen, die an
Karl Rahners These von den „anonymen Christen" angebracht werden
. Abgewiesen wird eine Identifikation von Weltgeschichte und
Heilsgeschichte, durch die das Besondere des Christentums in das Allgemeine
von Menschheit und Welt aufgehoben wird. „Spirituell aber
läuft diese Verschmelzung von Allgemeinem und Besonderem, von
Geschichte und Wesen, von Christsein und Menschsein ,wie es ist' auf
eine Selbstbestätigung des Menschen hinaus: Christsein ist Selbstannahme
" (174).

Ähnliche Probleme erblickt Ratzinger dort, wo in unserer Zeit
evangelische und katholische Theologie sich unter dem Konzept der
Heilsgeschichte - dazu wird an die klassische Bezeichnung ,oikono-
mia' und ,dispensatio' erinnert - begegnen. Das theologische Problem
wird dort gesehen, wo mit einer Unterscheidung von Historie und Geschichte
der Glaubensinhalt ganz durch den Glaubensvollzug absorbiert
wird. Der Begriff „Mitte des Evangeliums" soll zu einer Klärung
beitragen. R. bezieht ihn auf die Auferstehung, und zwar in dem
Sinne, daß darin das ,an sich' mit dem ,für mich' verbunden wird,
ohne daß eins vom anderen getrennt werden kann. Gegenüber dem
allenthalben dominierenden Historismus ist eine solche „Theologie
der Auferstehung" nicht nur ein notwendiges Korrektiv, sondern Erinnerung
an eine unverzichtbare Grundlage. Am Rande sei jedoch
vermerkt, daß der Begriff „Mitte des Evangeliums" entgegen verbreiteter
Annahme nicht reformatorisch ist. Denn dort ist die „Mitte der
Schrift" das Evangelium, in dem Christus als der Auferstandene selbst
gegenwärtig ist.

Die unmittelbar die ökumenische Begegnung betreffenden Beiträge
beginnen mit einer ökumenischen Phänomenologie. Vf. beschreibt
„zwei Grundtypen von Trennung" und entsprechend „zwei unterschiedliche
Einheitsmodelle". Der erste Typ bezieht sich auf die
nicht-chalcedonensischen Kirchen, von denen zu sagen wäre, daß
über der Trennung in einer christologischen Randfrage die strukturelle
Einheit der Kirche nicht zerstört worden sei (204). Trotz möglicher
Bedenken von orthodoxer Seite möchte R. auch die Trennung
von 1054 so beurteilen. In der Reformation hingegen sieht er einen
anderen Typ der Kirchenspaltung, „dessen theologische Wurzel bis
Augustinus zurückreicht". Die Ursache ist wie beim Donatismus
darin zu sehen, daß „die Kirche schließlich nicht als Garant, sondern
als Gegner des Heils" erfahren wird (204). Die Folge ist eine Zerstörung
der strukturellen Einheit bzw. der ekklesialen Struktur.

In beiden Richtungen betont R., daß eine Erneuerung der Kirchengemeinschaft
nicht über kirchenpolitische Maximalforderungen laufen
dürfe, sondern nur über eine Einheit in der Wahrheit. Daher heißt
es in der einen Richtung: „Rom muß vom Osten nicht mehr an
Primatslehre fordern, als auch im ersten Jahrtausend formuliert und
gelebt wurde." Gegenüber der Reformation wurde in diesem Beitrag
1977 der Vorschlag von V. Pfhür zu einer „Anerkennung der CA als
katholisch" durch eine kompetente Stimme an die Öffentlichkeit gebracht
, verbunden mit dem. Hinweis auf die Möglichkeit einer „korporativen
Vereinigung in der Unterschiedenheit" (212). Die späteren
„Klarstellungen zur Frage der Anerkennung' der CA durch die
katholische Kirche" dürften aber nunmehr endgültig gezeigt haben,
daß dieser Weg nicht weiterführen wird.

Dieser Eindruck verstärkt sich auch in den Überlegungen zu dem
Thema „Überlieferung und Successio apostolica". Es ist völlig zutreffend
, wenn der „Ordo" nicht nur als Einzelthema, sondern im Zusammenhang
mit der Grundlagenproblematik der Gestalt des Christlichen
gesehen wird (262). Eindrucksvoll sind zweifellos auch die Veränderungen
, die sich im Amtsverständnis der Römisch-Katholischen
Kirche seit dem Tridentinum bis heute vollzogen haben. Offenbar
unterstützt der Kardinal jene Auffassungen, in denen die Jurisdiktionsgewalt
des kirchlichen Amtes von der Weihegewalt her bestimmt
werden soll, und vor allem wird das Amtsverständnis aufs
engste mit dem Verkündigungsauftrag und dem Verkündigungsgeschehen
verbunden. Leider wird allerdings auch hier noch der
Unterschied zwischen dem römisch-katholischen und dem reformatorischen
Amtsverständnis durch Sakramentalität und Funktionalität
bezeichnet. Es ist offensichtlich im zwischenkirchlichen Gespräch
schwer deutlich zu machen, daß auch nach reformatorischer Auffassung
unter dem Auftrag der Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung
das Amt durchaus einen sakramentalen Charakter hat. Ferner
ist daran zu erinnern, daß es ursprünglich in der Reformation
nicht um einen Konflikt im Amtsverständnis ging, sondern um einen
Konflikt um die rechte Amtsführung. Dies betrifft durchaus die
Grundlagenproblematik der Kirche.

Einmal mehr sind alle diese Beiträge ein eindrucksvolles Beispiel,
wie die Theologie in der ökumenischen Bewegung dazu beitragen
kann, die „Katholizität als Formalstruktur" zur Geltung zu bringen.
Vor allem die im 3. Teil behandelten Themen machen diese Gemeinsamkeit
im Grundsätzlichen deutlich, und zwar gerade auch dort, wo
es um gemeinsame innerkirchliche Gegensätze geht. Dies betrifft jene
bekannten Polarisierungen, die dort entstehen, wo sich Theologen
den Forderungen der Zeit stellen und ihnen dabei oft genug erliegen.
Das gilt für die Begegnung der Theologie mit den Erfahrungswissenschaften
ebenso wie für die kirchliche Stellungnahme zu sozialpolitischen
Themen. Drei Thesen über die Einheit von Glaube, Einfalt
und Vernunft (354ff) geben bedenkenswerte Hinweise zu einer
rechten theologischen Einstellung, wenn es in der zweiten heißt:
„Christlicher Glaube widerspricht der Gleichsetzung von Bildung
und Aufklärung wie der Vorstellung von der Aufklärung als einem
Heilsweg" (356).

Was R. als Theologe in kirchenleitender Verantwortung vertritt,
läuft gewiß manchen lautstark herrschenden Meinungen zuwider.
Allerdings ist vieles von dem, was er sagt, durch jüngste Entwicklungen
und manche enttäuschten Hoffnungen hinter kurzatmigen Programmen
bestätigt worden. So klar die von ihm vertretene Position ist,
macht R. aber auch immer wieder deutlich, daß der Aktionismus
nicht einfach durch Reaktion, sondern nur durch theologische
Reflexion überwunden werden kann. Theologische Reflexion aber
muß in die Tiefe der tragenden und bindenden Fundamente führen.
Das wäre eine „ökumenische Fundamentaltheologie", die an I Kor
3,11 ausgerichtet ist und auf diesem Fundament mit ihren Bausteinen
zur Erbauung der Gemeinde beiträgt.

Erlangen Reinhard Slenczka

Bläser, Peter: Paulus und Luther über „Gottes Gerechtigkeit" (Cath 36, 1982
S. 269-279).

Dittmer, Uwe: Das Verständnis vom Reich Gottes in Theologie und
Gemeinde (Die Christenlehre 35,1982 S. 325-331).

Fries, Heinrich: Vom Umgang mit dem Wort in unserer Zeit-in der Sicht der
Theologie (Univ. 37,1982 S. 565-570).

GinBler, Joachim: Evangelium und weltliches Schwert. Zur Zwei-Rciche-
Lehre Luthers (Diss. theol. München 1982).