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Ausgabe:

1983

Spalte:

380-381

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Basilius Caesariensis, Contre Eunome 1983

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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379

Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 5

380

Die Aufgabe einer Rekonstruktion ist freilich nicht leicht. Sie gilt
einem Lebenswerk, dem es in seinen verschiedenen Stadien um die
Einheit von systematisch-religionsphilosophischer Reflexion und der
Verarbeitung religionsgeschichtlichen Stoffes zu tun war, wozu
noch im Bereich des Urchristentums die eigenständige Erforschung
des Apostolischen Zeitalters und seiner Quellen tritt. Der Vf. sah sich
vor die Aufgabe gestellt, beiden Hälften gerecht zu werden. Es galt die
eine in ihrem theologie- und philosophiegeschichtlichen Kontext
herauszuarbeiten und von dort zu profilieren, die andere vom Stande
heutiger Kenntnis der Religionsgeschichte auf ihre Tragfähigkeit hin
zu prüfen und zu bewerten. Das eine forderte das systematische
Ingenium des Vf. heraus, das andere gab ihm Gelegenheit, Belesenheit
und aktualisierte Sachstandskenntnis in verschiedenen Provinzen
religionsgeschichtlicher Arbeit unter Beweis zu stellen. Den Vorteil
solcher Vielseitigkeit hat der Leser, der sich nicht nur über Pfleiderer
und seinen geistesgeschichtlichen Hintergrund belehrt sieht, sondern
auch über eine Fülle von Problemen außerchristlicher Religionen,
römischer und germanischer, griechischer und indischer, primitiver
und ostasiatischer, aus jeweils aktueller Sekundärliteratur unterrichtet
wird.

Pfleiderer hat sich in vier Entwürfen, die das Gerüst seiner Lebensarbeit
ausmachen, darum bemüht, den Religionsbegriff zu bestimmen
und die Vielfalt der Religionen zu ihm in Beziehung zu setzen. Sein
zweibändiges Frühwerk „Die Religionen, ihr Wesen und ihre
Geschichte" (1869) und die drei Auflagen der „Religionsphilosophie
auf geschichtlicher Grundlage" (1878,1884,1896) stellen je verschiedene
Annäherungsversuche an dieses eine große Thema dar. An ihnen
hat sich die Darstellung des Vf. orientiert. Die vergleichende Präsentation
macht freilich auch deutlich, daß die Vermittlung der begrifflichen
und der empirischen Seite immer schwerer gelingt.

Im Frühwerk, wo die Definition der Religion - angeregt u. a. von
Karl Schwarz4 - diese als den Prozeß der Lösung des im Geschick des
Menschen wirkenden Widerspruchs (von Endlichkeit und Unendlichkeit
, von Freiheit und Abhängigkeit) faßt, kann die im zweiten
Band behandelte Religionsgeschichte als dessen Konkretisierung verstanden
werden. So läßt man sich geduldig von den Naturreligionen
(Semiten, Ägypter, Germanen) über die Kulturreligionen (der
klassischen Antike) und die des Übernatürlichen (Indien, Zarathustra)
zur Höhe des Monotheismus führen.

Die drei aufeinander folgenden Auflagen des opus magnum sind
nach Ansatz und Systematik jeweils verändert; geblieben ist als
tragendes Strukturprinzip die Zweiteiligkeit. Sie stellen sich dem Rez.
nach Leuzes Darbietung als Stadien eines eindrucksvollen Experiments
dar, auf höherer Ebene unter Aufbietung immer neuen Stoffs,
das Erstlingswerk einzuholen. So orientiert sich der Religionsbegriff
zunächst am älteren Feuerbach und seiner Theogonie (Ursprung des
Gottesglaubens im Suchen und Finden einer ergänzenden Geistesmacht
), die „Objekte des religiösen Bewußtseins" werden auf dieser
Stufe nicht getrennt nach Einzelreligionen dargestellt, sondern in der
Art einer an den loci der klassischen christlichen Dogmatik entwickelten
vergleichenden Religionskunde.

Wie provisorisch auch dieser Entwurf erschien, zeigt die folgende
Auflage - konzipiert nach der „Tendenzwende" von 1878. Während
der zweite („loci"-) Teil beibehalten wird, erfährt der erste eine totale
Umgestaltung. Sie ist durch den Einfluß des französischen protestantischen
Religionsphilosophen Albert Reville (im Religionsbegriff)
und des Indologen Max Müller (für die Religionsgeschichte)
bestimmt. Um dessen Theorie Rechnung zu tragen, die die Religionen
analog zur Sprachgeschichte in eine indogermanische („arische") und
eine semitische Gruppe klassifizierte und im Christentum die Versöhnung
beider sah, wird die Skizze der religionsgeschichtlichen Entwicklung
wieder einbezogen.

Sie begegnet auch in der letzten Gestalt, doch ist im zweiten Teil
nun auch das Schema einer religionsgeschichtlichen Dogmatik aufgegeben
. Stattdessen wird dort das Wesen der Religion (einschließlich
ihres Verhältnisses zu Moral und Wissenschaft) unterschieden von

seinen Ausprägungen in Glaubens- und Kultformen, wir würden
sagen die Religionsphilosophie von der Religionsphänomenologie.

Der Vf. hat dem Neutestamentier Pfleiderer, der • zwei seiner,
wichtigsten Werke dem Paulinismus und dem Urchristentum
gewidmet hat, nur insoweit behandelt, als es die Darstellung der
Anfänge des Christentums in den religionsphilosophischen Werken
erforderte.5 Es wäre eine wichtige Aufgabe gewesen, zu prüfen,
inwieweit die Distanzierung von seinem Lehrer Ferd. Chr. Baur mit
dem Ringen um eine eigenständige religionsphilosophische Position
zwischen Idealismus und Positivismus zusammenhängt und wie sich
andererseits seine Annahme einer doppelten Verwurzelung des
(paulinischen) Urchristentums im Hellenismus und im Judentum in
das seit der zweiten Auflage dominierende religionsgeschichtliche
Schema einordnet.6

Der religions- und menschheitsgeschichtliche Universalismus
erweist sich als die noch heute beeindruckende Stärke des Pfleide-
rerschen Konzepts. An der Behandlung des Christentums zeigt sich
jedoch die Problematik eines Versuchs, die Theologie der Religionsgeschichte
gleichsam „von unten", d. h. von der Religion und den
Religionen aus anzusetzen. Man wird zu fragen haben, ob der vom Vf.
empfohlene Schritt vom Gottesbewußtsein zurück zum Gottesbegriff,
also die strikte Wiederaufnahme des Hegeischen Ansatzes, hier Abhilfe
schafft. Ungelöst bleibt der Widerspruch, wie wenig von dem,
was der Neutestamentier Pfleiderer gelernt und gelehrt hat, durch den
Religionssystematiker Pfleiderer aufgenommen wurde. Unaufgehoben
bleibt das Skandalon, daß der Fernes und Nahes umfassende
Blick des Religionshistorikers das nachbiblische Judentum - in seiner
Zeit und heute eine höchst gegenwärtige Größe - nahezu gänzlich
übersehen hat.

Der Vf. begreift Pfleiderer abschließend als „Alternative zu einem
breiten Strom theologischer Entwicklung, der von A. Ritsehl ausgeht,
in W. Herrmann und A. Harnack seine Fortsetzung findet und in die
dialektische Theologie einmündet" (S. 437). Der Rez., wider Willen
fast zum Nebenkläger geworden, möchte dem sich anschließenden
Plädoyer für eine Theologie der Religionsgeschichte, ergänzt durch
den „Dialog mit den Religionen", gern beipflichten. Er wagt aber zu
bezweifeln, ob die zitierten Geister den Altvordern dabei wirklich
hilfreich zu sein vermögen.

Halle (Saale) Wolfgang Wiefel

1 Rez. ThLZ 94, 1969 Sp. 697-699.

2 Vgl. W. Pannenberg, Erwägungen zu einer Theologie der Religionsgeschichte
, in: Grundfragen systematischer Theologie, Göttingen 1967,
252-295.

3 Rez. ThLZ 101,1976 Sp. 789-791.

4 Zu diesem: E. Barnikol, K. S. in Halle vor und nach 1848, WZ Halle 10,
1961, 499-652; zu seiner Religionsphilosophie 568-583. - Eine unmittelbare
biographische Beziehung besteht insofern, als S. Nachfolger Pfleiderers in Jena
werden sollte, als dieser 1875 nach Berlin berufen wurde (Barnikol, a. a. O.,
504).

5 An dieser Stelle sind auch die bibliographischen Angaben S. 441 lückenhaft
: Der Paulinismus erschien in zweiter Auflage 1890; Die Entstehung des
Christentums in 2. Auflage 1906.

6 Eine knappe Würdigung bei W. G. Kümmel, Das Neue Testament.
Geschichte seiner Probleme, Freiburg-München 1960,261-266.

Basile de Cesaree: Contre Eunome suivi de Eunome Apologie.

Introduction, Traduction et Notes de B. Sesboüe avec la collabo-
ration pour le texte et l'introduction critiques de G.-M. de Durand
et L. Doutreleau. Tome I. Paris: Cerf 1982. 274 S. 8* = Sources
Chretiennes, 299. Kart, ffr 167.-.

Auf die Bedeutung der Reihe Sources Chretiennes war in
ThLZ 107, 1982 Sp. 484-86 hingewiesen worden. Band 299 besteht
aus 2 fast gleich großen Teilen. Teil 1 bietet eine umfangreiche Ein-