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Ausgabe:

1983

Spalte:

432-433

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Günther, Hans Werner

Titel/Untertitel:

Der Nah- und Enderwartungshorizont in der Apokalypse des heiligen Johannes 1983

Rezensent:

Böcher, Otto

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 6

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die in dieser Aussage gipfelnde Taufperikope an den Beginn seiner Erzählung
vom Wirken Jesu stellt, setzt er ein messianisches .Vorzeichen
' vor alles folgende - auch wenn noch nicht klar ist, in welchem
Sinne Jesu Gottessohnschaft näherhin zu verstehen ist, und welcher
Art seine Herrschaft sein wird" (S. 295). b) Mk 9,7 gilt die Prädi-
zierung Jesu als endzeitlicher König „dem, der schon während seines
Erdenlebens seinen Jüngern in apokalyptisch-himmlischem Glanz
und in einer selbst durch die Osteroffenbarung nicht mehr übertroffe-
nen Herrlichkeit erscheint. Die Proklamation Jesu als ,Sohn Gottes'
ist hier allerdings bereits umrahmt von Hinweisen auf das notwendige
Leiden des Menschensohnes (Mk 8,31; 9,9.12b; vgl. auch Mk 8,34ft).
Auf diese Hinweise bezieht sich wohl ganz besonders der Imperativ
der Wolkenstimme, doch ,zu hören'!" (S. 295). c) „Das Bekenntnis
des Hauptmanns zu Jesus als dem messianischen König erfolgt
schließlich am Höhepunkt des Leidens Jesu, unmittelbar nach dessen
Tod in Dunkel und Verlassenheit (Mk 15,39)" (S. 295). Dieser Weg,
der von höchster Herrlichkeit in tiefste Not führt, entspreche genau
der Aussageintention in der redaktionellen Komposition
Mk 8,27-10,52 mit dem Petrus-Bekenntnis am Anfang und der dreifachen
Wiederholung der Leidensansage nebst Aufforderung zur
Nachfolge auf dem Kreuzes weg (S. 296-299). Markus legt hierauf das
Schwergewicht, weil in seiner Gemeinde die ,christologia crucis' mit
ihren Konsequenzen nicht ernst genommen wird (S. 304). Vf. legt
aber Wert darauf, daß nicht Mk 15,39 als „eigentliche" Aussage des
Markus gegen Mk 1,11 und 9,7 ausgespielt wird. „Das Entscheidende
ist gerade, daß der mit Mk 1,11 einsetzende Spannungsbogen erhalten
bleibt; denn nur dann wird deutlich, daß nicht irgendeiner am Kreuz
hängt und leidet, wie viele vor und nach ihm, sondern eben Gottes
geliebter Sohn. In ihm wurden die von Gott gegebenen alten Verheißungen
aufgenommen, jedoch gleichzeitig zerbrochen, .gekreuzigt',
und trotzdem gerade so eingelöst und erfüllt" (S. 305).

Der Hauptteil der Untersuchung besteht nun in einer sehr ausführlichen
und genauen Analyse der genannten Abschnitte. Dabei wird
jeweils nach einer Kontextanalyse literarkritisch Tradition und Redaktion
geschieden (besonders ausführlich und informativ beim
Kreuzigungsbericht mit Ausblicken auf die ganze Passionsgeschichte
). Es schließt sich an eine Interpretation der atl Anspielung
oder des Zitats im ursprünglichen Kontext, gefolgt von sehr aufschlußreichen
Hinweisen auf die Auslegungsgeschichte der atl Textstelle
(in LXX, Qumran, bei den Rabbinen usw.); bei der Untersuchung
von Ps22 im Kreuzigungsbericht (S. 238ff) beschränkt Vf.
sich freilich nicht nur auf diesen Psalm, sondern steckt auch sehr umsichtig
(im Anschluß an die Arbeiten von Ruppert) das Umfeld des
Motivzusammenhanges vom ,leidenden Gerechten' ab, um den Blick
zu schärfen für die Aussage des (vor)markinischen Berichts. (Daß Vf.
bei dieser Untersuchung des Ursprungssinnes im AT und der Auslegungsgeschichte
bis hin zur Rezeption im NT das Schwergewicht
seiner Arbeit sieht, ist auch durch deren zweiten Untertitel „Zugleich
ein Beitrag zur Erhellung des überlieferungsgeschichtlichen Zusammenhangs
zwischen Altem und Neuem Testament" angezeigt.) - Erst
danach erfolgt die Analyse von Aussage und Funktion der atl Bezugnahme
in den genannten Texten, wobei sorgfältig zwischen Tradition
und Redaktion unterschieden wird.

Bei den literarkritischen Analysen ist besonders die maßvolle Abge-
wogenheit des Urteils hervorzuheben. Vf. läßt sehr bestimmt die Fragen
offen, die sich nur mit einem Gewaltstreich klären lassen, verweist
aber wiederholt zu Recht darauf, daß eine Wendung selbst dann, wenn
sie vormarkinischen Ursprungs sein sollte, im Mk-Zusammenhang
ein völlig nöues Gewicht oder einen typisch markinischen Akzent bekommen
kann. Sehr schön ist auch der Nachweis, welche Gefahren in
einer rein statistischen Wortzählung liegen, zu öpa Mk 15,33 geführt
(S. 221 f Anm. 105): Von einer mk Vorzugsvokabel kann hier nicht
die Rede sein, weil der Befund im Mk-Ev differenziert gesehen werden
müsse, je nachdem, welcher Begriffsinhalt gemeint sei, ([symbolisch]
die eschatologische Stunde oder - wie Mk 15,33 - die Stunde im rein
temporalen Sinn des alltäglichen Nacheinander von 3., 6. und

9. Stunde). Ähnlich umsichtig wird (S. 224-236) der von religionsgeschichtlichen
Parallelen nicht gedeckte messianische Sinn von
„König der Juden" aus der Tatsache abgeleitet, daß V. 26 historisch
authentisch die (römische) Ursache für die Kreuzigung angab, dieser
Titel aber schon in der ältesten Uberlieferung (wegen V. 32) christolo-
gisch gedeutet wurde in dem Sinn, daß auch die Gegner Jesu indirekt
seine königlich-messianische Würde bekennen - „auch wenn sie Jesus
verurteilen und verspotten. Denn es ist in einem Bericht, der kein
historisches Protokoll bietet, sondern vom Glauben her gestaltet ist,
kaum vorstellbar, daß man den Kreuzestitulus nur deshalb refenerte,
um festzuhalten, daß Jesus einem Mißverständnis zum Opfer fie^ und
aus römischer Perspektive als politischer Aufrührer hingerichtet
wurde" (S. 234).

Auch wer in Einzelheiten zu einem anderen Urteil kommt, wird
diese erfreulich übersichtlich strukturierte und sorgfaltig gearbeitete
Untersuchung mit Gewinn lesen. Schade ist nur, daß Vf. dem Leser
die Lektüre seiner Anmerkungen unnötig erschwert, da er nicht - was
angesichts des Satzes als Typoskript unbedingt nötig gewesen wäre! -
zwischen reinen Beleg-Anmerkungen und Text-Anmerkungen unterscheidet
oder wenigstens in gemischten Anmerkungen durch Absätze
deutlich markiert, wo auf Belege wichtige Argumentation folgt.

Münster Alfred Suhl

Günther, Hans Werner: Der Nah- und Enderwartungshorizont in der
Apokalypse des heiligen Johannes. Würzburg: Echter 1980. 315 S.
gr. 8" = Forschung zur Bibel, 41. Kart. DM 48,-.

Noch unter der Leitung des 1977 verstorbenen Münchener Neu-
testamentlers Johann Michl entstand die vorliegende Untersuchung,
die im Wintersemester 1976/77 von der Maximiliansuniversität
München als katholisch-theologische Dissertation angenommen
wurde; Rudolf Schnackenburg und Josef Schreiner (beide Würzburg)
haben das - leider nur fotomechanisch nach einer schreibmaschinenschriftlichen
Vorlage hergestellte - Buch in ihre seit 1973 erscheinende
Reihe „Forschung zur Bibel" aufgenommen.

Als Problemstellung nennt der Verfasser die der Apokalypse des
Johannes eigentümliche „Spannung zwischen Nah- und Enderwartung
" (S. 5); als Naherwartung bezeichnet er das Rechnen mit dem
unmittelbar bevorstehenden Ende dieser Welt, als Enderwartung
dagegen die Gewißheit, „daß sich vor dieses Ende noch eine ganze
Reihe von eschatologischen Ereignissen schieben wird, die nach traditioneller
Vorstellung Zeichen und Vorboten desselben sind" (ebd.).

Günthers Monographie gliedert sich in fünf Kapitel. Kapitel I (S. 11-33) gibt
zunächst einen forschungsgeschichtlichen Überblick über die wichtigsten Vertreter
der neueren - religions-, end- und zeitgeschichtlichen - Apokalypse-
Exegese (H. Gunkel, W. Bousset, F. Boll, E. Lohmeyer, J. Sickenberger,
R. Schütz, E. StaufTer, A. Strobel, St. Giet) und schließt mit einem Bekenntnis
des Autors zu einer Synthese der religions- bzw. traditionsgeschichtlichen und
derzeitgeschichtlichen Methode(S. 31-33).

Gleichfalls allgemeiner Natur ist Kapitel II („Der Verstehenshorizonl und
die Komposition der Apokalypse", S. 34-«59). Auf den Seiten 46-51 bietet der
Autor eine sorgfältige und diskussionswürdige Gliederung von Apk 4,1-22,5;
aufschlußreich sind die Vergleiche der Komposition der Apokalypse des Johannes
mit dem 4.Esra (S. 54-57) und der syrischen Baruchapokalypse (S. 57-59).
Für die Fragestellung des vorliegenden Buches wichtig ist die Erkenntnis einer
überragenden Bedeutung der Christologie (S. 57) sowie des Ineinanders von
jüdisch-traditioneller Eschatologie („Enderwartung") und „glutvoller Naherwartung
" des christlichen Apokalyptikers und seiner Leser (S. 59).

Den Naherwartungshorizont behandelt Kapitel III (S.60-160). Hierzu exege-
siert Günther insbesondere Apk 1,1.3; 3,3.11; 6,9-11; 16,15; 17,9-11;
22,6 f. 10.17.20, also die Aussagen der Johannesapokalypse über die zeitliche
Nähe des Endgeschehens, des Kairos, der kommenden Stunde, über die Kürze
der Frist, über die Plötzlichkeit und Unvorhersehbarkeit der Parusie. Besondere
Erwähnung verdient der große Abschnitt über die hinter Apk 17,9-11 zu vermutenden
römischen Kaiser („Eine römische Kaiserliste und die Antichristerwartung
", S. 100-148); der Verfasser entscheidet sich für Domitian als den
sechsten König (S. 146), zählt Galba und Otho (nicht Vitellius) bei der Kaiser-