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Ausgabe:

1983

Spalte:

451-453

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Badstübner, Ernst

Titel/Untertitel:

Stadtkirchen der Mark Brandenburg 1983

Rezensent:

Poscharsky, Peter

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 6

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werden Traditionen, die sich nur bis ins 17. Jh. zurückverfolgen lassen
(S. 11), ebenso genannt wie mögliche dominikanische Einflüsse
(S. 24). Fälschungen und fragliche Denkmäler werden breit diskutiert.
Das älteste Denkmal, die wohl um 160 errichtete Memorie an der via
Ostiense wird nur erwähnt (S. 17), auf den 258 eingerichteten Kultplatz
unter S. Sebastiano nebenbei verwiesen (S. 17 Anm. 57). Die
Petrus-Paulus-Darstellungen der Sarkophagplastik und der Katakombenmalerei
sind nur mit einer pauschalen Erwähnung bedacht worden
: „Zahlreicher werden die Paulusbilder nur, wenn Paulus in den
Sog der Petrusikonographie gerät, was nicht schon am Beginn des
4. Jahrhunderts geschieht, als sich ein ganzer Zyklus von Petrusszenen
die Schauseiten der Friessarkophage erobert, sondern erst um die
Jahrhundertmitte auf den Passionssarkophagen." Das ist insofern
falsch, als auf dem Floria-Sarkophag in Saragossa Petrus und Paulus
namentlich bezeichnet sind, und mit ihrem Erscheinen auch dort gerechnet
werden muß, wo keine Inschriften beigegeben sind. Noch
summarischer werden die Darstellungen Christi mit den Apostelfürsten
abgetan (S. 31). Daß es in Ravenna die Gesetzesübergabe an
Paulus gibt, wird nebenbei gesagt (S. 21 Anm. 77). Goldgläser fehlen
ganz, das vatikanische Petrus-Paulus-Medaillon wie die Berliner
Bronzefiguren werden nicht erwähnt. Weiteres könnte angefügt
werden. Die apokryphe Paulus-Literatur, gewiß doch ein wichtiges
Zeugnis für die Rolle, die Paulus in der Frömmigkeit spielte, wird nur
gelegentlich genannt (S. 17.27.29). Etwas häufiger wird auf die
Thekla-Akten Bezug genommen.

Alles das ändert nichts an dem Ergebnis, zu dem D. kommt: Paulus
steht im Kult weit hinter anderen Heiligen zurück. Das Thema des
Vortrages ist jedoch in keiner Weise gerechtfertigt.

Greifswald Hans Georg Thümmel

Badstübner, Ernst: Stadtkirchen der Mark Brandenburg. Berlin:
Evang. Verlagsanstalt 1982. 216 S., m. vielen Abb. auf Taf. 1 Kte
4*. Lw. DDR M 29,50; Ausland 39,-.

In der Reihe der Publikationen von Stadt- und Landkirchen in der
DDR liegt nun auch ein Band über die Stadtkirchen der Mark Brandenburg
vor. In gewohnter Weise folgt auf einen einleitenden Text (36
Seiten) der umfangreiche Tafelteil (120 Seiten), dem sich (auf 46 Seiten
) Einzeldarstellungen zu insgesamt 90 Orten anschließen. Außer
einem Personen- und Sachregister (5 Seiten) sind Angaben zur Literatur
gemacht, erfreulicherweise nicht als bloße Auflistung, sondern
kommentierend und dem Leser somit Hilfen gebend. Die Fotos sind
von sehr guter Qualität, wenn sie auch, wie leider üblich, nur die
reine, das heißt menschenleere Architektur zeigen. Die Farbabbildungen
sind etwas zu hell und leicht gedruckt, trotzdem hätte man auf sie
nicht verzichten können. Die beigegebenen Grundrisse sind hilfreich,
geben aber nur die Architektur einschließlich der Gewölbeformen
wieder und spiegeln nicht die Nutzung der Räume. Die Texte sind insgesamt
sehr komprimiert, erheben diesen Band dadurch aber über
ein Bilderbuch und machen ihn auch für den fachlich Vorgebildeten
wichtig.

Der einführende Text bringt nach einer Landschaftsbeschreibung
einen geschichtlichen Überblick, in dem jedoch bei aller Breite der
Darstellung die Kirchengeschichte, ganz zu schweigen die Frömmigkeitsgeschichte
, zu kurz kommt. Dagegen finden sich hier sehr interessante
und wohl nicht nur auf Brandenburg zutreffende Beobachtungen
über die Relation von Stadtentwicklung und Kirchenbau sowie
über das Wechselverhältnis von Rechtsstatus der Stadt und Baugestalt
der Kirche. Solange kein rechtlicher Unterschied zwischen Stadt und
Dorf bestand, folgten die Kirchen in den Städten den Formen der
Dorfkirchen, waren nur größer. Erst nach Erringung der rechtlichen
Selbständigkeit der Stadt (in Brandenburg in der zweiten Hälfte des
13. Jahrhunderts) trat dort nun eine eigene Bauform, die Hallenkirche
, auf.

Das Schwergewicht der Darstellung im Text und der Darbietung im
Abbildungsteil liegt auf dem Mittelalter, der vorreformatorischen
Zeit. Positiv formuliert werden die vorhandenen Bauten von ihrer
Entstehung und ihrer baulichen Urgestalt her vorgeführt. Daß dabei
die größeren und bedeutenderen Kirchen im Vordergrund« stehen, ist
eine logische Folge des Interesses der Kunstgeschichte, nur immer den
führenden und weiterwirkenden Leuten und Kräften nachzuspüren.
Aber es ist doch zu fragen, ob man nur die Urgestalt im Auge haben
sollte und nicht auch all das, was an und in diesen Kirchen seit ihrer
Entstehung in einem stets lebendigen Prozeß umgestaltet und verändert
wurde. Gerade wenn man Kirchen als Geschichtsdokumente ansieht
- und in der Tat sind sie ja an vielen Orten die ältesten historischen
Dokumente - sollte man doch das nicht vernachlässigen, was
sich aus dem ganzen Ablauf der Geschichte in ihnen ablesen läßt,
sollte man dies nicht übergehen und so den Eindruck entstehen lassen,
als sei dies unwesentlich oder gar störend. Für den Besucher, und noch
mehr für den Benutzer einer historischen Kirche ist die heutige Gestalt
nicht nur der erste Eindruck, sondern oftmals trotz aller stilistischen
Vielfalt auch eine Einheit. Jedenfalls besteht sein Interesse nicht
nur am Herausschälen der Urform. Andere Bände dieser Reihe, etwa
zu den Stadtkirchen in Thüringen, tragen dem Rechnung, wenn sie im
Text etwa die Ausstattung der Kirchen gesondert behandeln.

Hier aber zeigen sich die Grenzen dieses Buches. Daß es sich um
Räume für den Gottesdienst der lebenden Gemeinde handelt, daß
diese bei aller Bereitschaft auch große Probleme bei ihrer Erhaltung
hat, das wird nur aus dem Geleitwort des Bischofs Schönherr deutlich.
Der Autor hat leider nur ein unpräzises Bild von der Geschichte des
protestantischen Kirchenbaues und den dort wirkenden Kräften. Dies
zeigt auch die angegebene veraltete Literatur. So schuf Sturm keine
theoretischen Grundlagen oder gar Vorschriften. Er wirkte und
veröffentlichte ja viel zu spät, um so wirken zu können. Das vermerkt
der Autor, sich hier selbst widersprechend, auch. Was man hier vermißt
, ist der Nachweis, daß der in Frankfurt an der Oder wirkende
Sturm konkret über ausgebildete Schüler in Brandenburg gewirkt hat.
Leider wird dies nur als Vermutung geäußert.

Auch etwa die Bedeutung der Emporen wird nicht korrekt gesehen,
denn sie waren nicht primär wegen der Konstruktion notwendig, sondern
um durch das Vermieten der Plätze notwendige Mittel zur
Bauerhaltung zu gewinnen. Mißverständlich formuliert ist auch, daß
die Kanzel in der Mitte der Längsseite seit den Schloßkapellen üblich
sei, deren Rolle hier noch überbewertet wird. Die Konsequenz der
Kanzelstellung auf das Gestühl wird ganz übergangen, obwohl gerade
Beeskow in Brandenburg schon in der alten Literatur immer als
Musterbeispiel des Umganges der Lutheraner mit alten Räumen im
16. und 19. Jahrhundert angeführt wird. Auch ist der Bau der fran-
zösisch-reformierten Kirche in Berlin kein Versuch der Nachahmung
von Charenton im Sinne einer verabscheuungswürdigen Kopie, die
eigene Unfähigkeit beweist, sondern ein ganz bewußter Anschluß, den
der reformierte Kirchenbau fast immer versucht hat, um der Identifikation
mit der reformierten Gesamtkirche und im Absetzen von den
Lutheranern theologisch notwendig und gewollt. - Manch anderes
wird nur so nebenher erwähnt, ohne daß ein erklärendes Wort folgt.
Wer weiß zum Beispiel etwas über lutherische Beichtstühle, ihre
Funktion, ihren Schmuck und ihre Verwendungszeit?

So gut dieser Band das Verhältnis Stadt - Kirche im Mittelalter
angeht, im Bereich der heutigen Nutzung und der Geschichte des protestantischen
Kirchenbaues wird nicht mit entsprechenden Kriterien
und Maßstäben gearbeitet. Gerade etwa das Gestühl als Spiegelbild
der sozialen Gliederung der bürgerlichen Gemeinde auch im Gottesdienst
wäre eine konsequente Fortführung des beim Mittelalter praktizierten
Ansatzes. Aber protestantischer Kirchenbau hat bisher kaum
einen Kunsthistoriker interessiert, so daß man die Vorwürfe nicht
dem Autor, sondern der Kunstgeschichte insgesamt machen muß.

Trotzdem: auch dieses Buch ist von großem Wert, weil es Einblicke
in die große Vielfalt dessen zeigt, in dem lebendige Gemeinde lebt,
umgeben und mit Nutzung dessen, was ihre Vorfahren hinterließen,