Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1983

Spalte:

457-463

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Lochbrunner, Manfred

Titel/Untertitel:

Analogia Caritatis 1983

Rezensent:

Baur, Jörg

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4

Download Scan:

PDF

• " '

457

Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 6

458

philosophische Problematik wach. Tillichs Argumentation dagegen
läßt wiederum an Gadamer denken, der von intellektueller „Leicht-
füßigkeit" sprach.4 Gleichwohl ist Tillichs Kritik an ockhamistischer
Auflösung der Weltsicht vom Wissen um die Notwendigkeit eines tragenden
Grundes geprägt. Thompson hat dieses wenig behandelte
Gebiet der Tillich-Forschung verdienstlicherweise behandelt und
kommt auch hier zu dem Ergebnis: Es besteht eine auffallende Ähnlichkeit
zwischen dem Stil Tillichs und dem eines politischen Journalisten
oder dem eines Philosophen, der mit einem philosophischen
Gegner um seine Sicht der Dinge ringt (83). Letztlich unterscheidet
Tillich für Thompson zu wenig zwischen Theorie und Praxis. Das
geht auf Kosten beider. Im Blick auf erstere bedeutet es laut Verfasser
eine unangemessene Erkenntnistheorie sowie eine Art „Flirt" mit
einer nicht eben erleuchtenden Subjektivierung und Relativierung
(212). Im ganzen macht sich die Schule angelsächsischer Philosophie
und Theologie in der Argumentation des Verfassers bemerkbar. Im
Schlußsatz seines Buches hebt der Autor hervor, daß wir Tillichs
Werk nicht ignorieren dürfen; denn es ist seiner Meinung nach einer
der größten konstruktiven Beiträge zum christlichen Denken in
diesem Jahrhundert. Die Grenzen dieses Werkes hat er ja ausführlich
und einleuchtend benannt. Soviel kritisches Engagement aus angelsächsischer
Tradition und ebensoviel theologisches "fair play" ist
gleichsam allen Bemühungen um Tillich wenige Jahre vor seinem ein-
hundertsten Geburtstag (1986) zu wünschen. Auf diesen Termin soll
getrost schon einmal aufmerksam gemacht werden.

Was Kritik und Fairneß bei Thompson angeht, läßt sich auch auf
die Untersuchung der Tillich-Übersetzerin Ingeborg C. Henel anwenden
. Auf engem Raum stellt sie dar aus der „Philosophie in Tillichs
Theologie": Ontologie, Erkenntnis- und Offenbarungslehre sowie den
Korrelativsbegriff; aus der „Theologie in Tillichs Philosophie" folgen
: Kairos, Theonomie, Symbol, Kunstphilosophie und Ethik. Das
Ergebnis ist aus der Sicht der Verfasserin eindeutig. Tillichs theologische
und philosophische Diagnose kann sie mit vielen anderen anerkennen
, seine Idee von der Aufhebung des Unterschieds zwischen
Religion und Kultur, Theologie und Philosophie dagegen hält sie
unannehmbar für modernes kritisches Bewußtsein. „Seine Versuche
(■ • ), statt einer Verbindung eine Identifizierung von Philosophie und
Theologie herzustellen, sind gescheitert, weil sie sich entweder der
rationalen Kritik durch die Philosophie oder der existentiellen Kritik
durch die Theologie entzogen." (74)

Güstrow Jens Langer

' Paul Tillich, Ein Lebensbild in Dokumenten. Briefe, Tagebuch-Auszüge,
Berichte. Herausgegeben von R. Albrecht und M. Hanl. Evangelisches Verlagswerk
Stuttgart 1980 = Ergänzungs- und Nachlaßbandc zu den Gesammelten
Werken von Paul Tillich Band V,S. 166.

2 A. a. O. S. 167, Vgl. auch A. Löwe, a. a. O. S. 369 f.

' A. a. O.S. 166

Zum Eindruck Gadamers vgl. auch P. Tillich, Vorlesungen über die Geschichte
des christlichen Denkens, Teil I: Urchristentum bis Nachreformation,
Teil II: Aspekte des Protestantismus im 19. und 20. Jh. Evangelisches Verlagswerk
Stuttgart 1971 und 1972 = Ergänzungs-und Nachlaßbändel+ 11.

Systematische Theologie: Allgemeines

Lochbrunner, Manfred: Analogia Caritatis. Darstellung und Deutung
der Theologie Hans Urs von Balthasars. Freiburg-Basel-Wien:
Herder 1981. 350 S. gr. 8° = Freiburger theologische Studien, 120.
Kart. DM 59,-.

Diese Freiburger Dissertation von 1979 will „die innere Einheit"
des allein in den Hauptschriften über 10 000 Seiten umfassenden
Werkes von Balthasars „ans Licht heben". Dieses nicht „leichte
Unterfangen" (279) wird in drei Schritten vollzogen. Die „Hinführung
" (27-76) gibt einen „werkgeschichtlichen Überblick" (27-52),
der, etwas schematisch, fünf Dekaden im Schrifttum B.s (1925-1975)
vorstellt und überdies die Denk- und Sprachgestalt des behandelten
Autors (53-76) präsentiert. Die „Darstellung" (79-239) des opus
mirandum (309) konzentriert sich auf den Wahrheitstraktat von 1947
(79-112), dem ein 1. Exkurs über B.s Verhältnis zu Rahner angefügt
ist (113-132), die 7 Bände der theologischen Ästhetik - „Herrlichkeit"
- (147-200) und die bis 1976 erschienenen beiden Bände der „Theodramatik
" (201-239). „Der ästhetische Ansatz" führt zu einem
2. Exkurs: „B.s Überlegungen zur christlichen Kunst" (191-200),
dem dramatischen wird ein 3. Exkurs über den „Stellenwert der
(antiken) Tragödie" bei B. (228-239) angefügt. Dem Abschnitt über
die „Herrlichkeit" geht ein konstruktiv postulierendes Kapitel voran,
das in B.s Werk „Die Anlage der Trilogie" (133-146) in der Abfolge
von „theologischer Ästhetik", „theologischer Dramatik" und „theologischer
Logik" (139) als Projekt B.s selbst, das freilich bislang Torso
blieb, entdeckt. Der 3. Teil geht „von der Darstellung zur Deutung"
über (243-303). „Der Liebesbegriff" wird in seinen „begrifft- und
motivgeschichtlichen Variationen" (247-265) und „theologischsystematischen
Facetten" (266-279) vorgestellt. Als Fazit erscheint
die „Analogia Caritatis" (281-303), „Deutungsprinzip" des Werkes
und „Weltformel" (310) zugleich. Zum „Schluß" (307-321) vergewissert
sich Lochbrunner seines Vorgehens und endet mit einem Hinweis
auf B.s mystische Gefährtin, Adrienne von Speyer (3200- Der „Anhang
" stellt in Daten den Lebensweg B.s vor und gibt einen umfangreichen
Abriß der Sekundärliteratur (329-339). Ein Personen- und
Sachregister (343-350) runden die fleißige Arbeit ab.

Lochbrunners Präsentation Balthasars eröffnet die Chance, daß
auch die evangelische Theologie den Reichtum dieses alteuropäischen
„Universalgelehrten" (316), die Kraft der johanneischen Spiritualität
einer „knieenden Theologie" (69) und den Mut des Widerspruchs
zu herrschenden Tendenzen - 1952: „Schleifung der Bastionen
", 1966: „Cordula oder der Ernstfall" - als Antidota ihrer
anämischen Blässe und religiösen Erfahrungsarmut wahrnimmt.
Daran sollte sie sich auch nicht durch den Umstand hindern lassen,
daß die Schriften des einstigen Jesuiten bis in die Wolle römisch-
marianisch getränkt sind und von einer Berührung mit Luther nicht
eine Spur zu entdecken ist (vgl. 73, 195, 219, 254). Für die Vermittlung
B.s ist Lochbrunners Arbeit deshalb besonders geeignet, weil sie
das Barthbuch (1951) und dessen Umkreis zwar kennt (34 Anm. 20),
aber doch nur am Rande notiert. So werden wir genötigt, uns mit B.
selbst zu befassen und die bislang dem weit abstrakteren K. Rahner
gewidmete Aufmerksamkeit nunmehr auch dem Außenseiter Balthasar
zuzuwenden.

Der „werkgeschichtliche Überblick" (27-51) beschränkt sich weithin
„auf die Nennung der einzelnen Werke" (51). Knappe, meist formale
Charakterisierungen werden durch Lyrismen angereichert -
„Mit banger Gespanntheit nähern wir uns der vierten Dekade" (40).
Die antisystematische, die zumeist durch die geschichtliche Überlieferung
vermittelten Inhalte phänomenologisch umkreisende Methode,
seine ikonographische Metaphorik, der Abstand zu theologischer
Fachsprache und präziser philosophischer Begrifflichkeit, das häufig
neue „Begriffsinstrumentar", auch um den Preis „oszillierender
Unscharfe" (63), all dies zeigt B. als „leidenschaftlichen Anwalt des
göttlichen Geheimnisses" (68), dessen „Theologieverständnis"
(66-76) an dem „Ideal" einer „Theologie der Heiligen" (69) ausgerichtet
ist, die mit dem Zentrum seiner Christologie, der „Theologie
des Karsamstags" (71) in einer typischen Verschlingung koinzidiert
(vgl. Mysterium paschale, in: MySal III/2).

Es hat dennoch gute Gründe, daß Lochbrunner seine „Darstellung"
mit der metaphysischen Studie „Wahrheit, Wahrheit der Welt",
1947, eröffnet (79-112). „Der großen abendländischen Denktradition
verpflichtet" (840, will B. „das eindimensionale Wirklichkeitsverständnis
der Nachneuzeit" (85) aufbrechen. Anders als bei den
Transzendentalisten (Marechal, Rahner) soll durch eine „Ontologie"
und „Phänomenologie der uns bekannten und begegnenden Wahr-