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Ausgabe:

1983

Spalte:

468-470

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Titel/Untertitel:

Friedenserziehung als Problem von Theologie und Religionspädagogik 1983

Rezensent:

Kehnscherper, Günther

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 6

468

aneinander vorbei. Die Psychoanalyse muß philosophische Fragen
stellen, sonst wird sie durch einseitiges medizinisches Denken berufsblind
. Die Philosophie kann es sich nicht leisten, der Frage nach dem
falschen Bewußtsein auszuweichen, sonst ist der Ideologieverdacht
nicht mehr zu widerlegen.

Schöpf erzählt zunächst kenntnisreich und mit Sympathie den
Lebensweg Freuds und die Entwicklung der verschiedenen Theorien
von der Hysterie-Forschung bis zur Metapsychologie. Dann diskutiert
er die erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Aporien der Psychoanalyse
und stellt ihr Menschenverständnis und ihre Sicht der
menschlichen Freiheit und Verantwortlichkeit dar. Schöpf sieht wohl,
daß Freud durch die Wahl seiner Denkmodelle geneigt ist, die Psyche
bloß als Apparat zu verstehen. Aber die Apparate-Vorstellung des
Seelischen wird nach Schöpf schon dadurch überschritten, daß der
Wunsch des Individuums sich sprachlich gegenüber Mitmenschen
äußern muß und nur mit ihrer Zustimmung und Mithilfe Erfüllung
findet. Gegenüber einer Interpretation von Freud als eines Deterministen
betont er: „Freuds Überzeugung, daß das Individuum von
seinen inneren Antrieben und den Befriedigungs- und Versagungs-
erlebnissen seitens der Umwelt abhängig sei, läßt den Menschen
einerseits als grundsätzlich determiniert erscheinen. Welchen Spielraum
für Eigenständigkeit und Freiheit der persönlichen Entwicklung
kann es denn noch geben, wenn das Seelenleben aus Motivationsketten
libidinöser und aggressiver Erlebnisse aufgebaut ist? Auf der
andern Seite steht dem jedoch Freuds Konzept der Ich werdung gegenüber
und des weiteren die Tatsache, daß sein Verständnis von Determination
nicht jede Art von Einflußnahme ausschließt."

Die moralischen Vorschriften sind nach Freud für die Kultur angesichts
der übermäßigen Wünsche und der zerstörerischen Aggressionen
, wie sie im ödipalen Geschehen zum Vorschein kommen,
nötig. Das Individuum aber hat die Möglichkeit, seine Triebe durch
Verdrängung, durch Charakterbildung oder durch Sublimierung zu
kontrollieren. Dafür, daß eine der drei Möglichkeiten (wenn auch
nicht perfekt) realisiert wird, ist das Individuum voll verantwortlich.
So umschreibt Schöpf das Verständnis von Vernunft und Verantwortung
bei Freud.

Eindeutige Kritik übt Schöpf an der Befangenheit Freuds gegenüber
bestimmten Ansichten seiner eigenen Zeit: Verabsolutierung der
patriarchalischen Dreierbeziehung in der bürgerlichen Familie, die zu
Fehlschlüssen aus dem Ödipuskomplex geführt hat, unreflektierte
Übernahme der Gesellschaftstheorie und des Menschenverständnisses
von Hobbes (homo homini lupus) und Wissenschaftsgläubigkeit,
mit der er - im Unterschied zu Kunst, Philosophie und Religion -
gegenüber den exakten Wissenschaften nie den Ideologieverdacht
erwogen hat.

Abschließend bietet Schöpf einen informativen Überblick über
Freuds Wirkungsgeschichte in der Psychoanalyse und in der Philosophie
und über die Art und Weise, wie einzelne Schulen, z. B. die französischen
Strukturellsten, Wittgenstein und die Sprachanalytiker und
die Frankfurter Schule, sich der Herausforderung gestellt haben.

Ich sehe in diesem Buch einen fruchtbaren Beitrag zur kritischen
Auseinandersetzung mit Freud.

Basel Walter Neidhart

Gastager, Heimo u. Susanne [Hrsg.]: Hilfe in Krisen. Wege und Chancen
einer personalen Kriseninterve'ntion, Freiburg-Basel-Wien:
Herder; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1982. 136 S. m.
Abb. 8* = Sehen - Verstehen - Helfen. Pastoralanthropologische
Reihe, 6.

Nach einleitenden Bemerkungen der Herausgeber zum Begriff
„Krisenintervention" zeigt G. v. Schlippe Beispiele für die „Begegnung
mit Krisensituationen" (11-23) auf gestalttherapeutischer Basis.
W. Ruff beschreibt „Offene und verdeckte Krisenverläufe" (24-51)
und berücksichtigt besonders Krisen und Kompetenzen der Helfer.

Drei „Aspekte zur pathologischen Trauer" erläutert M. Biebl
(52-66): Nicht bewältigte Trauerarbeit kann Ich-Schwächung bewirken
, kann an Kinder oder Partner weitergegeben werden und kann
durch den Glauben an ein Weiterleben nach dem Tode verursacht
werden. Ch. Kulessa, „Zur Theorie der Krise" (67-93) erläutert die
Phaseneinteilung und die Kommunikationstheorie der Krise, die
Krisenskala, die Phänomenologie und die Prädiktoren der Krise. G.
Sonneck, „Zur Technik der Krisenintervention" (94-104) entwirft
ein Konzept in vier Phasen, das Vorschläge verschiedener therapeutischer
Ansätze zusammenfaßt. H. Gastager, „Problematik der
Krisenintervention" (105-110) erklärt die Motive für die Errichtung
der Kriserrinterventionsstelle in Salzburg und die Funktion pastoraler
Krisenintervention als „Fundamentalergänzung professioneller Beratungsstellen
". Abschließend informiert K. Gastgeber über die
„Ausbildung des Seelsorgers zur pastoralen Beratung" auf gestalttherapeutischer
Basis sowie über „Pastorale Krisenberatung nach der
Gestalttheorie". Bei den ärztlichen Beiträgen fällt auf, daß sie den
Laien als den „natürlichen Helfern" hohe Bedeutung für die Krisenhilfe
beimessen.

E. W.

Praktische Theologie:
Religionspädagogik/Katechetik

Bäumler, Christof, Godwin Lämmermann, Falk Wagner und Alfred
Walter: Friedenserziehung als Problem von Theologie und Religionspädagogik
. München: Kaiser 1981.247 S. 8'. Kart. DM 36,-.

In der unübersichtlichen Debatte über die Friedensfrage suchen
auch die Religionspädagogen mit Recht nach einfachen, klaren Aussagen
, die zur Richtschnur evangelisch verantworteter Unterweisung
werden könnten. Diese Einfachheit kann sicher nicht in Regeln gefunden
werden, die zur Friedenssicherung einzelne Handlungen gebieten
oder verbieten, wohl aber im Ziel des Handelns. Dieses Ziel wird
immer wieder in der Herstellung eines dauerhaften Weltfriedens
beschrieben.

Eine Fülle theologischer und religionspädagogischer Veröffentlichungen
mit Thesenreihen, Modellen und Arbeitsmaterial bezeugen
ehrliches und aufgeschlossenes Interesse am Themenbereich in den
vergangenen Jahren. Die hier zu besprechende Untersuchung bringt
auswahlsweise allein 327 Literaturangaben, ohne daß dabei schon
UNO-Dokumente zur Abrüstungsfrage oder Arbeiten über die
Schlußakte von Helsinki berücksichtigt worden wären.

Die Menge der Veröffentlichungen hat aber nun die theologisch-
sozialethische Urteilsfindung keineswegs erleichtert oder gar vereinfacht
. Arbeiten zur Theoriebildung mußte man in der Friedensfrage
bisher weitgehend vermissen.

Nun legen vier Autoren Beiträge über Ergebnisse der Friedensforschung
vor, die für Theologie und Religionspädagogik kritisch aufgearbeitet
und dann auch didaktisch nutzbar gemacht werden. Es handelt
sich um interdisziplinäre Lösungsversuche auf dem Problemfeld
der Friedenserziehung, die als diskutable Beiträge zur Theoriebildung
angesehen werden dürfen, auch wenn sie dem Leser einen weiten Weg
durch Theologiegeschichte und Sozialethik zumuten.

Klar ist die Definition (13): „Friedenserziehung kann in einer vorläufigen
Funktionsbestimmung als der Versuch der Erziehung begriffen
werden, die verschiedenen Formen der Gewalt und der Friedlosig-
keit im internationalen und innergesellschaftlichen Bereich im Rahmen
der Erziehung zu thematisieren, ihre Ursachen zu analysieren
und nach Möglichkeit zu ihrer Überwindung beizutragen. Friedenserziehung
, die sich in dieser Weise auf die Analyse der Bedingungen
der Friedlosigkeit und der Gewalt richtet, muß zu einem wesentlichen
Teil auch als Konflikterziehung begriffen werden, die ihre Aufgaben
sowohl in der Behandlung von Konfliktformationen im Makrobereich