Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1983

Spalte:

493-494

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Fishburn, Janet F.

Titel/Untertitel:

The fatherhood of God and the Victorian family 1983

Rezensent:

Langer, Jens

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

493

Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 7

494

wjrd bei einem Vergleich mit dem „Theologischen Fach- und Fremdwörterbuch
", Berlin 1978 (Lizenzausgabe), deutlich. Letztgenanntes
Buch hat nicht nur insgesamt mehr Stichwörter, sondern geht in
seinen Erläuterungen schon wesentlich weiter. Aber nichtsdestoweniger
ist es verdienstvoll, einen von der Anklage dieses Buches
abgehobenen Schlüssel für den Zugang zur Sprache in Theologie,
Kirche (und Judentum) angeboten zu bekommen.

Als Beispiel für m. E. sehr gelungene Kurzerklärungen seien die
Ausführungen zur existentialen Interpretation zitiert: „sie geht davon
aus, daß es im Wandel der Zeiten eine allg. sich durchhaltende Grundbefindlichkeit
der menschl. Existenz gibt,... von R. Bultmann für die
theol. Exegese bzw. das Verstehen bibl. Texte übernommen; danach
gilt es, die Grunderfahrungen der bibl. Texte, die sich in mythol.
Aussagen verbergen können, freizulegen und auf ihre Bedeutsamkeit
für das Dasein auszulegen; die Texte geben auf diese Weise Aufschluß
über das Selbstverständnis des Verfassers und können so verstanden
eine Betroffenheit beim Leser/Hörer im Blick auf dessen eigene
existentielle Wahrheit auslösen." (S. 49) Andere Erklärungen wiederum
sind zu hinterfragen. Ist das Stichwort „metaethisch" seiner
heutigen Verwendung entsprechend erhellt, wenn zu allgemein nur
geschrieben wird: .jenseits der ethischen Wertung stehend"? Hinsichtlich
des Stichwortes „moralischer Gottesbeweis" müßte gerade
wegen der Bedeutung Kants für diesen angedeutet werden, daß vor
allem die Bürgschaft für die Sinnhaftigkeit und den letzten Sieg des
Sittengesetzes zum „Beweis" führt und nicht zuerst die Frage nach der
Urheberschaft desselben. Trifft die Erklärung zum „Thomismus"
dessen Wesen, wenn es heißt: „bestimmend ist vor allem die Metaphysik
, wonach jedes endlich Seiende aus Substanz und Akzidenz
zusammengesetzt ist"? Ist nicht viel eher an das Prinzip „gratia
perficit naturam" zu denken? Beim Stichwort „Ontologie" dürfte die
Präzisierung „Lehre vom Sein des Seienden" angebracht sein, statt
nur „Lehre vom Seienden" zu sagen. Überprüft werden müßte auch
die Erklärung zum Stichwort „ökumenische Bewegung". Diese ist
doch nicht allein eine innerprotestantische Angelegenheit, sondern
umfaßt institutionell auch orthodoxe Kirchen.

Bei einer Neuauflage des Buches müßten sowohl das Hinweisverfahren
auf andere Stichwörter als auch etliche Druckfehler korrigiert
werden. Die Hinweise sind teilweise nicht realisiert! Besonders schade
ist dies bei einigen Korrelat- bzw. Gegensatzbegriffen. Solche drängen
sich auch über die vorhandenen Verweise hinaus auf. Insgesamt
nenne ich folgende Begriffe, die unter diesem Aspekt noch hinzugefügt
werden sollten: Aristotelismus, Autonomie, existentia, Formalprinzip
, physikotheologischer Gottesbeweis, tremendum.

Corrigenda bei den Stichworten: Diptychon statt Diptychron, fontes mora-
litatis statt moralitatcs, ipsissima verba statt verbi, Sozinianismusstatt Sozianismus
, Subordinatianismus statt Subordinationismus. Corrigenda im Text: S. 18
(Arminianer) Dordrecht statt Dodrecht; S. 121 (Sakrament) ex opere operato
statt Operator.

Greifswald Bernd Hildebrandt

Visser't Hoof», W. A.: The Fatherhood of God in an Age of Emancipa-
tion. Geneva: World Council of Churches 1982. XI, 163 S. 8
Kart, sfr 16.90.

-: Gottes Vaterschaft im Zeitalter der Emanzipation. Übers, aus dem
Engl. v. R. Stolze. Frankfurt/M.: Evang. Verlagswerk u. Knecht
1982. 202 S. 8 Kart. DM 28,-.

Im Mai 1968 standen an den Mauern der Sorbonne auch die folgenden
Parolen: „Weder Herr noch Gott - Gott, das bin ich." „Ist ein
Herr auch ein Gott? Beide sind Vaterbilder und erfüllen eine Unterdrückerrolle
." Vf. zitiert sie (65) und markiert den zeitgenössischen
Rahmen, in welchem Gottes Vatersein infrage gesteilt wird. Das Zu-
sich-selber-Kommen, die Reife des Menschen scheint dieses zum
Anachronismus werden zu lassen. Vf. zählt es zu den (wenigen) Vorzügen
des Alters, sich seinen intellektuellen Neigungen widmen zu

können, und stellt sich dem Problem der Emanzipation mit den
schwer vergleichbaren Möglichkeiten eines Mannes, der von sich
sagen konnte, die Welt sei seine Gemeinde. Die Sache, um die es ihm
geht, bricht sich gleichsam in der Geschichte der ökumenischen Bewegung
. Beeindruckend zum Beispiel die lange Liste der Männer und der
- in der ökumenischen Bewegung sich offensichtlich einen Freiraum
erkämpfenden - Frauen, die als getaufte Glieder des Leibes Christi in
ihrer Zeit sich für die Überwindung des immer noch einflußreichen
kirchlichen Paternalismus einsetzten (71-76)! Sie sind ihren Alters-
gefährten als Pioniere der Ökumene vertraut gewesen, nun droht das
Gedenken an sie verschollen zu gehen. Wie gut, daß ein Weggefährte
ihre Namen bewahrt! Dabei sollte aber nicht vergessen werden, daß
hinter diesen für die heutige Generation sozusagen unbekannten
Prominenten eine noch viel größere Zahl von Menschen steht, die sich
für dieselbe Sache einsetzten und nie in das Rampenlicht einer
größeren Öffentlichkeit traten. In diesem Abschnitt wird deutlich, wie
sehr die ökumenische Bewegung ursprünglich ein Wagnis von nicht
bei der Kirche beamteten, gleichwohl zutiefst im Evangelium verwurzelten
Personen gewesen ist. Dabei finden sich auch immer wieder
Hinweise auf die lange Zeit, die Vf. als Generalsekretär des Christlichen
Studenten weltbundes (WSCF) tätig war, und auf die Impulse,
die in Richtung Emanzipation vom WSCF ausgegangen sind. Sie
gehen auch heute von ihm und der christlichen Studentenarbeit aus.
Das sollte nicht vergessen werden, wenn die Ausdrucksformen einem
kirchlichen Paternalismus auch heute nicht recht sein können.

Aber damit sind wir schon weit in die Gegenwart vorausgeeilt, denn
Vf. legt sein Werk zunächst geistesgeschichtlich an. Nach drei solchen
Abschnitten wird dann das Ringen um Emanzipation unter den
Frauen, der Jugend und in den Kolonialländern geschildert. Vf.
nimmt in allem eine vermittelnde Stellung ein, die immer die Notwendigkeit
von Veränderung im Dienst von gesunder Partnerschaft
unter den Menschen hervorhebt. Das Stichwort lautet „verantwortliche
Gesellschaft" (310- Einschätzungen der Arbeiterbewegung und
von Entwicklungen in den osteuropäischen Staaten sind von jenem
Ringen um objektives Verstehen und von effektiver Distanz getragen,
wie sie - persönlich durchaus sympathisch und beeindruckend - für
die theologische Elite eines Weltbürgertums in der kirchlichen Administration
prägend sind.

Die geistes- und zeitgeschichtlichen Überlegungen führen zu dem
Ergebnis, daß Befreiung des Menschen auch ein Vakuum schaffen
kann, das von nicht geringeren Übeln als den ausgetriebenen gefüllt
werden mag (Mt 12,43 ff). Insofern gilt: „Emanzipation ist nicht
genug." (134) Gott, der Vater Jesu Christi, auf dessen mütterliche
Züge ebenfalls hingewiesen wird (128-133), womit Erkenntnisse des
Feminismus und nicht seine Verbohrtheiten aufgenommen werden
(44-59), erfüllt den gewonnenen Freiraum mit der Substanz des
Evangeliums.

Vf. leistet einen großen Beitrag für einen unbelasteten Umgang mit
dem Phänomen der Emanzipation. Nach Brakelmann verweigerte
sich die Kirche im 19. Jahrhundert vor allem dem Emanzipationsstreben
neuer sozialer Schichten.1 Die Nachwirkungen sind bekannt.
Hier ist also durchaus theologische Klärung im Sinne des Vf. von-
nöten, die den Zusammenhang zwischen Evangelium und Emanzipation
herausstellt.2

Noch im Erscheinungsjahr des englischen Originals haben das
Evangelische Verlagswerk und der Verlag J. Knecht die deutsche
Übersetzung von Radegundis Stolze herausgebracht. Das Kapitel
über das Mütterliche in Gott (englisch 128—133) erhielt ein Fragezeichen
, womit wohl auf die einfachste Weise die Verschiebung der
Diskussionslage beim Übergang vom englischen in den deutschen
Sprachraum angedeutet wird. Das recht private Foto auf der vierten
Umschlagseite ist gegen ein mehr offizielles Konterfei von Visser't
Hooft ausgetauscht worden.

Güstrow Jens Langer