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Ausgabe:

1983

Spalte:

28-30

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Grant, Robert McQueen

Titel/Untertitel:

Christen als Bürger im Römischen Reich 1983

Rezensent:

Matthiae, Karl

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 1

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Am schwierigsten ist die Auseinandersetzung mit dem letzten Aufsatz
des Bandes, der Rechenschaftsablegung Schliers über seine Konversion
(1955). Sie ist zunächst schwierig, weil Schlier in vielem Recht
hat. Ich bin mit ihm darin einig, daß Christus zwar weit mehr als Vorbild
und Glaube zuerst Freude und Dank und Vertrauen, nicht Gehorsam
ist, daß es aber auch eine typisch protestantische Abneigung
gegen die Rede von Vorbild und konkreter Nachfolge gibt, die nicht
neutestamentlich ist. Vielleicht ist auch wahr, daß sie merkwürdigerweise
oft gepaart ist mit einem Mangel an „barmherziger Weite und
Menschenfreundlichkeit", die der Katholik nach Schliers Meinung
eher besitzt, „und sei es auch nur, daß er sie sich selber gegenüber
anwendet"! Auch darin bin ich mit Schlier einig, daß Glaube gewiß
mehr ist als Zustimmung zu bestimmten Glaubenssätzen, daß es aber
wiederum eine protestantische Angst davor gibt, die dem Neuen
Testament nicht entspricht. Zusammenfassend meint Schlier, der
Protestantismus tue schwer daran, an die Fleischwerdung des Logos
zu glauben, in der doch alles Irdische zum Träger des Christus werden
kann, Wasser, Brot und Wein wie in Sätze fixierte Worte. Das verleiht
nach ihm freilich keine securitas, die vergäße, daß „der Glaube
. . . Bedingung der Wirkung des Sakramentes zum Heil" ist (S. 262,
„Menschenbild des N T"), wohl aber die Sicherheit des Angebotes
Gottes. Freilich wäre zum ersten zu sagen, daß Gal 5,22 eben nicht,
wie Schlier S. 264 zitiert, von den „Früchten des Geistes" spricht, sondern
von der einen „Frucht" eines begnadeten Lebens, in der die
Sonnen- wie die Schattenseiten in ein neues Verhältnis zu Gott
gekommen sind. Beim zweiten wäre zu fragen, ob man wie S. 262 Joh
6,56 zitieren kann („Wer mein Fleisch zerbeißt. . .", was angesichts
des Fehlens von iodieiv bei Johannes und neben 13,18 wie auch mit
Mt 24,38 eine fragliche Übersetzung ist!), ohne darauf hinzuweisen,
daß 6,29.35.47f von einem Essen des Lebensbrotes gesprochen ist, das
im Glauben geschieht, und daß es nach V. 63 der Geist ist, der Leben
schenkt, während das Fleisch nichts nütze ist. Ob man V. 56 als spätere
Redaktion ansieht oder (wie ich eher meine) als Zitat traditioneller
Formeln, jedenfalls müßte auf die Spannung zwischen Rede und
Redeschluß hingewiesen werden.

Noch schwieriger wird das Gespräch, weil Schlier, jedenfalls 1955
noch, dem evangelischen Partner, trotz „einer letzten, verborgenen
Gemeinsamkeit" wenigstens mit Barth, Bultmann und Heidegger, die
kirchliche Zugehörigkeit abspricht, (S. 270f, wie er übrigens auch kein
Israel neben dem „Israel Gottes", der Kirche, anerkennt, S. 180, was
neben Rom 9-11 doch schwer vertretbar ist). Gibt es denn jene „immerwährende
Identität der Kirche mit sich selbst" im Sichtbaren? Gewiß
sind „die Evangelien (und das NT überhaupt, E. Sch.). . . nur als
Auslegung des ,Urwortes' Jesu Christi durch den Heiligen Geist im
Glauben der Kirche (zu) begreifen" und hat eine Kritik, die Lukas nur
im Schatten des Paulus sieht und auch Paulus auf einige Kernsätze zusammenstreicht
, Exegese „ad absurdum geführt" (S. 275-277). Aber
schon im NT müssen ja die Sätze, in denen „sich der Glaube fixiert"
(S. 279), immer neu gesagt werden, wie es Schlier selbst an Rom l,3f
zeigt, wo er, was möglich ist, zwischen „Zweistufenchristologie" und
paulinischem Verständnis noch eine weitere Entwicklungsstufe sieht
(S. 650- Das zeigt doch, wie verschieden „Gottessohn" verstanden
wurde. Auch die Menschensohnworte können schon in Athen nicht
mehr wiederholt werden, weil sie etwas ganz anderes aussagten als in
Jerusalem, und die „geistgewirkten . . . Hymnen, die fixiert sind" (S.
281), bleiben eben nicht fixiert, sondern werden z.B. schon Kol
1,15-20 sehr verändert weitergegeben, etwa so, daß Christus vom
Haupt des Weltleibs zum Haupt der Gemeinde wird. Gewiß ist das
„Ausschöpfung einer und derselben Substanz"; aber wer E. Schille-
beeckx' (katholische) Christologie gelesen hat, der weiß, wie stark die
dogmatischen Sätze, die es im NT durchaus gibt, neu formuliert worden
sind und werden müssen. Dann bricht der Gegensatz aber nur an
dem Punkt auf, wo wir entweder meinen, daß eine sichtbare, institutionelle
Kirche die Garantie besitzt, daß dieses Neusagen innerhalb
ihrer Grenzen richtig, außerhalb falsch erfolge, oder daß Gott das
neue Verständnis gelegentlich auch außerhalb der Grenzen verschiedener
(!) Institutionen „Kirche" schenke, daß also wahre Kirche hier
wie dort zu finden ist, zuzeiten auch an sehr merkwürdigen Orten, wo
wir sie nicht vermuteten. Dann ist auch der Gehorsam gegen die apostolische
Tradition, den es im NT sicher gibt, nicht zu leisten, ohne
daß man wirklich versteht, wozu man Amen sagt, wie gerade Paulus
betont (1 Kor 14,16), wobei die Übersetzung nicht einem besonderen
Amt vorbehalten bleibt.

Liegt die Schwierigkeit des Sichverstehens vielleicht auch daran,
daß Schlier evangelische Theologie sehr einseitig in Bultmanns (und
Heideggers) existentialer Interpretation sieht, in deren Gefolge „die
Transzendenz Jesu Mythos ist und Wahrheit sich höchstens in der
Frage nach ihr ereignet" (S. 170 im Aufsatz über den Geist bei Johannes
)? Vermißt er deswegen etwas von der Fleischwerdung des Logos in
der Geschichte? Aber betont nicht auch er weithin die immer gleichbleibenden
(existential zu interpretierenden) Wahrheiten? So beherzigenswert
Schlatters Kritik an historischer Methode (S. 25, „Wer ist
Jesus?"), so entscheidend die Auferstehung Jesu („innerhalb der Geschichte
", S. 41) ist, so wenig scheint es mir genug, nur auf die spätere
kanonisch-kirchliche Interpretation Jesu hinzuweisen (S. 27), ohne
die zentrale Bedeutung des geschichtlich „Zufälligen" im Leben und
Sterben Jesu zu betonen und ihr ihren Platz anzuweisen. Aber das
alles soll nicht verdecken, was ich von H. Schlier (seit dem Proseminar
bei ihm 1932/33 und in diesem Buche wieder) gelernt habe. Aber er
schreibt ja auch vom „Übersetzen" als ,,eine[r] gefährliche[n] Fahrt an
jenes Ufer, da das Ereignis vor Anker liegt" (S. 8).

Männedorf (Zürich) Eduard Schweizer

Grant, Robert M.: Christen als Bürger im Römischen Reich. Aus dem

Amerikan. v. M. Mühlenberg. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
1981. 234 S. 8' = Sammlung Vandenhoeck.

Schröder, Heinz: Jesus und das Geld. Wirtschaftskommentar zum
Neuen Testament. Karlsruhe: Badenia 1978. XVI, 311 S.8

In seinem Buch, das zuerst in San Francisco unter dem Titel "Early
Christianity and Society" erschien, sucht Robert M. Grant, Professor
für NT, altchristliche Literatur und Geisteswissenschaften an der
Universität Chicago, „das Leben der Christen in seinen alltäglichen
praktischen Aspekten zu rekonstruieren" (S. 9). Seine Ausführungen,
die sich an geschichtlich interessierte Leser wenden, gliedern sich in
verschiedene Themenkreise, wie Stellung zum Staat, Arbeit und
Beruf, Grundbesitz, Privateigentum, Almosen, Abgaben und Steuern.
Der Autor zieht dazu neben dem NT zahlreiche Textstellen aus der
Antike heran, um auf diesem Hintergrund das Verhalten der Christen
zu konkreten alltäglichen Fragen zu verdeutlichen.

Nachdem Grant anhand des vorhandenen Qucllcnmaterials festzustellen
suchte (Kap. 1), wie weit die Christen im Römischen Reich
innerhalb der ersten Jahrhunderte verbreitet waren (wobei er jedoch
erst für die Mitte des 3. Jh. überhaupt Zahlenangaben macht) - und
welche Einstellung sie zu den einzelnen Kaisern hatten (Kap. 2),
untersucht er die politischen Verhältnisse jener Zeit in Palästina, was
Jesus mit „Herrschaft Gottes" aussagen wollte und wie sich schließlich
die Kirche zu einem „Staat im Staat" entwickelte. Anschließend
schildert er, wie sich Juden und Christen zu den vom Staat geforderten
Steuern stellten (Kap. 3). Dabei kommen auch die Geschichte vom
Zinsgroschen sowie die Tempelsteuer zur Sprache. Weiterhin zeigt er
Parallelen zwischen Privilegien und Befreiungen von Dienstleistungen
bei heidnischen Priestern (vor allem in Ägypten) und christlichen
Geistlichen (seit der Herrschaft Konstantins). Im Abschnitt „Arbeit
und Beruf (Kap. 4) kommt Grant zu dem Ergebnis, daß es durch die
Christen zu einer wirklichen Veränderung bei der Einstellung zu den
verschiedenen Berufen innerhalb der Gesellschaft nicht kam - auch
nicht gegenüber den Sklaven. Denn bei den Stoikern und anderen
Gruppen begegnet eine ähnliche Einstellung zur Arbeit wie bei den
Christen; es waren auch nahezu die gleichen Berufe, die bei Christen,