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Ausgabe:

1983

Spalte:

385-386

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Kirk, Andrew

Titel/Untertitel:

Theology encounters revolution 1983

Rezensent:

Sens, Matthias

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Seite 1

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385

Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 5

386

Vergangenheit" bleibt. Carl Heinz Ratschow betont darüber hinaus
aber zu recht, daß Tillich „Situationen für seine Freunde" (S. 24)
abklärt und zeigt: „wie Menschen diese moderne Welt des Sozialismus
, der Technik wie des Expressionismus begrifflich erschließen
können, um dadurch der letzten Bezüge ansichtig zu werden"
(S. 24).

Es ist erfreulich, daß die Tillich-Auswahl Manfred Baumottes
ihrem Anspruch, Tillich vor allem als philosophischen Theologen
und Religionsphilosophen, als Kultur- und Geschichtstheologen,
„dem die geistige Situation der Zeit, die religiöse Lage der Gegenwart
zum unendlichen Gegenstand theologischer Arbeit wurde" (S. 7), so
prägnant und repräsentativ nachgekommen ist. Tillich-Freunde und
die es werden wollen haben dadurch reichen Gewinn.

Leipzig Hans Moritz

Kirk, J. Andrew: Theology encounters revolution. Leicester
(England): Inter-Varsity Press 1980. 188 S. 8' = Issues in contem-
porary theology. Kart. £ 2.95.

Soziale Gerechtigkeit und Bekehrung, gesellschaftliches Engagement
und Evangelisation, „Ökumeniker" und „Evangelikaie" - diese
Schlagwörter stehen für eine oft kontrovers geführte Auseinandersetzung
um Weg und Auftrag der Kirchen und insbesondere der
ökumenischen Bewegung in den letzten zwanzig Jahren. Nur selten ist
versucht worden, von einer der beiden Seiten aus den Grundaussagen
und theologischen Überzeugungen der anderen Seite wirklich nachzugehen
und sie für die eigene Position zu verarbeiten. Das vorliegende
Buch ist ein solcher Versuch. Von einer evangelikalen Grund-
position aus bespricht Kirk theologische Entwürfe, die sich dem
Problem des Verhältnisses von christlichem Glauben und Revolution
zugewandt haben. Er möchte damit nicht zuletzt die Christen "with
historical evangelical convictions" (163) ermuntern und anleiten, sich
an der Begegnung von Theologie und Revolution zu beteiligen; denn
er ist überzeugt, daß die Kirche heute die Mission Christi nicht
erfüllen kann, ohne die verschiedenen Bedeutungen und Implikationen
von Revolution zu verstehen (163).

Kirk holt dazu weit aus. Im ersten Teil (S. 17-56) gibt er zur
Begriffsklärung zunächst einen historischen Überblick über „Revolution
vom Mittelalter bis zum zwanzigsten Jahrhundert". Die aktuelle
Bedeutung der Frage nach der Revolution wird sodann im wesentlichen
im Rahmen der sog. Nord-Süd-Problematik bestimmt. Auch
..revolutionäre Theologie entstand, als christliche Denker die politische
und ökonomische Realität der Dritten Welt entdeckten" (43).
Dennoch hatte sie Vorläufer. Als solche werden W. Rauschenbusch,
Reinhold Niebuhr, K. Barth und D. BonhoefTer vorgestellt. Im
Hauptteil (S. 59-160) werden die wichtigsten theologischen Entwürfe
zum Thema Revolution besprochen: J. Moltmann, J.B.Metz und
H. Gollwitzer für Westeuropa; J. L. Hromadka und J. M. Lochman
für Osteuropa; P. Lehmann und D. Berrigan für das weiße Nordamerika
; J. Cone, A. Boesak, A. Mpunzi u. a. für die schwarze Theologie
Nordamerikas und Südafrikas; die Theologie der Befreiung (vor
allem katholische Theologen wie J. L. Segundo) Tür Lateinamerika.
Ergänzt wird dieses Kapitel durch Exkurse über das soziale Engagement
des Ökumenischen Rates der Kirchen und über die Frage der
Gewalt.

Die knappen aber einfühlsamen Skizzen regen zur eigenen Beschäftigung
mit den verschiedenen theologischen Argumentationen an.
Viele Grundanliegen werden positiv aufgenommen. In der Kritik geht
es vor allem um eine Reihe von theologischen Vorbehalten, z. T.
verbunden mit bestimmten, nicht immer argumentativ abgedeckten,
Politischen Urteilen. So wird Moltmann nach dem Verhältnis von
eschatologischer Befreiung und der persönlichen Rechtfertigung des
einzelnen gefragt (66). Bei Gollwitzer wird ein gangbarer Entwurf
vermißt, wie der unbestreitbare sozialpolitische Aspekt der christ-
'ichen Botschaft bezeugt werden kann, ohne die Zukunft der Kirche

mit einer bestimmten politischen oder sozialen Kraft zu verknüpfen
(76). Lochman habe von einer konsequenten Rechtfertigungslehre her
besser als Hromadka einen gewissen christlichen Idealismus vermieden
, der die Möglichkeiten eines im Wesen der menschlichen
Natur liegenden geschichtlichen Wandels überschätze (85f). Ähnlich
wird der lateinamerikanischen Befreiungstheologie eine Überschätzung
des Marxismus sowohl als Instrument zur Befreiung der Theologie
als auch zum gesellschaftlichen Wandel nachgesagt (ohne diese
realen Funktionen abzustreiten!), wie auch „der Glaube der Befreiungstheologie
an die Fähigkeit des Menschen, die Geschichte in
Richtung auf das Reich Gottes zu ändern, reine Spekulation" sei.
(129)

Als Theologe, der in besonderer Weise „an die vollkommene Autorität
und Zuverlässigkeit der Bibel glaubt" (164), ist Kirk immer
wieder an der hermeneutischen Frage interessiert und sucht nach
einem Ansatz, der sowohl das biblische Zeugnis als auch die sozio-
kulturelle Situation des Lesers voll berücksichtigt. Segtfndos herme-
neutischer Zirkel, bei dem die Wirklichkeitserfahrung zunächst einen
Ideologieverdacht hervorruft, der dann auch auf die Theologie angewandt
wird und von dort aus die exegetischen Methoden verändert,
so daß eine neue Sicht der Bibel entsteht, die dann auch neue Elemente
des Glaubens aufdeckt, wird ausdrücklich gewürdigt. Es wird
aber betont, daß dieser Zirkel nur dann frei wirken und die Theologie
zu einem Werkzeug der Befreiung machen könne, wenn die biblische
Offenbarung als der einzig mögliche Grund anerkannt wird, auf den
man sich letztlich berufen kann; denn nur von ihr her erschließe sich
die primäre Ursache der menschlichen Entfremdung und damit auch
der geschichtlichen Entwicklung (130).

Im dritten Teil (S. 161-183) versucht Kirk dann seinerseits, Ansätze
für eine Interpretation der Bibel zu geben, die möglichst direkt
auf revolutionäre Situationen bezogen werden kann. Das biblische
Weltbild, das von Gottes Handeln im Kampf für die Welt in
Schöpfung und Erlösung geprägt ist, habe durchaus „revolutionäre
Obertöne" (165), jedenfalls "there is nothing sacred or final about the
present created order" (166). Solchen Aspekten wird im biblischen
Schöpfungszeugnis, in der Berufung Abrahams, im Exodus, im
mosaischen Gesetz, in der theokratischen Infragestellung der Monarchie
, im prophetischen Zeugnis, bei Jesus und bei den ersten Christengemeinden
nachgegangen. Wenn schließlich doch ein Moratorium für
den theologischen Gebrauch des Begriffes Revolution gefordert wird,
so deshalb, weil die Frage nach den Zielen und den Mitteln des
Wandels ganz neu gestellt werden müsse (180). Die ganze Debatte
habe der Theologie aber einen großen Dienst erwiesen, indem sie sie
aus der akademischen Abgeschiedenheit herausgeholt, in der Verbindung
von Theorie und Praxis neue Methoden eröffnet und sie im
Sinne des hermeneutischen Zirkels eng mit dem Leben der Menschen
verbunden habe (180ff). All das wird gerade auch dem Ökumenischen
Rat der Kirchen bescheinigt (139) und trifft vorrangig für die Dritte
Welt zu (182).

Bedenkt man die breite Zurückhaltung der Evangelikaien gegenüber
allen Abweichungen von einer traditionell bekenntnisbestimmten
Bibelauslegung (11) und "the undoubtedly widespread
evangelical resistance to political action" (139), so wird man Kirks
Versuch eines Brückenschlags nicht gering einschätzen, auch wenn
Kritik und eigene Sachaussagen oft assertorisch bleiben. Und Kirk hat
gewiß Recht, wenn er sowohl von ökumenischen wie auch von
konservativen evangelikalen Kreisen das ernsthafte Bemühen fordert,
die Sorge um soziale Gerechtigkeit und um persönliche Bekehrung
theologisch deutlicher zusammenzubringen (140).

Nicderndodeleben Matthias Sens

Deissler, Alfons: Biblisch glauben! Freiburg-Basel-Wien: Herder 1982.
189 S. kl. 8- = Herderbücherei, 994. Kart. DM 8,90.

Helfmeyer, Franz-Josef: Gottes Bund ist nicht gekündigt. Freiburg-Basel-
Wien: Herder 1982. 143 S. kl. 8' = Herderbücherei, 988. Kart. DM7,90.