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Ausgabe:

1983

Spalte:

425-428

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Conzelmann, Hans

Titel/Untertitel:

Heiden - Juden - Christen 1983

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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425

Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 6

426

Neues Testament

Conzelmann, Hans: Heiden - Juden - Christen. Auseinandersetzungen
in der Literatur der hellenistisch-römischen Zeit. Tübingen:
Mohr 1981. VII, 351 S. gr. 8' = Beiträge zur historischen Theologie,
62. Lw. DM 120,-.

Es gibt sehr verschiedene Möglichkeiten, in eine aktuelle Kontroverse
einzugreifen. Sie reichen von der polemischen Wortmeldung bis
zum grundsätzlichen Diskurs, von der Behandlung einer exemplarischen
Figur bis zur Analyse klassischer Texte. Hans Conzelmann
will Position beziehen in einem theologischen Disput unserer Tage-
das mit prononcierter Schärfe formulierte Vorwort läßt keinen Zweifel
-, dies jedoch in einer Weise, wie sie dem Historiker alter Schule
angemessen ist. Die Streitfrage: Wie ist das Verhältnis von Christen
und Juden angesichts der Christusoffenbarung und ihrer Verkündigung
zu bestimmen? Der Vf. weiß sich einer Theologie des Wortes
verpflichtet, für die „die Einheit der Schrift begründet ist in der Identität
des Gottes des Gesetzes mit dem Vater Jesu Christi, der das Ende
des Gesetzes ist" (3). Als Gegenpositionen erscheinen: die Theologie
der Heilsgeschichte, die er schon seit je als Depravation des Christus-
kerygmas ansah; die „neuerdings laut propagierte ,biblische' Theologie
"; die „modischen jüdisch-christlichen Religionsgespräche". Ihnen
allen sei gemeinsam, daß die Beziehung von Christen und Juden in
eine Aporie geführt werde, während die vom Vf. vertretene, von der
Rechtfertigungsbotschaft ausgehende Theologie einen Weg eröffne,
auf dem das Verhältnis zu den Juden „entsakralisiert und dadurch
humanisiert" wird. Man könnte sich als geheimen (nie genannten)
Kontroverspartner F. W. Marquardt vorstellen, dessen scharfer Dis-
Put mit G. Klein über die Juden im Römerbrief (ThSt [8] 107, 1971;
EvTh 34, 1972, 201-218; vgl. ebd. 276-304) den Problemhorizont
anzeigt, der hinter dieser zunächst streng rcligionshistorisch-literar-
geschichtlichen Darbietungaufscheint.

Was nun als Frucht vieljähriger Studien vorgelegt wird, ist dem stilistischen
Gestus nach keine durchgestaltete Monographie, sondern
eine einzigartige Quellenpräsentation, geraffte Stoffdarbietung, bis ins
Detail untergliedert, beleuchtet durch Verweise auf den jeweiligen
Forschungsstand und scharf markierte Problemanzeigen. So entstand
e'n Buch, das wohl weniger durchgängig gelesen (obwohl dies wahrlich
gewinnbringend wäre) als zur Orientierung nachgeschlagen
werden wird. Erfaßt werden Urteile griechischer und römischer Autoren
über die Juden, wesentliche Teile der hellenistisch-jüdischen Literatur
sowie das frühchristliche Schrifttum, soweit es sich mit dem
Judentum auseinandersetzt. Fachliche Spezialisierung stand bislang
einem Durchblick durch alle drei Bereiche entgegen. S. Reinach und
J- Juster, E. Schürer und P. Dalben, A. Oepke und K. Hruby haben
m't unterschiedlichem Anspruch und Niveau nur Teilgebiete vorgestellt
.

Der erste Eindruck ist der einer schier unerschöpflichen Stoffülle.
Die vom Vf. gewählte zeitliche Abgrenzung umfaßt die über fünf
Jahrhunderte von der Zeit Alexanders des Großen bis zur Constitutio
Antoniniana (212 n. Chr.). Sie zeigt die Auseinandersetzung des
Judentums mit der nichtjüdischen Welt in Verteidigung, Selbstdarstellung
und Angriff als Gegenstück zu einem antiken Antijudaismus,
der keineswegs zu einer Bewegung zusammengeschlossen ist, sich
vielmehr in Strömungen, Ereignissen und Kulminationspunkten darstellt
. Alexandrien für die griechische und Rom für die lateinische
Welt sind die entscheidenden Blickpunkte.

Von Anfang an geht es darum, Fehlurteile zurechtzurücken. In
Alexandrien begegnen Reichtum und Wucher nicht als antijüdische
Vorwürfe (14); in der Judenschaft sind alle sozialen Schichten vertre-
ten (15); die Proselytenwerbung hört nach den Kriegen 70 und 135
n- Chr. nicht auf (20); Spuren eines jüdischen Synkretismus sind
kaum faßbar (23); bei der Beurteilung der Relation Gnosis - Juden-
tUm 'st vor einer Überbewertung von motivischen Beziehungen zu
warnen (24). Etwas zu knapp gehalten bleibt der Abschnitt über die

äußeren Einflüsse auf das hellenistische Judentum (24ff), wo die
Fragestellungen etwa der modernen Philo-Forschung kaum berührt
werden.

Auch das Kapitel über Rom weist scharfe Markierungen auf:
Sueton, Claudius 25 ist nach Dio 60,6 zu interpretieren (29); Poppaea
war keine Gottesfürchtige (30); trotz des Jüdischen Krieges gab es
keine Veränderung in der Rechtsstellung der Juden (gegen Mommsen,
mit Schürer), erst Hadrians Beschneidungsverbot brachte den Einschnitt
(3 5 ff). Der Verweis auf den Aufstieg Babyloniens zum jüdischen
Zentrum (vgl. J. Neusner) fehlt ebensowenig wie die Einordnung
des römisch-jüdischen Konflikts in den „geistigen Widerstand
gegen Rom".

In den Abschnitten über die Beurteilung der Juden in der griechischen
und in der römischen Literatur (43-120) ist es dank der maßgebenden
Quellenedition von M. Stern (Greek and Latin Authors on
Jews and Judaism, Bd. 1, 1976, lag dem Vf. vor; Bd. 2, 1980 war bei
Abschluß noch nicht erschienen) und F. Jacoby (FGH) anders als zu
Zeiten von Schürer und Greßmann heute möglich, auf gesichertem
Fundament zu bauen und umsichtige Urteile zu fällen. Das wirkt sich
auch für die quellenkritisch werjiger gesicherten Bereiche aus. So fällt
die Zurückhaltung auf in strittigen Fragen wie der Benutzung des
Nikolaus von Damaskus durch Josephus (61) und der Abhängigkeit
des Tacitus von Josephus (109). Ähnliches gilt für das seit K. Reinhardt
häufig dem Poseidonios zugeschriebene Judenkapitel bei
Strabo, das als kleines antisemitisches Kompendium figuriert (69),
während der Judenexkurs des Tacitus, Hist. V, 1-13 als „größte Zusammenfassung
in der antiken antisemitischen Literatur" charakterisiert
wird und eine eingehende Kommentierung erfährt (101-119).
Bemerkenswert ist die Beobachtung, daß das Urteil der römischen
Autoren über die Juden im Unterschied zu dem der Griechen politisch
bestimmt ist (96).

Als Gegenstück zu den Äußerungen heidnischer Autoren über die
Juden ist der folgende Abschnitt als Darstellung der Auseinandersetzung
des hellenistischen Judentums mit seiner heidnischen Umwelt
angelegt (121-218). Der Vf. versteht dessen wesentliche Zeugnisse
nicht als Missionsliteratur, sondern als apologetisches Schrifttum
, wobei innerjüdische und nach außen gerichtete Zielsetzungen
miteinander verbunden erscheinen. Die Ignorierung dieser ganzen
Literatur durch die Griechen läßt sich schwerlich bezweifeln - ein
ähnliches Schicksal wie es auch der jüdischen Apologetik in der Neuzeit
beschieden war. Mit M. Hengel ist der Vf. der Meinung, daß sich
die (jüdisch-hellenistische) Autorenliteratur mit der hellenistischen
Umwelt direkt auseinandersetzt, das anonyme und Pseudonyme
Schrifttum jedoch eher im Zeichen eines kulturellen Rückstands steht
(129). Obwohl mit der Konzentration auf die apologetische Literatur
Auswahlkriterien gesetzt sind, fällt ein großer Teil der hellenistischen
Partien der LXX und des jetzt in den JSHRZ dargebotenen bzw. zur
Präsentation vorgesehenen Schrifttums in die vom Vf. vorgelegte
Übersicht. Nicht einbezogen sind die Testamentenliteratur, die Apokalypsen
Und auch die Geschichte von Joseph und Aseneth.

Durchweg gewinnt die Vorstellung der Autoren bzw. Schriften
durch knappe Analyse des literarischen Charakters, der Motive und
der Forschungsprobleme Profil. Aus der Fülle der Urteile prägen sich
manche fest ein: Eupolemos ist der einzige griechisch-jüdische
Schriftsteller, dessen Kenntnis des Hebräischen feststeht (144). Die
unter Ps. Eupolemos geführten Fragmente gehen auf einen samarita-
nischen Verfasser zurück (147). Die Sap Sal ist das bedeutendste
Dokument der Entwicklung des literarischen Typus der Apologie
vor Philo (159). Schließlich: „Die jüdische Apologetik erstreckt sich
nur über eine kurze Phase der jüdischen Geschichte, ist also nicht für
das Judentum überhaupt charakteristisch" (217).

Natürlich begegnen auch Einordnungen, die zur Rückfrage Anlaß
geben. Ist es angemessen, Philo ganz unter den Gesichtspunkt der
Apologetik zu stellen? Rückt die aktuelle politische Verteidigung hier
nicht einseitig in den Vordergrund (vgl. 180ff) und überlagert anderes,
etwa den Thoraausleger und mystischen Philosophen als Mittler zwi-