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Ausgabe:

1983

Spalte:

429-432

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Steichele, Hans-Jörg

Titel/Untertitel:

Der leidende Sohn Gottes 1983

Rezensent:

Suhl, Alfred

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 6

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Intention des Verfassers in geschichteten Texten). Gerade weil Broer
zu den Exegeten gehört, die die linguistische Schwelle schon überschritten
haben, ist er zu fragen, ob er sich dann nicht auch von dem
S. 24 ff verwendeten vorlinguistischen Begriff von „Interpretation" im
Interesse größerer Klarheit trennen müßte.

Doch zurück zum Sachproblem: Nach einem Seitenblick auf das
Streitgespräch Mt 15 (S. 114-122) folgt eine zusammenfassende Darstellung
des mt Gesetzesverständnisses. Broer sieht dies nicht zutreffend
erfaßt, wenn man die gesetzesbejahenden Texte der vor-mt Tradition
zuweist oder aus einer speziellen Frontstellung gegen christliche
Antinomisten erklärt. Dennoch nimmt er Mt gegen den Vorwurf
einer „Gesetzlichkeit" in Schutz. Mt erscheint als der Vertreter
einer „gemäßigten mittleren Haltung" (S. 124), der „bewußt einen
Mittelweg" geht (S. 126). Als solcher Jcann er sogar einiges der pharisäischen
Tora „einräumen", „weil nichts an ihr hängt" (S. 130) - im
Vergleich zu der vorverlagerten Scheidelinie von Gut und Böse. Der
Leser, der die sehr gewundenen Wege mit der manchmal ans Selbstquälerische
grenzenden Subtilität des Autors mitgegangen ist, fragt am
Ende nur, warum das Konzept von M. J. Suggs, Wisdom, Christology
and Law in Matthew's Gospel, 1970 (vgl. G. Strecker ThLZ 98, 1970
Sp. 519-522), in Jesus die inkarnierte Weisheit-Tora zu sehen, nicht
stärker als verbindende Mitte veranschlagt und ausgewertet worden
'st. So bleibt z.B. schon die Diskussion über das pleroö Mt5,17
(S. 30-34) ganz in den herkömmlichen Bahnen einer atomistischen
Wortsemantik, statt nach dem Zusammenhang im Wortfeld des Weisheitsmythos
zu fragen, der als übergreifendes Konzept offenbar
bestimmend ist (Suggs S. 116f). Ebenso müßte das erste elthon des
Buches von diesem semantischen Paradigma wie vom Syntagma des
Buchexordiums Mt 1,1-4,16 her konkret näher bestimmt gesehen
werden, was wiederum über eine atomistische Wortsemantik hinausfuhren
könnte.

Eppstein Wolfgang Schenk

Steichele, Hans-Jörg: Der leidende Sohn Gottes. Eine Untersuchung
einiger alttestamentlicher Motive in der Christologie des Markusevangeliums
. Zugleich ein Beitrag zur Erhellung des überlieferungsgeschichtlichen
Zusammenhangs zwischen Altem und Neuem
Testament. Regensburg: Pustet 1980. VI, 347 S. 8* = Biblische
Untersuchungen, 14. Kart. DM 45,-.

Diese Dissertation eines Schülers von Otto Kuss wurde zu Beginn
des Sommersemesters 1976 abgeschlossen und für die Veröffentlichung
nur geringfügig (im wesentlichen Bezugnahmen auf die Mk-
Kommentare von Gnilka [1. Teilband 1978] und Pesch [1976f]) überarbeitet
. Sie beschäftigt sich mit der Rezeption des AT in der vor-
markinischen Überlieferung und bei Markus, beschränkt sich freilich
auf den Teilaspekt der Christologie und trifft auch hier nur eine Auswahl
. Das ist völlig legitim und angesichts der Gründlichkeit, mit der
Vf- vorgeht, auch notwendig, läßt freilich die Frage offen, ob durch
Einbeziehung anderer Aspekte nicht Modifizierungen nötig werden.
Auf alle Fälle liefert Vf. aber ein nachahmenswertes Paradigma,.
sowohl hinsichtlich der Sorgfalt als auch vor allem hinsichtlich der
Fragestellung.

vf- beginnt mit einem knappen, die wesentlichen Aspekte geschickt
herausarbeitenden Überblick über die Forschungsgeschichte (S. 1 ff),
ir" dem er die Fragestellung im Rahmen der Leben-Jesu-Forschung
(S. 1-12) unterscheidet von der formgeschichtlichen (S. 12-20) und
redaktionsgeschichtlichen (S. 20-36) Fragestellung und (S. 37-40) in
Methode und Gang seiner eigenen Untersuchung einführt.

Im Zusammenhang der redaktionsgeschichtlichen Arbeiten mußte Vf. sich
auch mit meiner Dissertation über „Die Funktion der alttestamentlichen Zitate
und Anspielungen im Markusevangelium" (1965) befassen, da sie die einzige
umfassende redaktionsgeschichtliche Untersuchung der Verwendung des AT
>m Mk-Ev ist. In ihr vertrat ich noch die konsequent-kerygmatische Mk-
'nterpretation meines Lehrers Marxsen: Das Mk-Ev ist danach nicht Bericht

von vergangenem Geschehen, sondern der „Bericht von . .." dient ausschließlich
der unmittelbaren Anrede an die Gegenwart, und zwar in einer Zeit gesteigerter
Naherwartung vor der Tempelzerstörung im Jahre 70. Das ist eine Interpretation
, die nur bei punktueller Auswertung des Mk-Ev möglich ist und der
sich weite Partien des Mk-Ev einfach nicht einordnen lassen. Aber daß ich sie
schon längst als verfehlt erkannt habe, konnte weder der Vf. wissen noch macht
es die Existenz meiner Untersuchung rückgängig, deren ort gequälte Argumentation
Vf. scharf und präzise herausstellt (wobei ich anerkenne, daß seine Kritik
stets maßvoll korrekt bleibt).

Zu Recht nennt Vf. meine (Marxsens Beobachtungen weiterführenden) Uber-
legungen zu Zeitpunkt und Zweck des Mk-Ev „problematisch" (S. 31) sowie die
Unterscheidung von .Anrede an die Gegenwart' und .Bericht von Vergangenem
' eine falsche Alternative (S. 32); er konzediert es als sinnvoll, „nicht alles
und jedes als ,atl Motiv' zu deklarieren", bemängelt jedoch zu Recht, ich hätte
ohne Rücksicht auf die vor- und nebenchristliche Auslegungsgeschichte den
Kreis der in Frage kommenden Stellen zu eng abgesteckt, wenn ich nur bereit •■
war, „allein die atl Bezugnahmen als Hinweise auf die Schrift anzuerkennen, die
ausdrücklich als solche kenntlich gemacht sind oder sonst irgendwie auffallen"
(S. 32). Wenn Markus tatsächlich bewußt den vorösterlichen Anfang der nachösterlichen
Evangeliumsverkündigung darstellen will, wie in neueren Arbeiten
klar herausgestellt wurde, ist es natürlich auch nicht mehr möglich, jegliches
,Erfüllungsdenken' sowie jegliche .heilsgeschichtliche Sicht' bei Markus zu bestreiten
(S. 33).

Nicht zustimmen kann ich freilich den Einwänden gegen meine Erwägungen
zur Hermeneutik des AT (S. 34-36), die freilich für die vorliegende Untersuchung
auch wenig ergiebig sind. Ich bleibe dabei, daß über die Kanonizität
des AT nicht wegen dessen Rezeption im NT schon endgültig entschieden sein
kann, daß vielmehr zu prüfen bleibt, in welcher Beziehung der Gott des AT, wie
wir es heute - anders als die ntl Autoren! - lesen, zur Gottesoftenbarung in Jesus
von Nazareth steht. Daß Vf. hiergegen polemisiert, verwundert mich, da er ja
gerade einen wesentlichen Beitrag zur Erfüllung meiner Forderung (a. a. O.,
S. 183) leistet, die Zeit zwischen der „klassischen" Zeit des AT und des ntl.
Heilsgeschehens zu erheben, um zu erklären, in welcher Beziehung die Gottesoffenbarungen
hier und dort stehen. Vf. geht auf die theologische Prüfung freilich
nicht ein, beschränkt sich.vielmehr auf die Analyse des „Materials" der ntl
Aussage. Aber es ist einfach absurd, mir zu unterstellen, meine reservierte Haltung
gegenüber dem AT habe dazu beigetragen, daß das AT in seiner Eigenaussage
bei mir gar nicht in den Blick kommt (S. 36).

Problematisch erscheint mir des Vf. Entscheidung, seine Untersuchung
in ausdrücklicher Abgrenzung gegen meinen Entwurf
„nicht... im Rahmen der Frage nach dem Zeitverständnis des Markus
und im Horizont seiner apokalyptischen Erwartung durchzuführen
, sondern in Verbindung mit der Frage nach der Christologie dieses
Evangeliums" (S. 37). Denn wenn auch meine Beurteilung des marki-
nischen Zeitverständnisses (und die damit zusammenhängende Deutung
der Verwendung des AT) zugegebenermaßen falsch waren, so
bleibt doch zu fragen, welchen Sinn es für die Gegenwart des Markus
hat, etwa die Erfüllung der (apokalyptischen!) Elia-Weissagung in
Johannes dem Täufer (Mk 1,2; 9,11-13) nachzuweisen, indem erden
Täufer als Vorläufer des irdischen Jesus in Anspruch nimmt. Eben
dieser Aspekt kommt in der vorliegenden Arbeit zu kurz.

Die Untersuchung beschränkt sich auf die stark von atl Motiven geprägten
Textabschnitte Mk 1,1-8.9-11 (Auftreten des Täufers und
Taufe Jesu); Mk 9,2-8.9-13 (Verklärung Jesu und Gespräch beim
Abstieg) sowie Mk 15,20b—41 (Kreuzigung), für deren Erklärung freilich
weit ausgegriffen wird auch auf andere Mk-Texte. Es handelt sich
also beim Gegenstand dieser Untersuchung um die Abschnitte, die
auch bei Ph. Vielhauers (Erwägungen zur Christologie des Mk. In:
ders.: Aufsätze zum NT. 1965, S. 199ff sowie ders.: Geschichte der
urchristlichen Literatur. 1975, S. 343-345) These konstitutiv sind, bei
der Taufe werde Jesus zum Sohn Gottes adoptiert und bei der Verklärung
proklamiert, während bei der Kreuzigung die Akklamation erfolge
. Gegen diese Deutung entsprechend dem altorientalischen
Inthronisationsritual (mit Apotheose, Präsentation und eigentlicher
Inthronisation) setzt Vf. sich freilich mit stichhaltig begründeter Kritik
ab (S. 292-294). Er führt vielmehr den Nachweis, daß zwischen
den .Gottessohn-Stellen' Mk 1,11; 9,7 und 15,39 ein Weg zurückgelegt
wird: a) Mk 1,11 wird Jesus mit einer Anspielung auf Ps 2,7 als
der schon lange erwartete endzeitliche König bezeichnet. „Indem Mk