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Ausgabe:

1983

Spalte:

438-439

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Liebmann, Maximilian

Titel/Untertitel:

Urbanus Rhegius und die Anfaenge der Reformation 1983

Rezensent:

Bräuer, Siegfried

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 6

438

niederdeutschen Text auf der linken Seite des aufgeschlagenen Buches
nun zu finden, während die Übertragung ins Hochdeutsche von
Hauschild auf der rechten Seite angeboten wird. Damit ist einfache
Vergleichsmöglichkeit gegeben. Gerade der Freund der niederdeutschen
Sprache - die Liebe zu ihr ist weiter groß - findet durch diese
Edition Gelegenheit, frömmigkeits- und kirchenrechtsgeschichtliche
Formulierungen in volkstümlicher Sprache und in originalem Druck-
und Schriftbild (jetzt leicht gegenüber der Erstausgabe vergrößert aus
buchtechnischen Gründen) zu studieren. Erläuternde Anmerkungen
erschließen wie auch die Einleitung vorzüglich Zusammenhänge der
für die Stadtgeschichte Lübecks folgenreichen Kirchenordnung.

Die übersichtliche Einleitung durch den Herausgeber zeigt die Forschungslage
zur Lübecker Kirchenordnung auf. Dabei kommt durchgehend
die in der „Kirchengeschichte Lübecks" (S. 187ff) ausführlich
belegte Feststellung Hauschilds zum Tragen: Es „ergab sich eine
Kontinuität, die es unmöglich machte, von einer ,neuen' Kirche zu
sprechen. Es ging um .Kirchenverbesserung', wie man damals zutreffend
formulierte, auf dem Fundament einer erneuerten Frömmigkeit
". Der Reiz dieser Kirchenordnung liegt neben ihrem weithin predigtartigen
Stil in ihrer Begrenzung auf das gut überschaubare Territorium
der einflußreichen Freien Reichsstadt Lübeck mit ihrer hanseatischen
Tradition beim Übergang in ein neues Zeitalter. - „Die
butenstädtische Kirchenordnung" für einige kleinere Territorien als
Streubesitz der Stadt ist ebenfalls wiedergegeben; sie stammt nicht von
Bugenhagen, nimmt aber seine Prinzipien auf.

In Lübeck korrespondieren die reformatorischen Erkenntnisse den
aktuellen Bedürfnissen. Sein geniales Geschick läßt den Reformator
Bugenhagen den strukturellen Erfordernissen im Gefüge der Stadtordnung
gemäß Tiandeln. Das Machbare wird dem evangelischen Verständnis
entsprechend organisiert. Schon der kluge Aufbau der Kirchenordnung
gleicht einer Argumentation mit widerstrebenden
Kräften im Rat. Der L Teil bringt die Schulordnung (das Schulwesen
wird aus .der kirchlichen Trägerschaft genommen und zu einer
gesamtstädtischen Angelegenheit): „Vor de ioget möte wy hebben
eine gude Schole/dar der borger kindere beter ynne geleret
werden /wen bet to hehr" (S. 3). Immer wieder beeindruckt der Sinn
für das Gebotene; Behutsamkeit und Konsequenz treten in den einzelnen
Artikeln deutlich hervor. Das gilt auch für den II. Teil „Ordnung
des geistlichen Amtes" und für den III. Teil „Ordnung der Armenfürsorge
", dessen große sozialgeschichtliche Bedeutung für die Stadt beispielhaft
ist. Auch die Bugenhagenschen Kirchenordnungen für
Braunschweig und Hamburg waren mit dieser Gliederung entworfen.
In Lübeck findet sich erstmalig die Gottesdienstordnung zusammen
mit der Schulordnung.

Die nun vorliegende Neuausgabe der Lübecker Kirchenordnung
von Johannes Bugenhagen macht das praktisch-theologische Charisma
dieses Reformators erneut offenbar. Die konservative Progressivst
Bugenhagens in der Gestaltung geschichtlicher Erfordernisse in
krisenbestimmten Jahrzehnten aus der Kraft des entdeckten Evange-
'iums lassen seine Wirkung und lutherische Prominenz im Kreis der
Reformatoren luzid hervortreten. Überzeugend klingt in den stadt-
und kirchenrechtlichen Formulierungen der Artikel der Kirchenordnung
evangelischer Sinn.

Willkommen ist diese Neuausgabe im Blick auf die mit dem Lutherjubiläum
1983 in Verbindung stehende Bewegung in der allgemeinen
reformationsgeschichtlichen Forschung, dazu aber auch bereits
a's schöner Beitrag für die Bemühungen um neue Würdigung des „Dr.
Pomer" zur 500. Wiederkehr seines Geburtstages am 24. Juni 1985.

Wismar Michael Bunners

Liebmann, Maximilian: Urbanus Rhegius und die Anfänge der Reformation
. Beiträge zu seinem Leben, seiner Lehre und seinem Wirken
bis zum Augsburger Reichstag von 1530 mit einer Bibliographie
seiner Schriften. Münster: Aschendorff 1980. XVI, 480 S. 8 = Reformationsgeschichtliche
Studien und Texte, 117. Kart. DM 135,-.

Urban Rhegius (= R.) gehört zu den Erfolgsautoren der Reformation
. Von seiner „Seelenarznei" sind 121 Ausgaben bekannt. Sie
erschien in zehn Sprachen. Bis in die jüngste Zeit zählte R. dennoch zu
den Stiefkindern der Forschung. Die vor mehr als hundert Jahren von
G. Uhlhorn erarbeitete Basis wurde nur geringfügig ergänzt. Erst Ende
1976 begann eine neue Etappe mit R. Gereckes Dissertation über R.s
kirchenregimentliche Tätigkeit in Norddeutschland. Fast gleichzeitig^
(1977) schloß Liebmann (= L.) seine Habil.-schrift ab, die jetzt im
Druck vorliegt.

L. geht es um nicht weniger als die Grundlegung einer neuen
R.-forschung, für die er eine genaue und vollständige Bibliographie
von R.' schriftlicher Hinterlassenschaft erarbeitet hat und im 2. Teil
seiner Monographie wiedergibt (319-434). Im 1. Teil stellt er schwerpunktartig
Lebensgang und Theologie des R. bis 1530 dar (68-318),
nachdem er einen ausführlichen Überblick über die R.-literatur vom
16. Jahrhundert bis zur Gegenwart gegeben hat (7-67). Im Blick auf
R.' Herkunft kommt L. zu dem Ergebnis, daß R. höchstwahrscheinlich
ein Sohn des Benefiziaten Konrad Rieger in Langenargen war.
Die Mutter könnte König geheißen haben. Als Geburtsdatum ist vermutlich
die Zeit vom 20.-23. Mai 1489 anzusehen. Der Bildungsgang
in der Lindauer Lateinschule sowie an den Universitäten Freiburg
i.Br. und Ingolstadt war der übliche. Bemerkenswert ist nur ein besonders
enges Verhältnis zu seinem Lehrer Johann Eck. Nach dem Theologiestudium
in Tübingen und Basel wird er das Doktorat der Theologie
erworben haben, weil dies für die Domprädikatur in Augsburg notwendig
war. Zunächst war er als Priester (Weihe Ende Februar 1519)
in Konstanz tätig und engagierte sich in einer Schrift für die Verbesserung
der Priesterausbildung. Als er am 21. November 1520 sein
Amt als Domprediger in Augsburg antrat, scheint er in seiner Stellung
zu Luther zumindest noch unsicher gewesen zu sein. Er verkündigte
die Bulle gegen Luther, trat aber bald in einer Pseudonym erschienenen
Schrift für Luther als besseren Interpreten des alten Glaubens ein.
Vor allem wegen seiner Predigt gegen den Ablaß erregte er im Domkapitel
Anstoß und gab im Herbst 1522 seine Prädikatur auf. In der
Folgezeit hielt er sich im heimatlichen Langenargen auf, war Inhaber
der Prinzipalkaplanei in Hall und ging zwischenzeitlich nach Augsburg
. Nach Augsburg floh er auch im Frühjahr 1524, als er sich durch
seine Hinwendung zur Reformation und sein literarisches Wirken die
Feindschaft des Brixener Bischofs, Johann Ecks und Johann Fabris
zugezogen hatte. Für R.' reformatorisches Wirken in Augsburg, das
1524 begann, ist seine umfangreiche Predigttätigkeit, der öffentliche
Bruch mit der alten Kirche durch Hochzeit (Juni 1525) und evangelische
Abendmahlsfeier (Weihnachten 1525) sowie die vom Rat
unterstützte Bekämpfung der Täufer kennzeichnend. Anhand der
Beichtlehre weist L. nach, daß der Kontakt zu Zwingli und der abnehmende
Einfluß von Erasmus nichts an der eigenständigen lutherischen
Position von R. änderten. Die Untersuchung von R.' Tätigkeit während
des Augsburger Reichstages 1530 wird partienweise zur Darstellung
des Reichstagsgeschehens überhaupt. Mit dem vom Kaiser ausgehenden
allgemeinen Predigtverbot endete auch R.' Predigttätigkeit
in Süddeutschland. Während der Reichstagsverhandlungen schloß
sich R. Melanchthons Standpunkt an. L. vertritt die Auffassung, es sei
zum guten Teil R. zu verdanken, daß Philipp von Hessen die CA
unterschrieb. R. trage durch seine Teilnahme an der Endredaktion
auch die Mitverantwortung für die CA und sei indirekt an der Durchsetzung
der Verlesung mitbeteiligt. Da sich die vermittelnde Linie des
„Melanchthon-Rhegius-Flügels" nicht durchsetzen konnte, verließ
R. am 26. August 1530 Augsburg. Nach einem kurzen Aufenthalt bei
Luther auf der Coburg nahm er seine reformatorische Tätigkeit im
Gebiet Herzog Emsts von Lüneburg auf.