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Ausgabe:

1983

Spalte:

434-435

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Von der Reformation bis in die Gegenwart 1983

Rezensent:

Haendler, Gert

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 6

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liste mit und gelangt so - wie u. a. Bo Reicke - zu Nero als dem ersten König der
Liste (vgl. S. 134f, l46f und die Tabelle S. 130). Eine Behandlung des tausendjährigen
Zwischenreichs klammert Günther aus, doch nennt er die wichtigste
Literatur (S. 60 mit Anm. 1).

„Der Enderwartungshorizont in den drei eschatologischen Plagenreihen und
die Chiffre von den dreieinhalb Zeiten" ist das Thema von Kapitel IV
(S. 161-262). Dabei geht es dem Verfasser vor allem um die drei Siebenerschemata
(Apk 6,1-8,1; 8,2-11,19; 15,1-16,21) sowie um die Erwähnung der
42 Monate (Apk 11,2; 13,5), 1260Tage (Apk 11,3; 12,6) und dreieinhalb Zeiten
(Apk 12,14). Günther veranschaulicht „die kompositionelle Struktur der drei
Plagenreihen und ihre Einfügung in den Gesamtaufbau der Apokalypse"
(S. 162 0, setzt sich ausführlich auseinander mit H.-P. Müller (S. 164-167) und
G. Härder (S. 189-192), untersucht form-, traditions- und literargeschichtliche
Aspekte der drei Sieben-Plagen-Reihen, führt sorgfältige Einzelanalysen durch
und bietet ein Resümee (S. 233-239). Er vertritt die These, „daß das Siebenerschema
von Johannes selbst als literarisches Strukturprinzip nach dem Vorbild
der ägyptischen Plagen entworfen ist" (S. 236). Die drei Sieben-Plagen-Reihen
sind einerseits literarische Parallelen, bewußt redigiert und auf die Parusie
(Apk 19,11-21) bezogen, so daß sich eine fortlaufend-chronologische Deutung
verbietet (S. 2350; andererseits aber hat der Apokalyptiker jeder Reihe einen
anderen Höhepunkt gegeben (S. 235 unten) und durch die Aufeinanderfolge der
drei Reihen mit ihren immer heftiger werdenden Strafgerichten das endzeitliche
Geschehen dramatisiert, so daß auch die Rekapitulationstheorie des Tyconius
und seiner Nachfolger abzuweisen ist (S. 233,234f, 238f). „Die Chiffre von den
dreieinhalb Zeiten" (S. 239-262) schließlich, zurückgehend auf Dan 7,25; 12,7,
bezeichnet „die ganze Dauer der endzeitlichen Frist, in der der Antichrist unter
vielerlei Gestalt die Kirche verfolgt" (S. 262).

Den Ertrag der gesamten Untersuchung nennt die Überschrift des
abschließenden Kapitels V („Der dialektische Charakter der Escha-
tologie als eigentlicher Verstehenshorizont der Apokalypse",
S. 263-281). Eine „thesenartige Zusammenfassung des dargelegten
Nah- und Enderwartungshorizonts" enthalten die Seiten 279-281;
Günther führt noch einmal aus, daß die Apokalypse des Johannes
keinen Ansatzpunkt Tür eine Berechnung des Parusietermins bieten
Will, daß hochgespannte Naherwartung (und dadurch Qualifizierung
der Gegenwart als Endzeit) und zukunftsbezogene Enderwartung (mit
„apokalyptischer" Bewältigung der Parusieverzögerung) einander
nicht ausschließen, sondern dialektisch aufeinander bezogen sind
(S. 279 f). „Die Endzeit erstreckt sich seit dem Christusereignis von der
Gegenwart des Verfassers bis zur Parusie" (S. 280). Die eschatolo-
gische Konzeption der Apokalypse steht in engem Zusammenhang
mit ihrer Ekklesiologie und Christologie; die Kirche ist als endzeit-
•iches Zwölfstämmevolk die „legitime Fortsetzung" des alttestament-
üchen Bundesvolkes, und die messianischen Hoffnungen Israels sind
in dem Christus Jesus erfüllt (S. 281).

Ausführliche und sorgfältige Register der Abkürzungen (S. 282-284), Personen
(S. 285-289), Apk-Belege (S. 290-297) und Literaturtitel (S. 298-315)
beschließen den Band.

Die Abhandlung Hans Werner Günthers, gut disponiert und flüssig
geschrieben, ist ein bedeutsamer Beitrag zur Erforschung und Hermeneutik
des oft verkannten letzten Buchs der Bibel. Den Ergebnissen
Günthers ist grundsätzlich zuzustimmen, ebenso wie seiner Kombination
der exegetischen Methoden. Anfragen des Rezensenten im einzelnen
betreffen nur Randprobleme, so die allzu selbstverständliche
„symbolische" Deutung des Millenniums (S. 55) oder die allzu kategorische
Abweisung einer zeitgeschichtlich-konkreten Deutung der
beiden Zeugen von Apk 11 (S. 252-254). Formale Flüchtigkeiten
(Tippfehler, falsche Trennungen, Zeichensetzung) halten sich in
Grenzen; die griechisch geschriebenen Wörter und Wendungen verraten
größte Sorgfalt des Schreibers bzw. Korrektors. Daß Günthers
wichtiger und anregender Untersuchung die Form eines konventionellen
Buchdrucks (oder doch wenigstens ein Randausgleich des
Typoskripts) versagt worden ist, bleibt zu bedauern.

Mainz Otto Böcher

Kirchengeschichte: Allgemeines

Aland, Kurt: Geschichte der Christenheit. Band II: Von der Reformation
bis in die Gegenwart. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus
Gerd Mohn 1982. 540 S. gr.8"Lw. DM 58,-.

Das Vorwort nennt als Grundproblem für den 2. Band die Fülle der
Quellen, die die Gewinnung eines „zuverlässigen Gesamtbildes oft
genug nicht erleichtert, sondern erschwert" (9). Aland hält konse-
quentdie Linie von Band 1 durch (ThLZ 107, 1982 Sp. 745-747): Die
ihm wichtigen Linien werden herausgehoben, dafür werden manche
Vorgänge nur angedeutet oder weggelassen. Anders kann man auch
nicht verfahren. Rund ein Viertel der verwendeten Seiten gilt dem
Kap. II „Die Reformation Martin Luthers" (35-143), allein für
Luthers Entwicklung bis zum Jahre 1525 werden 60 Seiten verwen*.
det! Für Zwingli werden 16, für Calvin 20 Seiten, für die „kleinen"
Reformatoren 2 und für den „linken Flügel" der Reformatoren 3 Seiten
gebraucht. Dafür wird bei Luther häufig auf Quellen zurückgegriffen
: Seine autobiographische Vorrede von 1545 wird geboten (47-51),
aus seiner Schrift Wider Hans Worst werden die Mitteilungen über
den Ablaßstreit zitiert (53 f), aus Luthers Brief an Kardinal Albrecht
vom 31. 10. 1517 sowie aus den 95 Thesen werden Teile wörtlich gebracht
(59-64). Dieser Schwerpunkt bei Luther wird begründet: „Wo
werden die Schriften Luthers... heute noch als aktuelle Hilfe für
aktuelle Probleme gelesen? Wo in der Gemeinde werden die Schriften
überhaupt gelesen?. .. Wer von den evangelischen Pfarrern liest die
Schriften Luthers als Handreichung für seine Arbeit von heute? Im
Konfirmandenunterricht ist der Gebrauch von Luthers Kleinem Katechismus
... als Grundlage für den Unterricht auf erschreckende
Weise zurückgegangen. Von welchen Voraussetzungen leben diese
Pastoren eigentlich, und wie wollen sie die künftigen Glieder der Gemeinde
Jesu Christi auf ihre Aufgaben vorbereiten?" (34). Es bleibt zu
fragen, ob man mit solchen Sätzen zur Beschäftigung mit Luther anregen
kann. Eher könnten es Sätze, die A. im Zusammenhang mit dem
Kleinen Katechismus formuliert: „Ich würde meinen, daß der evangelische
Christ, wenn er nach dem Inhalt seines Glaubens gefragt wird
und ihn in wenigen Sätzen aussagen soll, noch immer guttut, die Erklärung
zum zweiten Artikel zu nehmen." Nach dem vollen Wortlaut
dieser Erklärung fährt A. fort: „Darüber geht nichts, wie überhaupt
nichts über den Kleinen Katechismus geht, der vom evangelischen
Christen als Zusammenfassung seines Glaubens regelmäßig gelesen
und meditiert werden sollte" (112). Freilich hat die Begeisterung für
Luther auch Grenzen: Beim heutigen Gesangbuch bedauert A., daß
man Texte und Melodien des 16. Jahrhunderts übernommen hat
„ohne Rücksicht darauf, ob die Gemeinde den Text dieses Kirchenliedes
auch vollständig versteht, ohne Rücksicht darauf, ob diese
Melodie auch eine Melodie des 20. Jahrhunderts ist. Die Tatsache,
daß bei Lutherliedern historisch-philologische Anmerkungen zur
Texterklärung angebracht werden mußten, spricht für sich!" (298).

Die konfessionellen Kämpfe bis 1648 werden auf 17 Seiten geboten,
dem Pietismus werden 27 Seiten gewidmet; er „stellt ohne Zweifel die
bedeutendste innerkirchliche Bewegung innerhalb des Protestantismus
seit der Reformation dar... seine Wirkungen gehen bis in die
Gegenwart" (211). Unter der Überschrift „Der Katholizismus bis
zum Ersten Vatikanischen Konzil" werden Beziehungen zum 2. Vati-
kanum aufgezeigt; wichtige Texte des 1. und 2. Vatikanischen Konzils
werden zitiert (286-290). Beim Thema „Union" werden die Linien
weit gezogen: „Der Kirchenkampf nach 1933 hatte gezeigt, daß die
Evangelische Kirche der altpreußischen Union keineswegs tot war.
Sie hatte unter den allerschwersten Bedingungen zu kämpfen/Denn
sie war die Kirche, die zuerst und am gründlichsten zerschlagen
wurde. Und trotzdem hat diese Kirche bzw. haben die Theologen
dieser Kirche den ihnen auferlegten Kampf mindestens so gut bestanden
wie nicht wenige Theologen in den Lutherischen Kirchen (oder
nicht selten besser), sei es in Hannover, Württemberg oder Bayern. In