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Ausgabe:

1983

Spalte:

20

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Volk Gottes auf dem Weg 1983

Rezensent:

Petzoldt, Martin

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 1

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eine Aufgabe wahrzunehmen, „die Ihr nicht seht oder vernachlässigt"
(S. 201), gewiß auch Kritik am Gegenüber. Aber wie förderlich wird
gerade das Kritische gesagt! Was der neuen Theologie noch fehlt:
„Matth. 19,6 - aber hier findet Ihr schon auch die rechte Wendung
noch" (S. 196). „Man muß sich Zeit lassen, lieber Karl." (S. 182) „Ich
glaube nicht, daß Du es, wenn irgend Du alt wirst, auf der schmalen
Basis Deiner Theologie aushalten kannst. Aber warum sollst Du nicht
von ihr aus Horizont gewinnen." (S. 219) Es fehlt auch nicht an
Scharfsichtigem - etwa wenn Rade schon 1923 eine wesentliche Differenz
zwischen Barth und Bultmann sieht (S. 196) oder wenn er - die
Fronten scheinen sich zu vertauschen! - auf existentialistische Eierschalen
Barths hinweist („Gott wagts mit uns, nicht wir mit ihm. Und
das schreibe ich DirV S. 231).

Man kann sich fragen, ob Rade in seiner „Aufgeschlossenheit" für
Barths Weg nicht zum Einzelgänger unter seinesgleichen geworden
ist. Es ist ein tragischer Moment, wo er sich - nicht nur von den Dialektikern
(S. 235), sondern auch von den Liberalen (S. 245) im Stich
gelassen vorkommt. Oder kommt er sich nur so vor? Täuscht er sich
denn, wenn ihm von seinem Erbe her die neue Theologie weder
„fremd noch fern" erscheint (S. 196), wenn ihm unter erneutem Studium
der Theologie des 19. Jahrhunderts aufgeht: „Wie viel Ansätze,
Anläufe auch zu dem, was Du willst." (S. 266), wenn er 1936 meint:
„Wir haben beide jetzt genug Distanz von den zwischenhegenden
Ereignissen und Entwicklungen, um uns über vieles verständigen zu
können" (S. 274)? Aber vielleicht hat Rade ja da zuviel Gemeinsamkeit
gesehen und dabei die Gegensätze zu schnell übersehen. Zuweilen
beschleicht einen der Eindruck, er habe, im Unterschied zu Barth, bei
aller „Offenheit" in diesen Jahrzehnten eigentlich keinen Weg
zurückgelegt und es stehe ihm eben seine „Offenheit" im Wege, sei es,
sich innerlich beteiligt einem Neuen wirklich zu öffnen, sei es, was
auch fruchtbar sein kann, ihm entschiedener zu widerstehen. Vollends
ist Rades (von Schwöbel S. 54f gar noch gelobte) gelegentliche
Reduktion der theologischen Gegensätze auf einen Generationenunterschied
(S. 234) dazu angetan, den Streit um die Wahrheit zu
einem bloßen Streit um Worte zu verharmlosen. Gleichwohl drängt
einem der Briefwechsel die Frage auf: ob die Theologie des
19. Jahrhunderts doch nicht nur „liberal" oder nicht so „liberal" war,
wie es die frühe dialektische Theologie zu sehen meinte? Es geht nicht
darum, die Frage von dieser an jene Theologie zu bagatellisieren, so
wohlfeil das heute zwar ist, aber darum, jene Theologie neu zu lesen in
der Erwartung, ihr möchte diese Frage doch nicht ganz „fremd" gewesen
sein.

Aber nun ist auch interessant, wie Barth seinen Weg von dem Älteren
hat begleiten, wie er sich von ihm hat raten und sogar dreinreden
lassen, wenn auch nicht unwidersprochen. Aber noch im Widersprechen
berührt es ihn offenbar, wie „unverdient freundlich im Ton
du zu mir geredet hast" (S. 121). Freilich, was Rade von ihm sagt:
„und im Grunde liegt Dir doch der Kampf (S. 204), das beweist
Barth auch genug gegenüber diesem selbst - mehr als eine entsprechende
„Aufgeschlossenheit". Und der von Rade beklagte Bekehrungsdrang
der Dialektiker (S. 245) richtet sich speziell auch gegen
ihn - und sei es in dem etwas ironischen Wortspiel, das aus Barths
Wohnung an der Himmelreichallee in Münster assoziiert: er werde
Rade beim nächsten Besuch „endgültig den Weg ins Himmelreich zeigen
" (S. 239). Immerhin wünscht doch Barth nicht, die andere Seite
einfach zu verdrängen, allerdings auch nicht, bloß von ihr toleriert zu
werden, sondern wünscht von ihr einen entsprechenden theologischen
Kampf. Er verargt ihr nicht ihre „Polemik als solche", allenfalls den
„Mangel an Niveau" ihrer Polemik (S. 238). Er möchte sie in seiner
Polemik offenbar ganz ernstnehmen, aber dann auch wirklich ernstnehmen
können (was er noch nicht könnte, wenn sie des Pudels Kern
beim ganzen Streit etwa bloß in einem Generationenunterschied
sehen würde). Darin deutet sich aber an: wie in Rades Offenheit auch
Kritik steckt, so steckt in Barths Kritik auch eine Offenheit. Barths
Offenheit für die „liberale" Theologie hat jedenfalls auch einen letzten
Grund: nämlich in der Gemeinschaft der Kirche, von der her er es

zuletzt auch Rade gegenüber „am Besten" finden kann, „wenn wir
uns heute im Glauben die Hand geben" (S. 280). Seine Offenheit ist
aber auch eine spezielle gegenüber dieser Größe. „Aus einem Herzen,
das an der Geschichte des 19. Jahrhunderts beteiligter ist, als es von
weitem aussehen mag", antwortet er auf Rades Frage: „Wer interessiert
sich heute für die?" - „Ich, ich auf alle Fälle!" (S. 273) Und es ist
durchaus gewichtig zu nehmen, wenn er in seinem letzten Brief an
Rade bekennt: „dass ich trotz aller dazwischen gekommener Modifikationen
unserer Beziehungen dankbar geblieben bin Tür das, was ihr
mir ... zugewendet habt"(S. 280).

Damit stoßen wir auf die andere Seite des durch den Briefwechsel
gestellten Problems: Sollte doch auch umgekehrt Barths dialektische
Theologie nicht nur und nicht so antiliberal sein, wie sie von „Freund
und Feind" lange verstanden wurde? Dann müßte sie allerdings so
gelesen werden, daß in ihr das Anliegen des Neuprotestantismus nicht
einfach vermißt wird, wie man es oft getan hat. Die Frage scheint mir
nicht, oh sie es, sondern wie sie es berücksichtigt; und damit, daß sie es
tut, ist also noch lange nicht erwiesen, daß Barth darum geradezu selber
„Exponent der liberalen Theologie" sei (T. Rendtorff, S. 55). So
wenig man Luther wegen seiner Beziehung zu vorreformatorischen
Strömungen aus dem Reformator in einen „Exponenten" vorrefor-
matorischer Theologie umdeuten kann, so wenig kann man, ceteris
imparibus, Barths Theologie wegen ihrer Offenheit für das liberale
Erbe selbst „liberale Theologie" nennen. Es leuchtet mir darum nicht
ein, was Schwöbel über die „Relativität solcher theologiegeschichtlicher
Gegensätze" sagt (S. 54). Entweder ist damit eine pure Selbstverständlichkeit
gemeint, weil es hier absolute Gegensätze natürlich
nicht gibt. Oder es ist damit etwas gemeint, was den dort gegenüberstehenden
Thesen Gewalt antut, ihnen etwas von ihnen nicht
Gemeintes und Gewolltes unterschiebt und also die dort umrungenen
theologischen Alternativen zur Belanglosigkeit degradiert. Es müßte
ein Weg gefunden werden, jene Offenheit für das Anliegen des Neuprotestantismus
aufzugreifen, ohne die Kritik an ihm preiszugeben.
Dabei ist es mir im Falle Barths wahrscheinlich, daß er in seinem
selbstkritischen Weg vom „Römerbrief' zur „Dogmatik" selber dialektisch
verstanden werden muß - in dem Sinn, daß er gerade in seiner
stürmischen Abgrenzung vom Liberalismus faktisch mehr an diesen
gebunden ist als in der späteren Zeit, wo er für ihn offener sein kann,
weil er ihm gegenüber freier ist: so frei, auch sein Anliegen jetzt
bewußt, in kritischer Umformung, aufzugreifen. Das Problem ist
längst nicht ausdiskutiert. Daß es fruchtbar ist, es zu diskutieren, das
macht einem dieser Briefwechsel in anregender Weise bewußt.

Uerkheim, Schweiz Eberhard Busch

Aufderbeck, Hugo: Volk Gottes auf dem Weg. Briefe, Meditationen,
Ansprachen und Predigten von Bischof Hugo Aufderbeck und von
seinem Leben und Sterben. Ausgew. u. bearb. v. E. Kiel. Hrsg.:
J. Meisner, J. Wanke, J. Gülden, E. Kiel. Leipzig: St. Benno Verlag
1981.289 S., Abb., z. T. färb. 8*. geb. M 7,50.

„Wir sind auf dem Weg zueinander. Wir werden noch viele Schritte
tun müssen, bis wir redlichen Herzens den letzten Schritt tun können.
Zum Menschen gehört eben das Schreiten . . ." (67). Das Bild des
Weges ist es, was Bischof Aufderbeck in den verschiedenen Formen
seiner Wirksamkeit immer wieder eingeprägt hat. Diese Sammlung ist
im besten Sinn kurzweilig, da sie durch eine gute Auswahl, sinnvolle
Zusammmenstellung und erfreuliche Auflockerung durch Photos
einen intensiven Einblick in geistliches und theologisches Wollen
eines kath. Bischofs gibt.

Im letzten Teil des Buches wird „Vom Leben und Sterben des
Bischofs" berichtet (239-283). Was sich hieran geistlichem Reichtum
auf knappem Raum darbietet, ist von Hugo Aufderbeck selber in seinen
7 Bänden „Pastoraler Aufsätze" (1964-1979) ausgebreitet
worden.

M . P.