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Ausgabe:

1983

Spalte:

371-372

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bräuer, Siegfried

Titel/Untertitel:

Die zeitgenoessischen Lieder ueber den Thueringer Aufstand von 1525 1983

Rezensent:

Rublack, Hans-Christoph

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 5

372

die Religionsgespräche der Reformationszeit nach wie vor offen und
die Gesichtspunkte kontrovers sind. Sieht Herbert Immenkötter
die Gespräche in Augsburg im Sommer 1530 an politisch-religionspolitisch
-strategischen Überlegungen der beteiligten Mächte scheitern
, so mißt Gerhard Müller den theologischen Erwägungen
Melanchthons und seiner Freunde weit größeres Gewicht für den
negativen Ausgang der Gespräche zu. Möchte Vinzenz Pfnür als
positivsten Ansatzpunkt in den Ergebnissen der Gespräche von
Worms und Regensburg 1540/41 den Abbau des Feindbildes sehen,
so sieht Cornelis Augustijn in Fortführung früherer Arbeiten die
Probleme der Ergebnisse dieser Gespräche viel komplexer. Unter
einem dem Kirchenhistoriker nicht gerade geläufigen Blickwinkel
betrachtet Wolfgang Reinhard die Rahmenbedingungen des Religionsgesprächs
von Poissy 1561, wenn er im Hintergrund des
Gesprächs den französischen König diplomatisch agieren sieht, um
sich die finanziellen Potenzen der gesprächführenden Parteien zur
Abwendung des drohenden Staatsbankrotts zu sichern. Diese Betrachtungsweise
ist um so eindrücklicher, wenn man daneben den Beitrag
von Alain Dufour liest, der Poissy aus dem Blickwinkel der Reformierten
und der sog. Moyenneurs, d. h. der Leute, die zwischen den
sich verfestigenden konfessionellen Fronten standen, beschreibt.

So ist es nicht verwunderlich, daß die Gespräche in Wolfenbüttel
immer wieder zu methodologischen Problemen zurückkehrten. Deutlicher
als bisher ist wohl auch das Geflecht der Ursachen für das Scheitern
der Gespräche in Erscheinung getreten. Daß als*Bedingung für
dieses Scheitern „ein sozialgeschichtlicher Trend zu Großgruppen"
beobachtet wurde (S. 155), mag überraschen, wenn das bereits für das
Jahr 1541 gilt. Der Prozeß der Entstehung der Konfessionen wäre
dann früher anzusetzen, als man ihn anzusetzen gewohnt ist. Daß das
aber heißt, „daß die zentralen theologischen Fragen in der Auseinandersetzung
an Bedeutung verlieren und die Äußerlichkeiten für die
Identität der Großgruppen zentral werden und symbolischen Charakter
erhalten" (ebd.), ist in dieser Alternativsetzung bereits in Wolfenbüttel
problematisiert worden. C. Augustijn hat gegenüber einem
Herunterspielen der Bedeutung der „Äußerlichkeiten" zu bedenken
gegeben, „daß nicht wir entscheiden, was Haupt- und Nebensache
war, sondern die Zeitgenossen. Unsere Aufgabe ist es vielmehr zu
erforschen, weshalb gerade diese Streitpunkte im 16. Jahrhundert
wichtig waren" (S. 52).

Dem ein großes Feld umschreitenden Überblick und Forschungsbericht
von Janusz T a z b i r über die Religionsgespräche in Polen und
dem Korreferat von Paul Wrzecionko ist zu entnehmen, daß die
Entwicklung in Polen insofern einen eigenen Weg gegangen ist, als
dort der Einfluß des Humanismus und die Tendenz zu Unionsbildungen
eindeutiger gewesen sind als das im übrigen Europa der Fall
war.

Die in dem Band enthaltenen Referate betreffen Augsburg 1530,
Leipzig 1534/39 (Günther Wartenberg), Hagenau/Worms/Regensburg
1540/41, Poissy 1561 und die Gespräche in Polen, insgesamt
also eine Auswahl aus dem Phänomen der Religionsgespräche des
16. Jahrhunderts. Trotzdem stellt der Band die wohl derzeit beste
Orientierung über den gegenwärtigen Problem-, Diskussions- und
Forschungsstand dar und verdient Beachtung und Aufmerksamkeit.
Er ist durch ein Namen- und Ortsregister erschlossen. Zu erwähnen
bleibt noch, daß Vinzenz Pfnür als Beilage zu seinem Beitrag zwei
Gutachten von Johannes Fabri für das Gespräch in Hagenau veröffentlicht
, die aus der Österreichischen Nationalbibliothek Wien
stammen.

Leipzig Ernst Koch

Bräuer, Siegfried: Die zeitgenössischen Lieder über den Thüringer
Aufstand von 1525. Mühlhausen: Zentrale Gedenkstätte „Deutscher
Bauernkrieg" 1979. 79 S. gr. 8° = Mühlhäuser Beiträge, Sonderheft
2. Kart. M 4,60.

Nur ganz wenige Lieder, die von Aufständischen des Bauernkriegs
oder von Sympathisanten selbst verfaßt wurden, sind überliefert. Die
von Bräuer untersuchten entstanden kurz nach dem Ende des bewaffneten
Konflikts in Thüringen: die zwei Mühlhäuser Lieder, deren
Verfasser nicht bekannt sind, im Juni und Juli 1525, und das „Schöne
Lied" wohl im August 1525, dessen Vorlage Bräuer in Cochläus' „Ein
kurzer Begriff vom Aufruhr der Bauern" nachweist. Die Mühlhäuser
Lieder berichten nicht über Ereignisse, die Verfasser wollen einen
Standpunkt verbreiten, sie klagen an und agitieren. Bräuer ordnet sie
den „Schandliedern" zu. Das „Schöne Lied" ist ein Zeitungslied,
berichtet dennoch nicht unparteiisch. Abweichend von der Vorlage
Cochläus' nimmt der Vf. einen Standpunkt ein, der mit der Reformation
zumindest sympathisiert.

Die intensive Interpretation der Textinhalte geht daher sachgemäß
vor, wenn sie den Personen und lokalen Ereignissen, auf die der Text
jeweils Bezug nimmt, nachgeht, um so ein dichtes Bild der Situation
zusammenzusetzen. Daraus ergibt sich dann die Akzentuierung, die
die Texte vornehmen und die Erhebung ihrer Absichten. Bräuer leistet
das mit akribischem Sachverstand. Er wehrt Fehlinterpretationen
ab, stellt sachlich richtig und bringt aus den Archiven in Weimar,
Mühlhausen und Dresden neue Nachrichten bei. Ebenso berichtigt
und ergänzt er bereits edierte Quellen und wertet die Literatur minutiös
aus. Die historisch-kritische Arbeit kann als musterhaft gelten,
ebenso die Berücksichtigung gattungsspezifischer Eigenarten.

Die Brisanz solcher politischer Lieder wird in den Nachforschungen
, die die Obrigkeiten betrieben, ganz deutlich. Diese rekonstruiert
Bräuer eingehend, so daß Teile der Nachgeschichte des Mühlhäuser
Aufstands in helleres Licht treten. Wichtiger sind die Informationen
über das, was sich zur Verbreitung der Lieder noch ausfindig machen
läßt. Auch die Überlieferungsgeschichte rückt Bräuer kritisch zurecht.
Vor allem ediert er die Texte paläographisch getreu - vom „Schönen
Lied" nur die Strophen 27 bis 30, die sich auf Thüringen beziehen - so
daß man eine verläßliche Textgrundlage besitzt1. Die Editionen bringen
auch die Varianten und in den Erläuterungen präzise Informationen
, auch aufgrund archivalischer Quellen. Zudem sind im Anhang
einige Quellen aus dem Umkreis der Lieder ediert. Für das „Schöne
Lied" sind Drucke und Handschriften nachgewiesen und beschrieben.
Ein Personen- und ein Ortsregister schließen die Untersuchung ab.
Die Mühlhäuser Lieder sind seltene Zeugnisse von Aufständischen,
die die Niederlage nicht mit Resignation beantworteten, die aber auch
keinen Müntzerischen Geist atmen: sie sind antiobrigkeitlich, ihre
Werte sind Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Gemeinnutz, sie nehmen
den Standpunkt des armen Mannes ein.

Tübingen Hans-Christoph Rublack

' Auf die Neuedition des Nördlinger Bundesliedes, das im Aufstand 1525
entstand und wirkte, darf hier hingewiesen werden: Rez.: Das „Lied" des Nörd-
lingers Contz Anahans, April 1525. In: Franz Quarthai u. Hans-Martin
Maurer [Hrsg]: Speculum Sueviae, Festschrift für Hansmartin Decker-Hauff
zum65. Geburtstag. Stuttgart 1982, Bd. 2,S. 58-74.

Lortz, Joseph: Die Reformation in Deutschland. Unveränderte
Neuausgabe (6. Auflage). Mit einem Nachwort von Peter Manns.
Freiburg-Basel-Wien: Herder 1982. 391 S. 8". Geb. DM 38,-.

Das bekannte bahnbrechende Werk katholischer Reformationsforschung
liegt hier in einer einbändigen Neüausgabe zum Luther-Jubiläumsjahr
als Nachdruck der 4. (bzw. 5.) Auflage von 1962 (1965) vor.
Ein Nachwort mit dem Titel „Lortz, Luther und der Papst" schrieb
Peter Manns, der Lortz-Schüler und derzeitige Nachfolger von Lortz
in Mainz. Er geht darin (I) auf die Umstände der Entstehung des Werkes
und (II) auf die seither in der katholischen Lutherforschung eingetretene
Entwicklung ein. Zu letzterer gehört neben neuen Forschungsergebnissen
, besonders zum Ockham- und zum Erasmus-Bild, auch
die Einsicht in „Engfuhrungen der Lortzschen Darstellung" (379), die