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Ausgabe:

1983

Spalte:

456-457

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Thompson, Ian

Titel/Untertitel:

Being and meaning 1983

Rezensent:

Langer, Jens

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 6

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als notwendig in Anspruch zu nehmendes, aber auch weitgespanntes
und keinesfalls engmaschiges Koordinatennetz zur Aufnahme,
Ortung, Evidenzprüfung der vielfältigen religiösen Erfahrung. Das
überbordende Material, auch von der Hand des mit souveräner Gelehrtheit
operierenden Autors nur mühsam gebändigt, zeigt dabei
manche unvermuteten Perspektiven und fließende Grenzen der Überzeugungskraft
. Erstaunlich wirkt des öfteren die Vorurteilslosigkeit
des Autors, die einem manchmal sogar ein wenig bange macht (vgl.
dasS. 137ff, 140ff über den „Spiritismus" Gesagte).

Versuchen wir zum Schluß noch eine Bilanz des Erreichten unter
systematischem Blickpunkt:

(1.) Der system„hierarchische" Standpunkt abgestufter Akzeptabilität
macht die religionsphilosophisch vorgehende Vernunft zu einem
gleich notwendigen wie schmiegsamen Instrumentarium. Exakte
Strenge der Methode bleibt unabdingbarer Maßstab - und bringt doch
durch Axiomatik und Kalkülbasis eine Selbstrelativierung der Ergebnisse
mit sich. Beides gehört zueinander. Mit dieser „Selbstrelativierung
" (das Wort freilich in einem sehr präzisen Sinn genommen) der
logisch-analytischen Philosophie wird das Kantsche Programm, die
natürliche Vernunft auf ihre Möglichkeiten und Grenzen zu prüfen,
einer neuen, mit exakteren Mitteln unternommenen Lösung zugeführt
.

(2.) Gerade auf dem angezeigten Weg wird aber auch (über die Philosophie
von Leibniz und Scholz) ein Anschluß an die philosophia
(und theologia) perennis wiedergewonnen, der durch Kant zugemauert
schien. Dies zeigt sich an der Durchführung des (ontolo-
gischen und kosmologischen) Gottesbeweises, des Aufweises seiner
Argumentationsstruktur, seiner Plausibilität und seiner relativen Beweiskraft
. Da in der Philosophie das „Können des Dürfens Maß" darstellt
, wirkt das Ergebnis entideologisierend und entzieht durch seine
sachliche Überzeugungskraft manchem heute noch tradierten Vorurteil
den Boden.

(3.) Da auch die Theologie an die Wahrnehmung der argumentativen
Funktion der Vernunft und ihrer Wahrheitsfrage gebunden ist, zeigt
sich weiter, daß der „Gott der Philosophen" in ihr Heimatrecht besitzt
und Platz finden muß. Für den Gedanken einer „natürlichen
Theologie" hat dies gleichermaßen reinigende wie befreiende Konsequenzen
.

(4.) Angesichts der Notwendigkeit, die Mannigfaltigkeit der religiösen
Phänomene heute auf weltweiter Basis philosophisch in den Griff zu
bekommen, kann das beschriebene Koordinatennetz der Betrachtung
mit seiner argumentativen Struktur und seinen abgestuften Kriterien
der Akzeptation eine sehr plausible Basis der Vergleichung bieten.
Der „Justifikationsprozeß" der Religionen im Gespräch miteinander
erhält so in der Religionsphilosophie einen gleich behutsamen, wie
vorurteilslosen Begleiter.

Raisdorf b. Kiel Eberhard Wölfel

Pöhlmann, Horst Georg, u. Werner Brändle [Hrsg.]: Religionsphilosophie
. Eine Einführung mit ausgewählten Texten. Gütersloh
: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1982. 175 S. 8*. geb.
DM 48,-.

Angesichts der Wichtigkeit und des wiedererstarkenden Interesses
an der Religionsphilosophie kann eine Textsammlung, die sich zugleich
für den akademischen Gebrauch in Seminaren wie für private
Einübung in Religionsphilosophie eignet, nur begrüßt werden. Die
mit äußerst knappen, aber meist zweckdienlichen Hinführungen versehenen
Texte sind Kant, Fichte, SchJeiermacher, Schelling, Hegel,
Schopenhauer, Feuerbach, Kierkegaard, Nietzsche, Simmel,
Troeltsch, Otto, Scheler, Ebner, Jaspers, Heidegger, Weischedel, Tillich
, Bloch, Machovec, Cioran, Kaufmann, Adorno, Heschel entnommen
. Die Erstrangigkeit der meisten hier genannten Namen bürgt für
die Qualität; ein nicht zu übersehender Mangel des Buchs besteht freilich
darin, daß weder die französische Philosophie (z. B. Bergson,

Dürkheim, Levi-Strauss), noch der angelsächsische Sprachraum
(Hume, Whitehead, W. James), noch auch die großen Russen (Solow-
jew!) zu Worte kommen - von Texten logisch oder sprachanalytisch
arbeitender Philosophen ganz zu schweigen. So begegnet im Buch nur
das Alte, Bewährte - eine Chance wird in ihm eröffnet und gleichermaßen
wieder vertan.

Im Nachwort (H. G. Pöhlmann: „Recht und Chancen der Religionsphilosophie
heute", S. 164-175) hat der Autor sich nicht von
seiner stärksten Seite gezeigt. Mittlerweile an Texten von Kant und
Hegel geübt, verwöhnt von der Sprache Nietzsches, begegnen dem
Leser nun zum Beispiel Sätze wie: „Religion ereignet sich überall
dort, wo mir die Schuhe des Gewohnten ausgezogen werden und ich
barfuß dastehe" (S. 165). Die verwendete Begrifflichkeit ist öfters
dementsprechend. Der Leser, durch das Versprechen des Vorworts
(S. 7): „Der Aufsatz am Schluß des Buches versucht, eine religionsphilosophische
Konzeption für die Gegenwart zu skizzieren" gespannt
gemacht (vor allem darauf, wie sich solches Vorhaben auf
weniger als 12 Seiten wohl realisieren ließe), wendet sich am Ende
wieder lieber den Texten selbst zu - und tut gut daran, denn hier kann
er immer erneut viel lernen.

Raisdorf b. Kiel Eberhard Wölfel

Thompson, Ian E.: Being and Meaning. Paul Tillich's Theory of
Meaning, Truth and Logic. Edinburgh: Edinburgh University Press
1981.XII,244 S.8". Lw.£15.-.

Henel, Ingeborg C.: Philosophie und Theologie im Werk Paul Tillichs.

Frankfurt-Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk 1981. 76 S. 8°.
Kart. DM9,80.

Hans-Georg Gadamer hat sich über den Tillich der Marburger Zeit
in freundschaftlicher Gesinnung kritisch geäußert: „Das eigentliche
Problem, um das es damals ging, war, wie man die große Überlieferung
einordnen sollte. Wir Heidegger-Schüler fanden Tillichs Art viel
zu wenig fundiert in wirklicher Forschung, und ich muß sagen, daß
uns Tillich in gewisser Weise später recht gegeben hat."1 Nach dem
2. Weltkrieg konstatiert Gadamer bei Tillich eine tiefe innere Reife
und bemerkt zu dessen theologischer Arbeit: „Mein Eindruck von
Tillichs eigenen Vorträgen war, als ob er zu große Gewichte mit einem
kleinen magischen Finger bewegte."2 Wie gesagt, die freundschaftliche
Gesinnung, aus der heraus diese Worte gesprochen, sind, bleibt
unbeschadet dieser Kritik erhalten und tritt in der Gesamtäußerung
deutlich genug zutage. Ich habe diese kritischen Akzente hervorgehoben
, weil sie klar machen, was Tillich nicht war und nicht sein
wollte, wofür er aber von begeisterten Verehrern gelegentlich auch gehalten
wurde.3 Thompson beweist Gadamers Empfindungen seinerseits
rational und detailliert.

Zwei Einsichten bestimmen die Untersuchungen: Tillichs Arbeiten
leiden nicht an zu starker, sondern an zu rascher Systematisierung.
Der Schlüssel zu Tillichs Gedanken liegt nicht allein in der Analyse
seiner philosophischen Voraussetzungen, weil jene nämlich von existentiellen
und politischen Erfahrungen inspiriert sind (XI). So ist es
naheliegend, den Stil des Autors als Schlüssel zum Werk anzusehen.
Dabei mag es zunächst befremdlich klingen, das Interesse von Tillich
am Symbol etwa im ideologischen Charakter seiner Gedanken zu finden
, weil er als „Chefideologe (sie!) der Religiös-sozialistischen Bewegung
und als Theologe" mit Propaganda beschäftigt gewesen sei (26).
Vf. führt aber selber aus, was er damit praktisch meint: Tillich ist
daran interessiert gewesen, Haltung und Verhalten von Menschen zu
ändern (27). Dem wird man zustimmen können, gerade auch zur Differenzierung
von Gadamers Position. Tillich hat die Kanones exakter
Wissenschaft verworfen und den kritischen Geist kanonisiert, und
zwar mit dem Anliegen, die Welt zu verändern, anstatt sie kontemplativ
zu betrachten (209 f). Besonders reizvoll ist die Darstellung
von Tillichs Nominalismus-Kritik. Die Erinnerung an den mittelalterlichen
Realismus-Streit ruft Gedanken über eine komplizierte