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Ausgabe:

1983

Spalte:

491-493

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Brändle, Werner

Titel/Untertitel:

Taschenbuch theologischer Fremdwörter 1983

Rezensent:

Hildebrandt, Bernd

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 6

492

fundamentaler Bedeutung aus der Auslegung nicht in den Liedtext
übernommen worden sind: „Gerechtigkeit Gottes" und „Glauben",
und es dürfte nicht angehen, für die Auslassung wenigstens des ersten
lediglich prosodische Bedenken verantwortlich zu machen. Kann
aber eine Aussage, die auf die beiden zentralen Termini der reformatorischen
Gotteslehre und Soteriologic verzichtet, uneingeschränkt
als Schlüssel zur Mitte von Luthers Theologie anerkannt
werden?

c) Die Mitte der Theologie im Psalmlied Luthers

Daß dennoch und gerade so Luthers Psalmlied - wir haben hier
besonders das zuletzt betrachtete „Aus tiefer Not" im Auge - zur
Mitte von Luthers Theologie führen kann, sei mit zwei einander
ergänzenden Erwägungen begründet.

(1) Die Stichworte „Gerechtigkeit Gottes" und „Glauben" sind nicht
in den Liedtext aufgenommen: dennoch fehlen, schon unter semantischem
Aspekt, die Begriffe nicht. „Glaube" ist durch „hoffen",
,,(ver)lassen" und „trauen" wiedergegeben: die „Gerechtigkeit Gottes
" erscheint als „Gnad und Gunst, die Sünde zu vergeben", die es in
ihrem überfließenden schöpferischen Reichtum dem Beter des Psalms
schenken, „deiner Gnaden leben" - in deutlichem Anklang an
Rom 1,17.

(2) Die entscheidende Leistung des Psalmlieds liegt aber gar nicht
darin, die dogmatischen Grundbegriffe zu übermitteln. Die semantische
Zuverlässigkeit ist gewissermaßen nur das Substrat, das die
Voraussetzung für einen weiterführenden Vollzug bildet, dem das
Lied dienen will. Indem das Lied nicht nur von Sünde und Gnade
redet, sondern den Sänger und Beter davon reden läßt, nimmt es in
seiner Pragmatik ihn bis ins Leibliche hinein tatsächlich auf in den
Wirkungszusammenhang der Gerechtigkeit Gottes.

Luther hat mit seinem Psalmlied nicht nur angestrebt und erreicht,
seine theologischen Ideen auf eine gegenüber Predigt und Lehrschrift
literarisch neuartige Weise überzeugend zu transportieren, sondern er
hat damit die Möglichkeit erschlossen, dem Wort in intensiverer
Weise nahe zu sein, das Wort Gottes tiefer heimisch werden, „bleiben
" zu lassen „bei den Leuten" nach der Formulierung des Spalatin-
briefes. Nicht nur das Wissen um die Worte, mit denen die grundlegenden
Erkenntnisse reformatorischer Theologie ausgesprochen
werden können, sondern vor allem das um die Notwendigkeit dieses
wirkenden Bleibens des Wortes ist es, was das Wesen von Luthers
Lehre bestimmt. Zur Mitte von Luthers Theologie gehört nicht nur
die Einsicht in das, was Gott für uns tut, was er „an uns gewendet
hat",34 sondern auch in den Weg, den er uns zeigt, ihm zu begegnen:
den Umgang mit seinem Wort als Existenzform. Dafür bietet sich das
Psalmlied als Weg und Schlüssel an. Es ist eine reformatorische Form
für das, was das Mittelalter „fruitio Dei" nannte. Was hier in den Blick
kommt, ist für Luther früh im Umgang mit dem Bibel-, besonders mit
dem Psalmwort wichtig und im Anschluß an den Vulgatatext von
Ps 1,2 unter dem Stichwort „meditatio" wiederholt erörtert worden,
am eindringlichsten in den Operationes in Psalmos, wo es heißt: „Die
Liebe wird das Meditieren durch sich selbst lehren. Aber dieser Wille

muß durch einen demütigen Glauben an Christus erbeten werden,
nachdem wir an unseren Kräften verzweifelt sind. Dies merke wohl:
Es ist Sitte und Wesen für alle Liebenden, über ihre Liebe gerne zu
plaudern, zu singen, zu dichten, zu malen, zu spielen, ebenso gerne
davon zu hören. Daher ist auch diesem liebenden seligen Manne seine
Liebe, das Gesetz Gottes, beständig im Munde, beständig im Herzen,
beständig (wenn möglich) im Ohre. Denn wer aus Gott ist, hört das
Wort Gottes."" Die Psalmlieddichtungen sind Hilfe zum Nachvollzug
dieser Einsicht. Sind reformatorische Theologie im Vollzug.

1 Abgedruckt WA 35,9f.

2 Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangbuch. Stuttgart 1975 [Leipzig4
^]'.

' Vgl. WA 60,3 ff; 464 IT.

4 EA 56, Vorrede (S. 2).

5 Vgl.W.LuckeinWA35,70f.
' A.a.O.,S. 74-78.

7 WA 35,9.

* WA Br 3,220,1-3 [im Original Lateinisch; Übersetzung: N. M.].

9 A.a.O.,Z.6f.
10 A.a.O.,Z.7-ll;15f.
" A.a.O.,Z. 17-23.

12 Das deutsche Kirchenlied (DKL) I 1: Verzeichnis der Drucke. Von den
Anfangen bis 1800. Kassel 1975: LpzBa 1545. Faksimiledruck, hrsg. v. K.
Ameln, Kassel 1929;21966.

13 WABr3,234u.,4.l0;249,13f.

14 Summarien über die Psalmen und Ursachen des Dolmetschens, 1533;
WA 38,9,9f.

15 A.a.O., 10,22.27-29.

'* Von Ordnung Gottesdiensts in der Gemeine, 1523, WA 12,37,28.

" Babst(DKL; LpzBa 1545)Nr. XXIV.
. " Psalmzitate, wo nicht anders vermerkt, nach WA DB 10 I in der Textfassung
von 1545 [Hervorhebung: N. M.].

" Für die Tradition der neueren lutherischen Dogmatik vgl. dazu K. Hase,
I.utherus redivivus, Leipzig 1883, S. 10; entsprechende Lehraussagen bei
Luther selbst: Ar. Schm., BS 415 f, 421.

20 K. Langosch, Hymnen und Vagantenlieder, Berlin 1958, S. 74.

21 WA 54,185f.

22 Vgl. A. Peters, Luthers Turmerlebnis, NZSystTh 3, 1961, S. 203-236;
bes. S. 224; M. Brecht, Martin Luther. Sein Weg zur Reformation 1483-1521,
Stuttgart 1981,S. 215-230.

25 WA l,160,14f.

24 WA 1,165,35.

25 WA 1,194,12.
24 WA 1,168,2.
27 WA 1,182,36.
™ WA 1,191,27.

29 WA 1,212,33-38.

30 WA 1,200,17f; WA 18,512,13-15.

" WA 18,520,27-29; WA 1,210,30-33.

32 WA 1,208,lOf;WA 18,518,10.15f.

33 WA 1,210,22 f.

54 Babst(DKL: LpzBa 1545) Nr. XXII, Str. I.

35 WA 5,34 [im Original Lateinisch; Übersetzung: N. M.]. - Vgl. WA 55
11/1,11-14; WA 50,659.

Allgemeines

Krändle, Werner: Taschenbuch theologischer Fremdwörter. Gütersloh
: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1982. 143 S. 8' =
GTB/Siebenstern 1055. Kart. DM 9,80.

Schnell greifbare und kurz gehaltene Informationen, um den reichen
Schatz an theologisch und kirchlich gebräuchlichen Fremdwörtern
zu erschließen, sind für Theologen wie für Nichttheologen
notwendig und jederzeit willkommen. Wer die Aufgabe hat, zwecks
Rezension ein solches Wörterbuch insgesamt durchzuarbeiten, wird

sich dabei einmal mehr bewußt, in welchem Umfang die theologische
und kirchliche Sprache von Fremdwörtern lebt.

Der Vf. des hier zu besprechenden Buches will in äußerst knappen
Erklärungen einen Ansatzpunkt zum Verstehen geben. Hinweise auf
den Zusammenhang, d. h. den „Sitz im Leben", zeigen den Weg, auf
dem man zur umfassenden Information gelangen kann. Es ist auch
vom methodischen Gesichtspunkt aus interessant und hilfreich, vorgeführt
zu bekommen, wieviel Text mitunter nur nötig ist, um einen
Sachverhalt von seinem springenden Punkt herzu erklären. Dahinter
steckt mühevolle Arbeit und eine große Kunst der Formulierung. Daß
das Buch vor allem für die Hand des Nichttheologen gedacht ist, wie
das Vorwort betont, und nur einen allerersten Einstieg bieten will,