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Ausgabe:

1983

Spalte:

473-475

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Vischer, Georg H.

Titel/Untertitel:

Apostolischer Dienst 1983

Rezensent:

Lins, Hermann

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 6

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werden können. Für den Nicht-Experten bleibt die Mühsal, sich in
statistische Verfahren einlesen zu müssen. Von daher fragt man sich:
War die Publikation der Studie wirklich nötig? Diese Frage stellt sich
umso mehr, als die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit bereits im
Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften, Band 20, veröffentlicht
wurden.

Hannover Karl-Fritz Daiber

Ökumenik: Allgemeines

Vischer, Georg H.: Apostolischer Dienst. Fünfzig Jahre Diskussion
über das kirchliche Amt in Glauben und Kirchenverfassung. Frankfurt
/Main: Lembeck, 1982,250 S. 8 Kart. DM 36,-.

Für den Druck leicht überarbeitet, stellt diese Baseler Dissertation
Werden, Wachsen und Wandlungen der ökumenischen Amtsdiskussion
zwischen Lausanne 1927 und der Accra-Auswertung von 1977
vor. Die bilateralen Dialoge sind nicht berücksichtigt. Dargestellt ist,
wie sich innerhalb der Faith-and-Order-Kommission des ORK (FO)
die Frage des kirchlichen Amtes unter neu auftretenden kirchlichen
Aspekten und außerkirchlichen Impulsen (z. B. 151, 199) und unter
dem Akzentwechsel von Einheit und Erneuerung der Kirche methodisch
und inhaltlich differenziert entwickelt und einen trotz inzwischen
beachtlicher Ergebnisse noch nicht zum Abschluß gekommenen
Klärungsprozeß durchläuft.

Der historische Hauptteil der Darstellung enthält eine gut aufgearbeitete
, analytische Nachzeichnung dieses Verständigungsbemühens
in drei Kapiteln: [. Lausanne 1927, II. Montreal 1963, III. Von Aar-
hus 1964 nach Accra 1974. Diese detaillierte Darstellung der Geschichte
von fünfzig Jahren ökumenischer Amtsdebatte erfreut durch
Klarheit und Durchschaubarkeit. Ergebnisse dieser Diskussion werden
quer- und längsschnittartig jeweils summiert und aufgelistet.
Systematische Reflexionen erhellen die Ausführungen, Sachfragen
werden zu Grundfragen. Ein viertes Kapitel „Rückblick und Ausblick
" resümiert systematisierend die Hauptfragen und Hindernisse
und regt sorgfältig und selbständig die Weiterarbeit an.

Von Anfang an mußte es sich FO als zentrale Aufgabe stellen, mit
dem Amt über „Sinn und Funktion eines Phänomens zu sprechen, das
in allen Kirchen bis auf wenige Gemeinschaften von der Art der Quäker
vorhanden ist und meist auch eine zentrale Rolle spielt" (14).
Dabei dominierte zunächst ein anglikanisches Einheitskonzept. Eine
konsistente Ekklesiologie reformatorischer Prägung kam in Lausanne
noch nicht zum Tragen. So gerieten hier ein katholisches und ein
denominationales Kirchenverständnis zu alternativen Fragen: Sind
Gegebenheiten der Verfassung für die Kirchen essentiell oder akzidentell
? (41) Hat die Kirche ihre Wahrheit in der geschichtlichen
Kontinuität ihrer Lehre und Verfassung oder darin, daß sie immer
wieder, je nach Ort und Zeit anders und neu, einem übergeschichtlichen
Ideal von Kirche entspricht? (31) Den Lutheranern geht es um
die Identität der zentralen Funktionen der Kirche. Ihr Pathos der Freiheit
vom Gesetz läßt sie die institutionellen Elemente der Kirche
■ninimalisieren.

Für die Amtsfrage bringen Edingburgh (1937) und die Weiterarbeit
'n FO zunächst nichts Neues. Erst in Montreal 1963 ist das ordinierte
Amt wieder eigenes Thema. Inzwischen (1948) war FO dem ÖKR angegliedert
. An die Stelle gelegentlichen Gedankenaustausches tritt
nun kontinuierliche Arbeit von Expertengruppen. Es verstärkt sich
der theologische Einfluß der kontinental-europäischen Reformationskirchen
. Seit Lund 1952 weicht die vergleichende Ekklesiologie einer
vertieften christologischen. Das durch den Kirchenkampf intensivierte
Interesse der deutschen evangelischen Kirchen an Ekklesiologie
und Kirchenordnung wirkt sich aus. Weltweit wecken Unionsverhandlungen
Bedarf an Klärungen der Ämterfragen. Eine Studie des
Laienreferates im ÖKR plädiert leidenschaftlich für eine an der Sendung
des ganzen Gottesvolkes orientierte Amtsdebatte. Zu lang nachwirkendem
Einfluß gerät E. Schlinks Studie zur apostolischen Sukzession
(1961). Die Ekklesiologie von Lumen Gentium in Vat. II wird für
die Amtsproblematik zur vitalen Anfrage: „Wie findet die wesenhafte
Einheit der Kirche, ihre grundlegende Abhängigkeit von Christus und
ihre Vollmacht im apostolischen Dienst sichtbaren und verpflichtenden
Ausdruck in ihrer Verfassung?" (101).

Es zeigt sich ein überraschendes Maß an ökumenischer Annäherung
. Dennoch führt Montreal eher nur anregend weiter. Es waren
„Wurzeln der Amtsproblematik sichtbar geworden, die tief in noch
unentdeckte Gründe der Ekklesiologie, der Christologiesund Pneuma-
tologie hinabreichten" (115).

In Aarhus (1964) kann daraufhin ein gezieltes Studienprogramm
beschlossen werden. Noch nie zuvor in der ökumenischen Diskussion
ist die Frage nach der Begründung des besonderen Amtes mit ähnlicher
Präzision gestellt worden und der Unterschied zwischen katholischen
und protestantischen Verfassungsprinzipien von einem kontradiktorischen
in ein polares Verhältnis überführt worden (120).
Fortan (Bristol 1967) war erkannt, daß man nicht von einer Amtslehre
, sondern vom ordinierten Amt selbst als konstitutivem ekklesiolo-
gischen Faktum ausgehen müsse (126). Mit der Ordinationsstudie
(1968) wird beeindruckend zum ersten Mal von Theologen aller
großen christlichen Traditionen ein einigermaßen in sich geschlossener
gemeinsamer Text zum ordinierten Amt vorgelegt (15). So stellt
schließlich über die Konsultation von Löwen (1971) und Marseille
(1972) hinweg das in Accra 1974 unter federführender Beteiligung
auch orthodoxer und römisch-katholischer Theologen verabschiedete
Amtsdokument als vorläufiger Abschluß „keine plötzliche und zufällige
Bemühung um ein künstliches Ubereinkommen dar, sondern das
Produkt einer langen Entwicklung in der jüngsten Theologie und ökumenischen
Gemeinschaft" (183). Die Vollversammlung in Nairobi
1975 akzeptiert es und leitet eine Phase der Rezeption ein. Der Ball ist
an die Kirchen weitergegeben. Nichts geringeres als Selbsttranszendie-
rung muß ihnen zugemutet werden. Noch nie hatte eine Vollversammlung
mit soviel Nachdruck und unter Setzung eines Termins um
eine Stellungnahme zu einem theologischen Text gebeten (157).

Das systematische Schlußkapitel bringt, über die speziellen Amtsfragen
hinausreichend, wichtige Überlegungen des Verfassers. Rezensent
möchte besonders die Ausführungen zum Verhältnis von Chri-
stologie und Pneumatologie im Anschluß an A. van Ruler und
R. Bohren herausgreifen (216). Tief kontrovers ist noch immer die
Wertung einer im Heilswerk „erforderlichen menschlichen Selbständigkeit
" (96). Ohnehin wird es als protestantische Einseitigkeit vermerkt
, wie aus dem biblischen Gesamtzeugnis vom Hl. Geist vorwiegend
seine Unverfügbarkeit und unberechenbare innovatorische Kraft
aufgenommen wird (194). Zur Korrektur der gern zur Stützung ekkle-
sialer Wunschvorstellungen als amtslose Charismenvielfalt gedeutete
paulinischen Gemeinden wird das Amtscharisma des Paulus selbst in
schönen Ausführungen ins Blickfeld gerückt (219f zu 2Kor 1). Unter
Berufung auf Bonhoeffer wird eine undifferenzierte soziologische Verwendung
von „Gemeinschaft" als ekklesiologischem Zentralbegriff
kritisch befragt (1840- Der Zusammenhang von Lehre und Recht der
Kirche kommt mehrfach und grundsätzlich zur Sprache.

Noch außerhalb der Darstellung liegt dagegen die fruchtbare Beobachtung
, daß episkope grundsätzlich personal, kollegial und koinonal
ausgeübt wird. Nicht berücksichtigt scheint auch die „Vierfache Gestalt
der Kirche" als lokaler, regionaler, universaler sowie kommuni-
tärer Größe. Hier scheinen Elemente der Ämterwirklichkeit noch
ekklesial isoliert der Aufarbeitung zu harren. Das gilt z. B. für die
nicht deutlich gemachte Zusammenschau von Bischof und ecclesia,
entsprechend von Bischofsgemeinschaft der Kircheneinheit als com-
munio ecclesiarum. Was trägt die Erkenntnis von der Kirchenqualität
lokaler und regionaler Ekklesien für die gängige theologisch wertende
Unterscheidung von „Gemeinde" und „Kirche" aus? (Ortskirche als
Repräsentanz der Universalkirche vermöge Suffizienzpostulat). Der
analytisch so hilfreiche Ansatz des Vf. bei einer dreifachen idealtypischen
Ekklesiologie katholischer, reformationskirchlicher und