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Ausgabe:

1983

Spalte:

418-420

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bodine, Walter R.

Titel/Untertitel:

The Greek text of Judges 1983

Rezensent:

Soisalon-Soininen, Ilmari

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 6

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Exegese ist zur Leidensgeschichte geworden- Dickleibige Bände, die
jeweils einen Aspekt der vielfältigen, aufeinander bezogenen und miteinander
verschränkten Methoden der Textauslegung betonen oder
gar überbetonen, setzen voraus, daß der Leser nicht nur „wenn es
hochkommt, 70 oder 80 Jahre" (Ps 90,10) lebt, sondern beliebig freie
Zeit zur Verfügung hat, um sich durch die ausgedehnte Einfuhrung in
die „methodologische Position" mit der Abgrenzung von Gegenmeinungen
geduldig hindurchzuarbeiten, bis er zum Eigentlichen
gelangt, wo er aber ebenfalls umfangreichen Referaten begegnet. Wäre
es nicht gerade in der heutigen Situation - angesichts der Flut der
Sekundärliteratur, der wachsenden Studentenzahlen, die mit der Korrektur
von Seminar- und Examensarbeiten eine zunehmende Arbeitsbelastung
mit sich bringen, auch der steigenden Buchpreise - erforderlich
, den eigenen Beitrag in Konzentration auf das Wesentliche und in
straffer Kürze zu liefern? O. macht es dem Leser mit seiner breiten
Darstellung, nicht wenigen Wiederholungen und einer gewissen For-
malisierung nicht leicht. Nach seinen Worten geht es der Wissenschaft
auch „nicht in erster Linie um Erkenntniszuwachs an sich . . .,
sondern um wissenschaftliche, d. h. überprüfte und gesicherte, in
einen Sachzusammenhang gebrachte und adäquat formulierte Erkenntnis
" (485). Muß diese aber den „Eindruck einer gewissen Langatmigkeit
" (86) erwecken?

Die Untersuchung stellt sich „zur Aufgabe, die sogenannten Flutprologe
der jahwistischen (Gen 6,5-7.8) und der priesterschriftlichen
(6,9-10.1 1-13) Flutgeschichte in ihrer Funktion für den Darstellungszusammenhang
der jeweiligen Urgeschichtserzählung zu erheben"

(11) . Jedoch „gibt es aufgrund des traditionsgeschichtlichen Überhanges
der Urgeschichtsexegese keine adäquate methodische Einstellung
einem derartigen kompositorischen Textphänomen gegenüber"

(12) . Erst die trotz aller Methodendiskussion noch nicht ausreichend
(13ff) gewürdigte Redaktionsgeschichte bzw. Redaktionskritik läßt
die Bedeutung des Einzeltextes im Großtext (J, P) erkennen. Daß in
der alttestamentlichen Wissenschaft durch die überlieferungsgeschichtliche
Rückfrage nach der Vorgeschichte eines Werkes „die
eigentlich unaufgebbare zentrale Frage nach der Darstellungs- und
Aussageebene der Großtextbildung fast ganz aus dem Blickfeld geriet"
(361), trifft kaum zu.

Schon M. Noth kommt es unter überlieferungsgeschichtlichem
Gesichtspunkt „darauf an festzustellen, in welcher Weise und mit
welchem Ziel die literarischen Fassungen den überkommenen Erzäh-
'ungsstoff bearbeitet und geformt haben. Für die alten Quellen wäre
da zunächst zu fragen, wie sie im einzelnen das Überlieferte - auswählend
, ordnend, zusammenfassend - ihrerseits gestaltet haben"1.
Efst recht suchen etwa die Beiträge von K. Elliger zu „Sinn und
Ursprung der priesterlichen Geschichtserzählung" (1952) oder von
" W. Wolff zum „Kerygma" des Jahwisten oder Elohisten (1964
°zw. 1969) die Intention der Quellenschriften, und damit die Bedeutung
des Einzeltextes für den sog. Großtext und umgekehrt die Aussageabsicht
der Quellenschrift im Einzeltext, zu erheben (vgl. 28f)-
Diese Fragestellung selbst ist keineswegs „erst durch die breite Praxis
•n der Nachbardisziplin des Neutestamentiers provoziert" (362), sondern
wurde längst geübt, als sich der in der neutestamentlichen Wissenschaft
(von W. Marxsen, 1956) geprägte Begriff „Redaktionsgeschichte
" durchsetzte. Überlieferungsgeschichtliche Betrachtungsweise
ist - nach ihrem Selbstverständnis - also sehr wohl in der Lage,
•.den methodischen Schritt des Übergangs von Traditionen zum
Jetzigen Textzusammenhang zu reflektieren und zu erhellen" (anders
523). Überlieferungs- und Redaktionsgeschichte verhalten sich ja
auch komplementär zueinander: Der Frage nach „rückwärts", nach
Herkunft und Sinn des vorgegebenen Gutes, entspricht die Frage nach
..vorwärts", nach Verwendung, Umgestaltung und Sinn dieses Gutes
* Text, sei es im kleinen oder großen.

Trotz der m. E. nicht sachgemäßen Auseinandersetzung mit der überlieferungsgeschichtlichen
Methode kann O. doch einerseits deren Notwendigkeit,
andererseits die Schwächen der Redaktionsgeschichte sehen: „Die Erhebung
der Textaussagc führt allein und ausschließlich über das Verständnis des

Umgangs des Autors mit seinen Traditionsvorgaben ..." (362; vgl. 76IT). „Die
offensichtliche Gefahr einer redaktionsgeschichtlichen Arbeitsweise ist ja diese,
daß man unter der Hand einen modernen BegrilTvon textlicher Konsistenz und
stringenter Gedankenführung anwendet" (526).

Sachlich bestätigt O. das Urteil G. v. Rads: Der Flutprolog
Gen 6,5—8J hat „programmatische Bedeutung" (zitiert: 90); er stellt
„einen Kompositionsschlüssel für die J-Urgeschichte dar" (365; vgl.
164.354). Ähnlich hat man Gen 6,9ff P „als einen für die Erhebung
der zentralen Führungslinien des großkontextuellen Darstellungsverlaufs
entscheidenden hermeneutischen Einsatz (zu) verstehen" (6520;
der J und P verbindende Redaktor behielt diese Intention bei (657).
Allerdings wird sowohl der jahwistische als auch der priesterschriftliche
Flutprolog 6,9ff- nach einer umfangreichen Untersuchung von
Gen 2 ff(164ff) und Gen 1 (521 ff)-jeweils nur in den vorhergehenden
Kontext, nicht in den folgenden Zusammenhang einbezogen, obwohl
beide Darstellungen auf die Gottesworte nach der Flut (8,21 fj;
9,1 ff P) zielen, die kaum ausgeklammert werden dürfen. O. nennt
selbst den „Einwand, der Verzicht auf die Behandlung des Epilogs
(8,20-22) sei wie der Bau einer Brücke, bei der man auf den zweiten
Pfeiler verzichtet" (3662).

„Daß der Großtextautor für den vorliegenden Text (!) im Ganzen
verantwortlich ist" (525), gilt auch bei überlieferungsgeschichtlicher
Betrachtungsweise. Umstritten ist zumal bei der Auslegung von Gen 1
ja nicht, ob der Text eine Ganzheit darstellt, sondern wie es zur
Bildung dieser Ganzheit kam.2 Dabei gesteht O. zu. „daß die Formulierung
von Chaos und Schöpfung bei P nicht ohne einen Seitenhlick
des Autors auf die kosmogonischen Alternativbilder entstanden ist"
(542).' Da Gen 1,2 allen Auslegungsversuchen Schwierigkeiten bereitet
, ist das „Ergebnis der redaktionskritischen Analyse", Gen 1 stelle
„ein durch und durch kohärentes und in sich stimmiges Sprachgebilde
" dar (598), doch wohl übertrieben. Auch bleibt fraglich, ob
man urteilen darf. „In letzter Präzisierung intendiert die mit dem
Bild-Gottes-Sein konstituierte Begegnungsfähigkeit des Menschen
Kultfähigkeit" (565). Für die Priesterschrift ist nicht das Gottesvolk
bzw. die Gemeinde, sondern die Menschheit Gottes Bild; sie empfangt
wohl ein Hauptgebot der zweiten Tafel des Dekalogs (Gen 9,6), aber
das theologische Herzstück bleibt Abraham vorbehalten (Gen 17,1),
und erst die Gemeinde übt Gottesdienst (Ex 12; 16; 24,15ff). Besteht
nicht die Gefahr, daß Exegese - gerade wegen ihrer Formalisierung -
mehr wissen will, als der Text zu erkennen gibt?

Marburg Werner H: Schmidt

' Überlieferungsgeschichte des Pentateuch (1948.21960)250.
2 Vgl. in dieser Zeitschrift 104,1979 Sp. 801-803.

' Nicht recht verständlich ist, wieso O. von „literarischen Traditionsbezügen
" (539) bzw. einer „literarischen Vorgeschichte" (547) spricht, obwohl
Vorformen von Gen I doch eher in mündlicher Überlieferung zu suchen sind.
Warum läßt O. „eine deutliche Dominanz des Wortes im Schöpfungshandcln
Gottes" (529) gelten, lehnt aber ab: „Die Tat ist nur noch Explikation des
Wortes" (dort Anm. 2)? Warum bejaht O. „eine gewisse Eigenständigkeit und
Isoliertheit der zur Chaosbeschreibung eingesetzten Vorstellungen" in Gen 1.2
(544), verneint aber eine überlieferungsgeschichtliche Erklärung (5392)? Übrigens
ist mein Name (521.672) nicht richtig wiedergegeben.

Bodine, Walter Ray: The Greek Text of Judges. Recensional
Developments. Chico, CA: Scholars Press 1980. XIII, 204 S. 8' =
Harvard Semitic Monographs, 23. Lw. $ 15.-.

Walter Bodine hat sich vorgenommen, die sehr verwickelte Textgeschichte
der LXX-Übersetzung des Jdc darzustellen. Eine solche
Untersuchung ist höchst willkommen, besonders weil die von Dominique
Barthelemy auf Grund des in Nahal Heber gefundenen griechischen
Textes der Kleinen Propheten entdeckte sog. Kaige-
Rezension des LXX-Textes (Les devanciers d'Aquila, SVT 10, 1963)
dieser Aufgabe eine ganz neue Grundlage gibt.