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Ausgabe:

1983

Spalte:

361-363

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Beker, Johan Christiaan

Titel/Untertitel:

Paul the apostle 1983

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 5

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über zu V. 63 nur als Interpolation verständlich wird. - Ein VI. Kap.
faßt zusammen (141-157). Es folgen noch sehr informative Anmerkungen
, 4 Tabellen und ein Autorenregister. - Beeindruckend ist die
Aufwendigkeit der Argumentation. Es gibt im Buch nahezu keine
These, die nicht einer Gegenprobe unterzogen wird. Und dennoch ist
das ganze Unterfangen m. E. verfehlt, weil alle Texte eindimensional
historisch befragt werden. Der exegetische Aufwand muß hier gerade
deshalb so groß sein, weil das historisch-apologetische und harmonisierende
Interesse im Vordergrund steht. Kaum einmal wird nach der
in den Texten zum Ausdruck kommenden Aussage der Verfasser
(oder vorsichtiger: derer, die die Aussagen überliefert, übersetzt, redigiert
haben) gefragt. So ergibt sich die (M. sicher gar nicht bewußte)
Konsequenz, daß der einzige Theologe im Neuen Testament (der
historische) Jesus ist.

Münster Gerhard Sellin

Beker, J. Christiaan: Paul the Apostle. The Triumph of God in Life
and Thought. Edinburgh: Clark; zugleich Philadelphia: Fortress
Press 1980. XI, 452 S. gr. 8*. Lw. £ 1 1.95.

Im Unterschied zu den meist publikumsorientierten Jesusbüchern
haben die Autoren von Paulusmonographien den engeren Kreis der
Fachkundigen vor Augen, wissend, daß das eigene theologische Konzept
mit auf dem Prüfstand steht. Der Vf. des vorliegenden Werkes,
Professor am Theological Seminary Princeton, N. J. stellt sich einem
hohen Anspruch, wenn er sich in die Reihe derer begibt, die sich im
vorausgehenden Jahrzehnt an eine Paulusdarstellung gewagt haben,
wobei ihm offenbar N. H. Ridderbos (vgl. ThLZ94, 1969 Sp. 5870
und G. Bornkamm (vgl. ThLZ 105, 1980 Sp. 747-750) als die wichtigsten
Vorgänger erscheinen. Wollte man eine Ortsbestimmung von
Werk und Autor versuchen, so dürfte der Platz etwa in der Mitte zwischen
diesen beiden liegen. Mit dem ersteren verbindet ihn, den
Lehrer der United Presbyterian Church, die schon im Titel erkennbare
theologische Grundorientierung, mit dem letzteren wichtige
historisch-literarische Vorentscheidungen wie die, Leben und Denken
des Paulus ausschließlich von den 7 Homologumena des Corpus Pau-
linum her zu entwickeln und das in der deutschsprachigen Forschung
herrschende kritische Bild der Geschichte des Urchristentums zu
übernehmen.

Das Werk ist stark in der Position und entschieden in der Abgrenzung
. B. begreift die Paulustheologie als christologische Reininter-
Pretation der Apokalyptik (S. 17). Die Auferstehung des Gekreuzigten
ist ihr Zentrum. Das apokalyptische Geschichtsdenken ist für den
Paulinismus nicht akzidentell, sondern von struktureller Bedeutung.
Dennoch ist es nicht selbst die Mitte, sondern Interpretation ("first
level of language"), durch die das Christusgeschehen seinem Ziel, dem
Triumph Gottes zugeordnet wird.

Wie erschließt sich von diesem Zentrum aus das (vom Vf. so
genannte) paulinische Evangelium? Es sind die Schlüsselworte Kontingenz
und Kohärenz, die die Methode signalisieren, mit deren Hilfe
es der Vf. unternimmt, die Fülle des Stoffes durchsichtig zu machen.
Das paulininische Denken selbst sei gekennzeichnet durch die ständige
Interaktion von kohärentem Zentrum und kontingenter Interpretation
(S. 16). So erscheint eine Gliederung angemessen, die sich an
die Darstellung der Paulustheologie, geführt vom Leitfaden der sie
bestimmenden Kontingenz (S. 23-133) und der Kohärenz
(S- 135-350), begibt.

Bei der Kontingenz geht es um die Darbietung des Evangeliums in
Partikulärer Situation, für Paulus im Kontext der jeweiligen Gemeindeproblematik
. Die Gattung Brief in ihrer Variabilität einschließlich
des von ihm rezipierten und gestalteten Formulars (S. 35) ist von
daher nicht nur adäquat, sondern geradezu sachnotwendig. An dieser
Stelle wird die theologische Relevanz der sog. Einleitungsfragen
sichtbar.

Die vom Vf. betonte Kohärenz erlaubt es ihm, die als zweites

„level" über dem christologisch-apokalyptischen Geschichtsdenken
angesiedelten Theologumena (gelegentlich Symbole genannt), die
Aussagen über Rechtfertigung, Versöhnung, Kindschaft, Sein in Christus
und Sein mit Christus als Elemente der Totalität zu erfassen,
unbeschadet ihrer partikulären Interpretierbarkeit.

Der aufmerksame Leser bemerkt bald, daß trotz der gelegentlich
schillernden, vom Strukturalismus angereicherten Formulierungen
ein Konzept der Mitte angeboten wird. Dank des Kontingenzaspekts
kann der Vf. gegen die topologisch-dogmatische Methode der meisten
Paulusdarstellungen polemisieren, die das situationelle Moment vernachlässigt
haben. Andrerseits ermöglicht ihm das Festhalten an der
Kohärenz denen gegenüber, die dem Entwicklungsgedanken bei der
Behandlung des Paulinismus Raum geben - wie es etwa im angelsächsischen
Raum J. W. Dräne, im deutschsprachigen H. Hübner, daneben
auch der Rez. versucht haben - für eine Position einzustehen, der
es um die "unity of the gospel in its diverse expressions" geht (S. 39).
Dabei werden freilich weder die kritischen Punkte der Eschatologie
noch das Verhältnis von IThess 2,15 und Rom 9-11 angesprochen.

Für die Kontingenz („Kontextualität") tritt ein Exempel ein, die
Rezeption der Abrahamgestalt in Gal und Rom. In Gal steht sie unter
der Frage nach dem Abrahamserben. Sie erscheint gegen eine die dortige
heidenchristliche Gemeinde überflutende Theologie gerichtet, die
die Tora-Linie bruchlos in die Heilsgeschichte, die mit Abraham
begann und zu Christus führt, integrieren will und als praktische
Konsequenz die Beschneidung fordert. Ihr gegenüber betont Paulus
im Gal in aller Schärfe die Diskontinuität von Torazeit und Christuszeit
und sieht die Abraham-Christus-Relation durch die Verheißung
bestimmt. Im Rom hingegen werde eine Gemeinde angeredet, die teils
aus ehemaligen Juden, teils aus einstigen jüdischen Sympathisanten
besteht. Bei ihnen will er um Verständnis werben für seine Pläne,
seine Beziehung zu Jerusalem, seine Sicht des Verhältnisses von Juden
und Heiden, Judenchristen und Heidenchristen. So gehe es in Rom
nicht um Polemik, sondern um Dialog. Leitfrage ist hier, inwiefern
der Gott Abrahams der Gott der Christen ist. Die Kontinuität der
Heilsgeschichte wird ihrer Diskontinuität übergeordnet. Daß bei solcher
Interpretation über Rom 4 hinausgegrifTen wird und Rom 5-8
und nicht zuletzt die abschließenden Kapitel ihre Beleuchtung erfahren
, versteht sich von selbst. Etwas zugespitzt: Gal ist eher nach
G. Klein, Rom eher nach U. Wilckenszu interpretieren.

Der Aufweis der Kohärenz der paulinischen Theologie, begriffen
als apokalyptische Deutung des Christusgeschehens, setzt ein mit der
Auferstehung, deren Doppelcharakter darin besteht, daß sie Antwort
auf das Kreuz und Signal des anbrechenden Eschatons ist. Eindrucksvoll
wird der Zusammenhang von Kreuzesbotschaft und Auferstehungstheologie
am Verhältnis von IKor 1-2 und IKor 15 verdeutlicht
. Wie die darauf aufbauende Entfaltung sich darbietet, kann nur
durch einen Blick auf die thematische Gliederung angedeutet werden.
Sie behandelt in schöner Proportionalität auf der einen Seite das
Ärgernis des Kreuzes (S. 182-212), das Dilemma von Sünde und Tod
(S. 213-234) und das Rätsel des Gesetzes (S. 234-244), auf der anderen
Seite die Gabe und die Aufgabe der Rettung (S. 245-271), das verantwortete
Leben in Christus (S. 272-302) und die Kirche als
Anbruch der neuen Weltzeit (S. 303-327). Die Linien konvergieren in
einer tiefschürfenden Meditation über die Bestimmung Israels nach
Paulus(S. 328-350).

Es liegt wohl in der Konsequenz dieses Entwurfs, daß in ihm die
individualen Aspekte der paulinischen Theologie (von der Heilszueignung
in der Taufe bis zur Hoffnung angesichts des Sterbens) weniger
zur Geltung kommen. Mitteleuropäische Leser könnten geneigt sein,
diese Paulusdarstellung vorschnell abzubuchen und sie der Deutung
im Zeichen der (inzwischen von den meisten Protestanten verabschiedeten
) Heilsgeschichte zuzurechnen, wie sie von Hofmann bis StaulTer
vor allem im lutherischen Raum wirksam war. Das hier entwickelte
Paulusbild steht jedoch romantisch-spekulativer Theologie fern, erinnert
uns vielmehr an jene Wurzeln heilsgeschichtlichen Denkens, die
über Coccejus auf Calvin zurückführen. Man merkt auf, wenn