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Ausgabe:

1983

Spalte:

503-505

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kahlefeld, Heinrich

Titel/Untertitel:

Die Gestalt Jesu in den synoptischen Evangelien 1983

Rezensent:

Roloff, Jürgen

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 7 .

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(483-487). Auch die Rolle, die ortsfeste Anhänger Jesu für das Bewahren der
Jesus-Überlieferungen gehabt haben können, wird behandelt (487^91), und im
Zusammenhang damit die Rolle, die schriftliche Notizen beim Traditionsprozeß
gespielt haben können (491 -498).

In einer kurzen Zusammenfassung (499-502) zeichnet der Vf. seine Totalschau
des Traditionsganges von Jesus - „dem messianischen Lehrer der
Weisheit" - zu den Evangelisten. Hierbei hat es sich nicht um „eine wild
wuchernde, volkstümliche Überlieferung, sondern um bewußt gepflegte Lehrtradition
*' gehandelt - in erster Linie getragen von ergebenen Jüngern. „Man
darf dann die synoptische Tradition mit der berechtigten Hoffnung befragen,
daß sie uns darüber Auskunft geben kann, wer Jesus war und was er wollte". -
Nach dem langen Literaturverzeichnis (503-568) folgt ein Stellen- und Sachregister
(569-602, 603-614).

Rainer Riesners Untersuchung stellt eine außerordentlich wichtige
Arbeit dar, die aller Beachtung wert ist. Der Vf. schreibt in irenischem
und sympathischem Geist, mit Weisheit und imponierender Belesenheit
. Die Fragen werden klar und geschickt behandelt. Die Argumentation
ist äußerst zielbewußt: kaum einmal läßt der Vf. sich ein Indiz
oder eine Auslegungsmöglichkeit entgehen, die seine Auffassung
stützt. Des öfteren heißt es, dies „muß" so und so gewesen sein, was
dazu führt, daß die Darstellung nicht an allen Punkten in gleicher
Weise überzeugt. Da nun aber apriorische Skepsis, souveräne Unecht-
ErJdärungen und kühne Hypothesen in der Evangelienforschung so
lange hoch im Kurs standen, während elementares Zutrauen zu dem
Material dem Exegeten zweifelhaftes Ansehen einbrachte, ist es an der
Zeit, daß die Balance wieder hergestellt wird.

Sicher werden sich viele Forscher dazu inspiriert fühlen, das Totalbild
, das Riesner präsentiert, zu prüfen. Vielleicht bleiben uns jetzt
weltweite Generalisierungen dessen, was „mündliche Tradition",
„mündliche Literatur", „oral composition" u. ä. ist, erspart, ebenso
wie lose Behauptungen, daß die Art und Weise der Rabbinen, zu
tradieren, eine isolierte akademische Spezialität und reine Innovation
gewesen sei, die erst im 2. Jh. n. Chr. eingeführt wurde. Und vielleicht
werden wir auch von der einfachen Parole verschont, daß das nachösterliche
Kerygma im Verhältnis zur Tradierung konkreter Jesus-
Überlieferungen zeitlich primär war. Was wir jetzt brauchen, ist eine
nuancierte und sehr detaillierte Diskussion des äußeren Verlaufs des
Tradierungsprozesses, der Form, des Inhalts und des Quellenwertes
der einzelnen Traditionen. Das Vergleichsmaterial kann noch deutlicher
bloßgelegt und ausgenutzt werden, indem die Ergebnisse, die
bisher gewonnen wurden, gesichtet und ergänzt werden. Die Entscheidung
muß jedoch letzten Endes einer genauen Detailanalyse des vorliegenden
Evangelienstoffes selbst vorenthalten bleiben.

Riesners Dissertation ist eine historische Untersuchung. Man sollte
ihr daher nicht mit theologischen Einwänden begegnen. Aber auch
rein historisch gesehen erscheint es relevant und wichtig, zu fragen, ob
nicht Glaube und Wirksamkeit des Urchristentums nach Ostern die
Tradierung und die Tradition stärker beeinflußt haben als Riesners
Buch zeigt. Welche Konsequenzen ergaben sich daraus, daß das
Urchristentum Jesus dienen wollte, nicht nur als der göttlichen Weisheit
, sondern auch als dem Versöhner und lebendigen Herrn? Hier
bleibt noch viel zu tun übrig. Ein interessanter Aspekt der Frage nach
der Kontinuität zwischen Jesu Lehre und dem Kerygma vom gekreuzigten
und auferstandenen Herrn kommt meiner Meinung nach zum
Vorschein, wenn man die Rolle studiert, die das s''ma' für Jesus und
das Urchristentum gespielt hat. Hierauf geht jedoch Riesner in seinem
feinen und materialreichen Buch nicht ein.

Lund Birger Gerhardsson

Kahlefeld, Heinrich: Die Gestalt Jesu in den synoptischen Evangelien.

Frankfurt/M: Knecht 1981. 264 S., 8'. Geb. DM 34,-.

Heinrich Kahlefeld hat dieses Buch, das er als Fortsetzung seiner
früher erschienenen biblischen Meditationen „Lectio brevis" und
„Orientierung am Evangelium" konzipiert hatte, nicht mehr fertigstellen
können. Bei seinem Tod (5. 3. 1980) lagen hierfür lediglich

Manuskripte, Entwürfe und verschiedenartige Materialien - vor allem
Tonbandaufzeichnungen von Vorträgen aus den letzten Lebensjahren
- vor. Einzig das Kap. III (Begegnungen) war so weit abgeschlossen,
daß es die Gestalt erkennen ließ, die Vf. dem gesamten Werk hatte
geben wollen. Im Einvernehmen mit dem Oratorium des heiligen
Philipp Neri in München, dem Kahlefeld angehörte, und unter Mitarbeit
des Nachlaßverwalters Franz Schreibmayr haben Agnes Bohlen
und Ingeborg Klimmer dieses Material redigiert und in die vorliegende
Gestalt gebracht. Der Aufriß war durch die Gliederung einer Würzburger
Vortragsreihe vom Januar 1979 vorgegeben. Deutlich spürbar
sind jedoch formale und stilistische Brüche, die auf die Uneinheit-
lichkeit der Vorlagen zurückzuführen sein dürften. So sind einzelne
Abschnitte (z. B. Kap. I) ganz im Stil des exegetischen Fachvortrags
gehalten, während andere, den Absichten des Vf. für dieses Buch
näherkommend, eine stärker meditativ-betrachtende Sprache sprechen
. Auch die Hinweise zur Meditation, die vermutlich als Abschluß
jedes Kapitels vorgesehen waren, sind nur teilweise ausgeführt
worden.

Trotz alledem erweckt dieses Buch nicht den Eindruck eines Fragments
. Es stellt sich vielmehr dar als eine theologische Interpretation
der synoptischen Jesusüberlieferung von eindrucksvoller Geschlossenheit
, die aus der Vielzahl der bereits vorhandenen Jesusbücher
durch ihr unverwechselbares Profil herausragt. Kahlefeld gelingt es
nämlich weitgehend ohne Bruch, die historisch-kritische Analyse in
den Dienst der theologischen Interpretation zu stellen. Er begnügt sich
nicht damit, zu zeigen, daß auch das kritisch mehr oder weniger
gesicherte Minimum der authentischen Jesusüberlieferung noch für
die Erstellung eines Bildes der Erscheinung Jesu ausreicht, das dem
glaubenden Christen etwas zu sagen hat, sondern er will deutlich
machen, daß solche Analyse den Glauben bereichert und darum
unaufgebbar ist: „Das Element historisch-kritischer Exegese muß in
unserer Arbeit drinstecken. Dahintersteht nicht Bosheit oder Ungläu-
bigkeit, wie manche meinen, vielmehr verlangt es die Sorgfalt gegenüber
der Wahrheit. .. wenn man sorgfältig kritisch arbeitet, kommt
etwas Großartiges zutage. In dem Stoff, der dann freigelegt wird, läßt
sich die reine Gestalt Jesu erkennen" (S. 18). Dabei ist die kritische
Haltung Kahlefelds ohne Kompromiß. Er erhält sein radikales Urteil
auch an Punkten aufrecht, zu denen sich viele Neutestamentier heute
vorsichtiger äußern, etwa wenn er Jesus den Gebrauch sämtlicher
Hoheitstitel - auch des Menschensohnprädikats - abspricht (S. 35ff)
oder wenn er in Zweifel zieht, ob Jesus seinen Tod vorausschauend in
seiner Verkündigung reflektiert habe: „Wir können vermuten, daß
Jesus überhaupt nichts vorgeplant hat, sondern seinen Dienst getan,
seine Aufgabe erfüllt hat, ohne zu fürchten, daß daraus für ihn Leiden
werden könnte" (S. 214).

Der Aufbau des Buches ist unkonventionell. Anders als die meisten
Jesusbücher setzt es nicht mit der Verkündigung von der Gottesherrschaft
ein, um dann Jesu Gesetzesinterpretation, seine Taten und
seinen Lebensausgang darzustellen. Kahlefeld stellt vielmehr das
Handeln Jesu an den Anfang, wenn er gliedert: Taten Jesu (Teil I) -
Die Rede Jesu (Teil II) - Der Weg Jesu (Teil III). Die Begründung
dafür gibt der ausführliche Einführungsteil, in dem, nach einer grundsätzlichen
Besinnung über Art, Umfang und Rekonstruktionsmöglichkeit
der Jesustradition, Lebensform, Auftreten und Lehrweise Jesu
dargestellt werden. Hier wird die Nähe Jesu zu den at.lichen Propheten
und seine Distanz zu den Gesetzeslehrern betont. Und zwar
setze Jesus „die ganze prophetische Weisung für die Gerechtigkeit in
der Welt voraus", sein eigener prophetischer Auftrag sei jedoch
„anders angesetzt und begrenzt", er ziele „auf die Wiederherstellung
und das Lebendigwerden des Gottesverhältnisses" (S. 49). Jesus lehre
nicht grundsätzlich und systematisch, sondern er vermittle, darin
Sokrates ähnlich, Einsichten nur im konkreten Augenblick und von
der jeweiligen Begegnungssituation bestimmt. Ja, Vf. geht - m. E.
unbegründetermaßen - so weit, die Authentizität sämtlicher Jesus
zugeschriebener Bezugnahmen auf biblische Texte zu bestreiten
(S. 530-