Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1983

Spalte:

515-517

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Sonne, Hans-Joachim

Titel/Untertitel:

Die politische Theologie der deutschen Christen 1983

Rezensent:

Meier, Kurt

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

515

Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 7

516

Wie auch aus anderen Veröffentlichungen, so zur kirchlichen Zeitgeschichte
, deutlich wird, sieht M. Greschat die legitime Bedeutung,
die dem Christentum in der Neuzeit bleibt, in kritisch begleitenden
Innovationen innerhalb der sich wandelnden Gesellschaft, deren
Funktion indes nicht personalistisch eingegrenzt und ebensowenig
leitbildhaft kulturprogrammatisch bevormundend sein darf, sondern
auf soziale Gerechtigkeit zielt. Daß dies noch am ehesten von kleineren
Gruppen und Einzelexponenten praktiziert wurde, obschon
auch deren Begrenztheit und Zeitbedingtheit gesehen wird, ist deutlich
. Eine inhaltliche Identifikation mit ihren sozialreformerischen
oder sozialutopischen Leitbildern erfolgt demnach nicht. Ein stetes
Aufmerken auf den gesellschaftlichen Wandel gilt als Grundkategorie,
die den positionellen Hintergrund der Geschichtsinterpretation dieses
kenntnisreichen Buches bestimmt.

Leipzig Kurt Meier

Sonne, Hans-Joachim: Die politische Theologie der Deutschen Christen
. Einheit und Vielfalt deutsch-christlichen Denkens, dargestellt
anhand des Bundes für deutsche Kirche, der Thüringer Kirchenbewegung
„Deutsche Christen" und der Christlich-deutschen
Bewegung. Göttingen: Vandenhoeck& Ruprecht 1982.278 S. gr. 8'
= Göttinger Theologische Arbeiten, 21. Kart. DM 45,-.

Von der Überlegung ausgehend, man werde der deutschchristlichen
Bewegung nicht voll gerecht, „wenn man ihren völkisch-religiösen
Gedanken - so diffus sie sein mögen - nur eine zur Klärung kirchenpolitischer
Zusammenhänge unumgängliche, sporadische Beachtung
schenkt" (10), legt H.-J. Sonne eine ideologiekritische Studie vor. Es
handelt sich um seine Göttinger theol. Promotionsschrift (Referenten:
Anneliese Sprengler-Ruppenthal und Hans-Walter Krumwiede).
Mancherlei seltenes authentische Material und ihm sonst schlecht
zugängliche Primärliteratur hat er durch Kontakte zu ehemals prominenten
Deutschen Christen erhalten. Ein kleiner Dokumentenanhang
bringt u. a. Korrespondenzen Wolf Meyer-Erlachs, seinerzeit praktischer
Theologe und Rektor der Universität Jena, mit NS-Zentral-
instanzen und demonstriert damit exemplarisch Enttäuschungs- und
Konfliktsituationen auch führender Deutscher Christen mit dem NS-
Regime. Für die ereignisgeschichtliche Seite werden einschlägige
Spezialliteratur und neuere kritische Gesamtdarstellungen zu Rate
gezogen, obschon die Organisationsgeschichte nur dort angedeutet
wird, wo sie für das Verständnis der Ideologiegeschichte unverzichtbar
ist (vgl. 75 u. ö.). Der etwa die Hälfte des Buches ausmachende
Anmerkungsapparat bietet neben den sorgfaltigen Belegen und weiteren
Zitaten, die den Text (1-124) entlasten, kritische Würdigung der
Literatur und auch gelegentlich bedachtsame Kontroverse (so im
Blick auf die Interpretation von E. Hirsch und P. Althaus bei W. Tilg-
ner, Volksnomostheologie und Schöpfungsglaube, Göttingen
1966).

Kap. 1 („Die religiöse Volksidee der Deutschen Christen") versucht
den „nationalprotestantischen Rahmen" und die „theologische und
ideologische Basis" abzustecken. Die Linien zurück zum Aufbruch
der Befreiungskriege werden angedeutet, der Rekurs auf die rassische
Überfremdung des Volksgedankens gegen Ende des 19. Jahrhunderts
wird etwas stärker konturiert. Gleichwohl versteht sich die Arbeit
nicht als Darstellung dieser Rezeptionsvorgänge. Doch wird wiederholt
intensiv auf die Kriegstheologie des ersten Weltkrieges hingewiesen
und - besonders bei den Nationalkirchlern und den Christlich-
Deutschen - deren Einwirkungsgrad bedacht (23, 81, 84f, 89, 102
u. ö.). Der Ideologiebegriff wird „in seinem ursprünglichen, wertneutralen
Sinn als Bezeichnung für eine Einstellung gebraucht, die
ihrem Wesen nach sozialpolitisch und nicht theologisch ist" (138
Anm. 2). Im „deutschchristlichen Volksdenken" mischen sich demgemäß
„theologische und ideologische Motive": „das Volk ist die
Ordnung, vor der alle anderen Bedingungen menschlichen Zusammenlebens
verblassen. Daß den Völkern göttliche Offenbarungsqualität
zugesprochen wird, gründet in der theologischen Position von
der Selbstbezeugung Gottes außerhalb Christi" (16). Da die „revelatio
generalis" zu den Hauptthemen der protestantischen Theologie
zwischen den beiden Weltkriegen gehöre, ergibt sich dem Autor als
heuristisches Grundprinzip eben diese Fragestellung: „Die theologische
Dimension des evangelischen Kirchenkampfes erschließt sich,
indem die verschiedenen Antworten auf diese Frage gegeneinander-
gestellt werden" (16). Einschränkend wird konstatiert, „daß die Lehre
von dem universalen Offenbarungshandeln Gottes nicht - wie vielfach
, oft in der Nachfolge Barths, geschehen - für politische Irrtümer
verantwortlich zu machen ist. Tillich und Brunner sind prominente
Gegenbeispiele" (16). Die inhaltlichen Differenzen der allgemeinen
Offenbarung markieren den Standort der deutschchristlichen Gruppierungen
gegenüber der nichtchristlichen Gläubigkeit (25). Dadurch
wird eine ideologiekritisch plausible, graduell kontrastierende Abgrenzung
von dem sehr vielschichtigen a-christlich orientierten völkischen
Bereich jener Jahre möglich.

Die Analyse des Gedankenguts und der Zielstellungen der Vorläufer
und wesentlichsten integralen Bestandteile der Glaubensbewegung
Deutsche Christen (Kap. 2: Bund für deutsche Kirche; Kap. 3:
Kirchenbewegung Deutsche Christen; Kap. 4: Christlich-deutsche
Bewegung) ist übersichtlich gegliedert und durchaus repräsentativ
belegt. Die Deutschkirchler werden unter dem Begriff „deutschvölkische
Religionstheorie" in ihrem Anliegen gewürdigt: „Im Gegensatz
zur Christlich-deutschen Bewegung bekundet die Deutschkirche
oftmals ihre Nähe zu deutsch-religiösen Strömungen, denen sich viele
von ihr später anschließen" (25). Die Thüringer Kirchenbewegung
DC wird vom deutschkirchlichen Typ abgehoben, ihre (enger als bei
Scholder verstandene) „politische Theologie" hebt sich vom Rassen-
biologismus ab, der illusorisch die Sünde negiert; im Kampf gegen die
dialektische Theologie rückt sie indes mitunter in die Argumentationslinie
der Deutschgläubigen ein und zeigt nicht selten, „daß sie die
Erkenntnis der göttlichen Bezeugung in den Völkern von der Christusoffenbarung
lösen" kann (24f). Die Thüringer DC tendieren in
ihrer Mehrheit „eher zur deutschkirchlichen als zur christlichdeutschen
Meinung über den Offenbarungscharakter des Volkes"
(25). Die organisatorisch von 1931 bis 1933 bestehende Christlichdeutsche
Bewegung erhält als faktisch stärker konservativ („neukonservativ
") orientierte Bewegung das Prädikat „Geschichtstheologie"
für ihre Volkskonzeption zugeteilt: „Sie umfaßt theologisch und
politisch so unterschiedliche Geister wie die deutschchristlichen
Größen Hirsch und Wieneke einerseits und Rendtorff und v. Kleist-
Schmenzin, die den Weg in die Bekennende Kirche bzw. den politischen
Widerstand gegen den NS-Staat finden, andererseits" (101).
Bei ihnen „dominiert das Bekenntnis zur Offenbarungsqualitit der
Historie. Seinetwegen gilt Geschichtsbezogenheit als oberstes Gebot
theologischer Lehre und christlicher Predigt" (101).

Diese idealtypische Profilierung wird quellenanalytisch nicht ohne
konkreten Aufweis der Affinitäten und der Variationsbreite dem nicht
weiter erörterten Feld des deutschen Nationalprotestantismus zugeordnet
, in dem verwandte Gedanken indes auch vorhanden waren
und der damit den Zugang zu dem als „nationaler Aufbruch" verstandenen
nationalistischen Trend in der Endphase der Weimarer
Republik ermöglichte, in dem die NSDAP sich als die dominante
Kraft erwies. Daß die Arbeit sich auf die genannten Bewegungen
beschränkt und die stärker kirchenpolitisch orientierte Reichsbewegung
DC und ihre Fortsetzungsorganisation der Luther-Deutschen
ausklammert, liegt an dem theologiegeschichtlichen Ansatz, dem sich
die verhältnismäßig homogene Typik der je spezifischen drei Gruppierungen
, zumal in ihrem Frühstadium, leichter erschließt, als der
pluriforme Aufmarschbereich der Glaubensbewegung DC im Jahre
1933, dem sich die genannten Bewegungen damals angeschlossen
hatten, der aber eine viel breitere Palette theologischen Einstellungsverhaltens
zu integrieren versuchte (man denke an Gogarten u. a.).
Auch die innerhalb der Reichsbewegung DC vornehmlich seit der
Kirchenausschußzeit beginnenden Versuche theologischer Reform