Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1983

Spalte:

360-361

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Marshall, Ian Howard

Titel/Untertitel:

Last supper and Lord's supper 1983

Rezensent:

Sellin, Gerhard

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

359

Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 5

360

mit seinen Jüngern hielt (vielleicht in Bethanien, S. 692 f?) geschah im
Grunde nichts anderes als vorher auch, nur enthüllten hier diese
zeichenhaft'en Handlungen ihren letzten, tiefsten Sinn. Die Worte, die
die Berichte über das Letzte Mahl dem Herrn in den Mund legen, stellen
Versuche dar, diesen Vorgang in einer bestimmten Weise zu deuten
. Mk 14 und IKor 11 repräsentieren dabei einen Interpretationsstrang
, der sich vom Beginn des 2. Jh. an schrittweise im Westen
durchsetzt; hier steht Jesu Sühnetod im Mittelpunkt, und der
Gebrauch von Wein ist obligatorisch und für den Sinn des Geschehens
von höchster Bedeutung. Eine andere Interpretationslinie
kommt stärker im Osten zum Tragen; sie basiert nicht so sehr auf den
Berichten über das Letzte Mahl, sondern stärker auf der Symbolik, die
an den eucharistischen Elementen haftet. Hier ist das Brot wichtiger
als der Wein; im Mittelpunkt der Feier steht der auferstandene,
gegenwärtige Herr. Beide Typen beeinflussen sich in der Folge auf
vielfache Weise, doch behalten beide ihren je eigenen Charakter.

Der Rez. ist sich im klaren darüber, daß in dieser Kürze die Position
R.s nur sehr unzureichend, vielleicht auch nur mißverständlich dargestellt
werden kann - beschränkt vor allem auf die Grundlinien, wie sie
sich in der „Introduction" von 1953 abzeichnen. Zahlreiche Einzelergebnisse
fallen dabei notgedrungen unter den Tisch. R. selber hat
seiner umfangreichen "Further Inquiry" sechs Thesen zugrundegelegt
, die etwas ahnen lassen von der Fülle der hier erörterten Themen:
Die neutestamentlichen Texte und die kirchlichen Liturgien müssen -
zumal in einer Zeit, in der beide noch im Fluß waren - im Zusammenhang
gesehen und untersucht werden (I). Eine Darstellung der frühen
eucharistischen Praxis muß in angemessener Weise die Belege berücksichtigen
, die für einen - ursprünglich östlichen - Ritus sprechen, in
dem dem Brot gegenüber dem Wein die bedeutendere Rolle zukam
(II). Die spezifischen Merkmale österlicher und westlicher Liturgien
verweisen auf Grundformen, die beiden Typen jeweils zugrundeliegen
; sie stehen zudem - in jedem Typ für sich - in einem organischen
Zusammenhang untereinander (III). Ein radikaler Dualismus, wie ihn
Lietzmann vertritt, ist jedoch unwahrscheinlich; auch der ,pauli-
nische' Typus geht vermutlich auf einen ursprünglichen Ritus des
Brotbrechens und -teilens zurück (IV). Alle Versuche, das Letzte
Mahl Jesu auf dem Hintergrund irgendwelcher ritueller jüdischer
Mahlzeiten zu verstehen, oder die frühe Eucharistie mit den jüdischen
Mahlgebeten in Verbindung zu bringen, wie sie für solche Gelegenheiten
überliefert werden, führen zu Fehldeutungen, weil sie die Originalität
Jesu und die Kreativität der frühen Kirche unterschätzen (V).
Hinter der Interpretation des Letzten Mahles durch Markus verbirgt
sich die Norm für die eucharistische Liturgie; falls es gelingt, sie wieder
aufzudecken, kann sie den Maßstab für die Beurteilung und die
Gestaltung liturgischer Entwicklungen liefern (VI).

Es ist deutlich, daß alle diese Thesen (besonders V und VI!) - und
erst recht die umfangreichen Argumentationsreihen, in denen sie entfaltet
werden - zur Auseinandersetzung auffordern. Dem Rez., den
vieles von dem, was er da liest, angesichts des ihm bekannten Forschungsstandes
geradezu abenteuerlich anmutet, fehlt der Raum und
auch die Kompetenz, um hier in eine solche Auseinandersetzung einzutreten
. Er kann nur noch daraufhinweisen, daß der Vf. selber praktische
liturgische Konsequenzen aus seiner These zieht - daß nämlich
das Abendmahl auf ein symbolisch zu verstehendes „Brotbrechen"
zurückgehe, das Jesus und seine Jünger während der Zeit seines Wirkens
miteinander verbunden habe: Er schließt seine „Further Inquiry
" mit der Vorlage eines Abendmahlsformulars ab (S. 698 f).
Dieses enthält eine Ordnung für die Kommunionspendung und -
noch vorher-ein Abendmahlsgebet ("The Prayer of Thanksgiving"),
in dem zwar das Letzte Mahl erwähnt, die Deuteworte Jesu jedoch
nicht zitiert werden; das Gebet beschränkt sich darauf, die Handlung
zu beschreiben, die Jesus vollzieht: ". . . he took bread, and when he
had blessed, he brake it, and gave it lo them" (darauf liegt alles
Gewicht!); "Likewise also he took a cup, and having given thanks he
shared it with them". So etwa stellt sich demnach R. die .Urform' des
Abendmahls vor: eine Handlung von eigenständiger symbolischer

Kraft, weder belastet durch Deuteworte noch durch jüdische
Mahlbräuche.

Leipzlg Karl-Heinrich Bieritz

Marshall, [. Howard: Last Supper and Lord's Supper. Exeter: Paternoster
Press 1980.191 S. 8*. Kart. £ 4.20; Geb. £ 7.40.

Gerade beim Thema Abendmahl sind exegetische Erkenntnisse in
den letzten Jahrzehnten für die kirchliche Praxis, von besonderer Bedeutung
gewesen. So endet dieses Buch denn auch mit einer Reihe
praktischer Konsequenzen, die man nur begrüßen kann: eine Entsa-
kralisierung des Mahls, eine „offene Tafel", keine Zulaßbedingungen,
Bindung an die Wortverkündigung, Symbolisierung der Gemeinschaft
durch Brotbrechen und den einen Kelch, einfache Formen usw., das
ganze theologisch aufgeschlüsselt unter der Dreiheit Erinnerung-Vergegenwärtigung
-Antizipation - dies alles findet hoffentlich Zustimmung
. Nur der Weg, der auf den 150 Seiten zuvor beschritten wird,
scheint mir ausgesprochen problematisch zu sein. Pauschal läßt sich
sagen, daß M. sich an die im deutschen Sprachbereich von J. Jeremias,
H. Schürmann, H. Patsch und R. Pesch vertretene konservative Exegese
anschließt. Er befragt die Texte nahezu ausschließlich nach
ihrer historischen Glaubwürdigkeit. Widersprüche und Differenzen
werden dann harmonisiert (besonders auffällig bei der Behandlung der
johanneischen Problematik).

In einem ersten Kapitel werden religionsgeschichtliche Analogien
aus jüdischer und heidnischer Umwelt für irrelevant erklärt - bis auf
das jüdische Passamahl (18-29). Entscheidend ist Kap. II (30-56): Die
Texte vom letzten Mahl Jesu. Die Formeln selber gehen auf die Jerusalemer
Urgemeinde und dann auf Jesus selbst zurück. Eine wichtige
Rolle spielt der Lk- (Lang-) Text, der keineswegs von der paulinischen
Fassung in 1 Kor 11 abhängig sei. Die aus der Lk- und der Paulus-Fassung
harmonisierte Fassung sei im ganzen ursprünglicher als die Mk-
Form. - In Kap. III will M. nachweisen, daß das letzte Mahl Jesu ein
Passa-Mahl war (S. 57-75). Das Argument, die Passa-Motive fänden
sich nur im Kontext (bei Mk), nicht aber in der Tradition selber
(E. Schweizer), weist M. durch drei Argumente zurück: mit der
Behauptung, der Text sei nicht aus dem Kontext bei Mk zu isolieren
(so auch Pesch), mit der Behauptung, die Formeln selber wären nur an
der Institutionalisierung des kirchlichen Herrenmahls interessiert,
hätten daher die Passa-Situation unterschlagen, und mit dem Hinweis
auf die Tatsache, daß Brot und Wein gedeutet würden, was sich aus
der Passa-Haggada erkläre (S. 610- Alle drei Argumente sind m. E.
nicht schlagend: Die ersten beiden sind nicht zu belegen. Zum dritten
ist zu sagen: In jedem jüdischen Festmahl waren Brotausteilen und
Becher der gegebene Anlaß für Worte (Gebete, Segen). Die Abweichung
der joh. Chronologie wird harmonisiert: Jesus selber hätte sich
nach dem pharisäischen Kalender gerichtet und das Mahl einen Tag
früher als das offizielle Judentum gehalten. - Im IV. Kap. geht es um
die Bedeutung des letzten Mahles Jesu (76-106). Alle Motive, die mit
der Abendmahlstradition verbunden sind (Sühnetod; Bund; Ex 24,8;
Jer 31,31; Jes53; eschatologische Erwartung; Abschied; Institution
für die Kirche; Martyrium usw.), werden schon für das Selbstbewußtsein
des historischen Jesus veranschlagt. Das geht dann so weit, daß
die Raumfindung (Mk 14,12fT) erklärt wird mit einem geheimgehaltenen
Arrangement Jesu, der, weil er wußte, was ihn erwartete, einen
versteckten Raum für sein letztes Passamahl benötigte. In einem
V. Kap. hebt M. vom historischen Mahl Jesu das Herrenmahl der frühen
Kirche ab(S. 107-140). Dabei geht es um die Reaktion des Paulus
auf den Mißbrauch der Mahlfeier in Korinth, das Brotbrechen in der
Apg. und das Problem des Herrenmahles im Joh-Ev. Besonders auffällig
ist die Harmonisierungstendenz bei der Behandlung von
Joh 6,51-58: Der Kontext (besonders Joh 6,63) zeigte, daß Joh die
sakramentale Bedeutung des Mahles gegenüber einer spirituellen herunterspiele
. Dagegen ist zu sagen, daß V. 51-58 (wobei das massivrealistische
trogein = kauen zu beachten ist) doch gerade im Gegen-