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Ausgabe:

1983

Spalte:

378-380

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Leuze, Reinhard

Titel/Untertitel:

Theologie und Religionsgeschichte 1983

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 5

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wonach ,die rechtfertigende, heiligende Liebe' den Glauben erst vollenden
müsse - so etwa K. Rahner in seinem „Grundkurs des Glaubens
" (1976, S. 175 und 349) -, läßt sich nicht vermitteln."
(a.a.O.).

Keine Frage: Dem Herausgeber gebührt herzlicher Dank, daß er
erneut und in ansprechender Weise einen äußerst passablen Zugang
zum Zentrum der Theologie Luthers geöffnet hat.

Berlin Joachim Rogge

Girardin, Benoit: Rhetorique et Theologique. Calvin. Le Commen-
taire de l'Epitre aux Romains. Paris: Beauchesne 1979. 395 S. 8" =
Theologie historique, 54.

Dieses Buch ist in vieler Hinsicht ungewöhnlich. Es ist für konventionelles
theologisches Denken und Verstehen eine Herausforderung.
Bereits der sehr allgemein gehaltene Titel in seiner Wortfolge
«Rhetorique et Theologique» läßt mutmaßen, daß hier die Theologie
dem Gencralthema der Linguistik untergeordnet wird. Der Verfasser
hat die gefährliche Generalisierung in dem genannten weiten Feld
offenbar selbst empfunden. Deshalb nimmt er als Basis der Analyse
und der Reflexion einen besonderen, einen klassisch-theologischen
Text, und zwar Johannes Calvins Römerbrief-Kommentar aus seiner
Straßburger Zeit (1538-1541) (33).

Die Rezension eines fremdsprachigen Textes, der das nicht einmütig
bestellte und analysierte Feld der Linguistik behandelt, ist ganz
gewiß ein Risiko, und man läuft Gefahr, nicht richtig zu verstehen,
was in eigenwilliger Diktion und ungewöhnlicher Sachzusammen-
ordnung von „Rhetorischem und Theologischem" dargeboten wird.
So möchte der Rezensent darauf rechnen, daß seine Problemanzeige
Interesse weckt, das Buch selbst zu analysieren und sich mit seinen
Thesen auseinanderzusetzen.

Für das Zustandekommen seiner Arbeit weiß sich der Verfasser verbunden
dem Institut für Reformationsgeschichte der Universität
Genf, besonders seinem Direktor Pierre Fraenkel, dazu auch dem
Kirchenhistoriker Fatio und dem Altphilologen Bouvier an derselben
Universität. Der ganze Duktus des Buches zeigt deutlich, daß sich
Girardin der ökumenischen Fragestellung im weitesten Sinne des
Wortes verpflichtet weiß (39). Sein Studium der katholischen und
danach der reformierten Theologie sowie seine Mitarbeit am Atelier
oecumenique de theologie in Genf schufen die Voraussetzungen
dafür. Gegenwärtig ist der Verfasser Professor für protestantische
Theologie in Kamerun.

Girardin fragt danach, wie Calvin seine Exegese praktiziert. Bisher
habe man sich zur Erhebung der Theologie des Reformators überaus
stark an die Institutio gehalten und weniger an die zahlreichen und
aufschlußreichen exegetischen Arbeiten. Der für Calvins Gesamttheologie
, aber auch für die christliche Theologie schlechthin zentrale
Text des Römerbriefes schien Girardin besonders geeignet, sein
Themen- und Thesenfeld zu bewähren. Er untersucht Calvins Exege-
tica, indem er ihn vergleicht, zusammensieht, absetzt mit bzw. von
anderen zeitgenössischen Bibelauslegern. Hauptvergleichspartner
s"id ihm Erasmus, Melanchthon, Bucer und Bullinger (35).

Der Verfasser will am Beispiel Calvins die Regeln theologischer
Rede überhaupt aufspüren. Er bescheinigt weitgehend der theologischen
Arbeit bisher, auf Regeln, Grenzen, Riegel, Bedingungen der
Sprache zur Erhebung der theologischen Wahrheit nicht ausreichend
geachtet zu haben. Hier gibt es eine Welt zu entdecken. Die Sprache
'st nicht zuerst und nicht nur ein Instrument der Kommunikation,
«mais bien une maniere coherente et limitee d'habiter le monde»
'hinteres Deckblatt). Die abendländische Theologie ist somit auch der
abendländischen Rhetorik in ihrer besonderen Spezifik verbunden.
Hier meldet Girardin die Einbeziehung des Politischen, der Übertragungsprobleme
, der Textarchitektur und der Interpretations-
Prozedur an (35). In diesem Unternehmen muß zur Erfassung der
ganzen Wirklichkeit Calvins Umgang mit dem griechischen (biblischen
) und lateinischen (in der Tradition überlieferten und zeitgenössischen
) Text genau so bedacht werden wie das Reflexionsgefälle
bei «Marx, Freud et Nietzsche» (362), wenn der heutige Leser verstehen
will. Die Welt - auch die Welt der Rhetorik -, in der Theologie
getrieben wird, gehört unabdingbar zum Erkenntnishintergrund.

Offenbar spürt der Verfasser zu Beginn des 6. Kapitels bei seiner
Dominante der Rhetorik, die alles assimilieren, alles transformieren,
alles regeln könne (321), selbst, daß die Sache der Theologie in den
vorangegangenen Kapiteln nicht zentral genug vorgekommen sein
könnte. So schiebt er jetzt im Schlußkapitel die Erörterung von zwei
Hauptpunkten der Theologie Calvins nach und handelt über die
doppelte Prädestination und das Gesetz.

Girardin hat ein sehr kenntnisreiches Buch geschrieben. Die angegebene
Literatur ist immens. Eine Fülle von Römerbriefstellen, mittelalterlichen
und zeitgenössischen Autoren werden beachtet. Wir
haben hier eine Fundgrube mit vielen Einzelbeobachtungen. Die noch
nicht genannten 5 Kapitel der Arbeit geben lehrreiche Aufschlüsse
über die Historiographie (Verbreitung, Gebrauch, Textgestalt usw.)
des Römerbrief-Kommentars Calvins (1.), über die Straßburger Entstehungssituation
und das geistige Umfeld (2.), über die philologische
Arbeit des Reformators zwischen Urtext, Vulgata und anderen
Kommentatoren (3.), über das Verhältnis von Rhetorik, Geschichte
und Theologie mit den zu ziehenden theologischen Konsequenzen
(wobei all die genannten Faktoren als eben nicht „neutral" für die
theologische Rede bezeichnet werden, 227) (4.) und über die praktische
Interpretation des Römerbriefes, die Calvin in Auseinandersetzung
mit den obengenannten und vielen anderen Mitexegeten
vornimmt (5.).

Girardin hat auf etwas Vernachlässigtes aufmerksam gemacht. Sein
Buch ist eine Problemnotierung, die u. a. auch für das Feld der
Theologie als gültig behauptet: «Car la rhetorique est un ordre du
discours qui developpe certaines harmoniques, impose ses necessites
et ses limites.» (227) Vermutlich wird noch über das vorliegende Werk
hinaus deutlich gemacht werden müssen, wie sich diese allgemein
gehaltene These am Gesamtfeld der theologischen Sache bewähren
läßt.

Berlin Joachim Rogge

Leuze, Reinhard: Theologie und Religionsgeschichte. Der Weg Otto
Pfleiderers. München: Kaiser 1980. 447 S. gr. 8' = Münchener
Monographien zur historischen und systematischen Theologie.
6. Kart. DM 45,-.

Otto Pfleiderer (1839-1909), Religionsphilosoph und Religionshistoriker
, Dogmatiker und Exeget, seit 1875 Professor für Systematische
Theologie und Neues Testament an der Berliner Theologischen
Fakultät, teilt das Schicksal mancher Größen einer Übergangszeit
. Schon zu Lebzeiten stand er, der schwäbische Altliberale,
im Schatten der aufsteigenden Ritschlschen Schule, deren wichtigsten
Exponenten A. Harnack er vergeblich von Berlin fernzuhalten suchte.
Das unnachsichtige Gericht der Theologiegeschichte überantwortete
ihn der Vergessenheit. Nur die angelsächsische Welt mochte dieses
Urteil nicht recht annehmen und entsann sich je und dann seines
Namens.

Lohnt ein Wiederaufnahmeverfahren nach so vielen Jahrzehnten?
Im Falle des Zeitgenossen Albrecht Ritsehl hatte Rolf Schäfer als
umsichtiger und kenntnisreicher Anwalt ein solches erfolgreich
führen können und einer wichtigen Richtung gegenwärtigen theologischen
Denkens zu einem respektablen Ahnherrn verholfen.'
Reinhard Leuze, Mitarbeiter Wolfhart Pannenbergs, könnte
ähnliches im Sinn gehabt haben. Eine Theologie der Religionsgeschichte
gehört in München zum Programm2 und indirekte Hegelabkunft
schreckt dort nicht, am wenigsten einen Autor, der sich selbst
mit einer Untersuchung über die außerchristlichen Religionen bei
Hegel' eingeführt hatte.