Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1983

Spalte:

356-357

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Gerhardt, Ulrich

Titel/Untertitel:

Juedisches Leben im juedischen Ritual 1983

Rezensent:

Wächter, Ludwig

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

.355

Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 5

356

linien reden. Auf diesem Hintergrunde hat die Theorie Fitzmyers, daß
dieser Abschnitt in 2 Kor eine christliche Bearbeitung eines essäischen
Traktates sei, so viel mehr Gewicht.

J. T. Milik schreibt in einem Aufsatz von 1959 über die Geschichte
der Essener, so weit wir diese Geschichte vom römischen
Autor Plinius dem Älteren kennen, und vergleicht das, was. wir von
den Ausgrabungen in Qumran und vom Inhalt der essäischen Qum-
ranschriften annehmen können. Er geht dabei auf die Gestalt des Lehrers
der Gerechtigkeit, der vermutete Stifter der Qumransekte, ein.
Wenn er aber versucht, die Geschichte dieser Gestalt von den Qum-
ranhymnen, Hodayot, aus zu lesen, indem er vermutet, daß diese
Hymnen jedenfalls teilweise ein Werk des Lehrers sind, muß doch
gesagt werden, daß ein allgemeiner Konsensus hier nicht vorliegt.
Meiner Meinung nach ist diese Einsperrung des „Ich" der Qumran-
hymnen in einer historischen Gestalt ein Mißverständnis des ,Sitzes
im Leben' dieser Hymnen. Da zeigt J.Carmignacin seinem Aufsatz
von 1962 über die Theologie des Leidens in den Hymnen eine weit
mehr nuancierte Auffassung.

Eben die Hodayot-Rolle ist wohl eine von den wichtigsten, wenn
nicht die wichtigste der Qumranschriften zur Erforschung der Theologie
der Gemeinde - gewissermaßen wie die alttestamentlichen Psalmen
für die Theologie Israels. Darüber handelt die Abhandlung Jacob
Lichts von 1956 - er war wohl der erste, der sich tiefgehend mit
diesen Gedichten beschäftigte. Auch er hat aber damals noch die
Hodayot als ein einheitliches Schreiben aufgefaßt - jedenfalls behandelt
. Erst später hat man angefangen, nach der Bedeutung der verschiedenen
Gattungen, die hier vorliegen, zu fragen.

Eine besondere Frage gilt der Messiasauffassung in Qumran. In den
Schriften wird nicht viel von dem kommenden Messias gesprochen,
und man ist geneigt zu meinen, daß die Messiaserwartungen in Qumran
aus verschiedenen Gründen keine große Rolle spielten. Vom Messias
wird aber bisweilen gesprochen und zwar sowohl von einem davidischen
Laien-Messias wie von einem priesterlichen Messias von
Aaron. Während man bisweilen gemeint hat, daß diese beiden Gestalten
je eine gleichzeitige Entwicklung in der Qumranischen Theologie
abspiegelten, argumentiert K.Schubert dafür, daß beide Vorstellungen
sich Seite an Seite in Qumran vorfanden und zwar in der
Weise, daß der priesterliche Messias dem Laienmessias übergeordnet
war.

Es gibt ferner Aufsätze über die Organisation und das Gemeindeleben
in Qumran von C.-H. Hunzinger (1963),
A. Dupont-Sommer (1965) (von dem auch eine andere Abhandlung
über das Problem der Einflüsse von der iranischen Geisteswelt
und vom Hellenismus (1955) aufgenommen ist), und J. Maier
(1960). Was ebenfalls mit der Theologie der Gemeinde zu tun hat, ist
die Auffassung der alttestamentlichen kanonischen Schriften. Wie las
man sie, und was hat man aus ihnen gelesen? Eine Frage, die nicht
zuletzt für die neutestamentliche Forschung von Wichtigkeit ist.
Damit beschäftigt sich G. Vermes in einem Aufsatz von 1975.-Und
endlich soll erwähnt werden, daß die ganze Sammlung mit einem
Aufsatz von dem vielseitigen alttestamentlichen Forscher
H. H. Rowley über die Geschichte der Qumransekte (1959) eröffnet
wird.

Man kann fragen, ob eine Sammlung von Aufsätzen, von denen die
ersten schon mehr als 25 Jahre alt sind, wirklich noch 1981 für die
Qumranforschung repräsentativ ist. Man muß aber sagen, daß die
Auswahl mit großer Sorgfalt vorgenommen worden ist, und daß auch
die älteren Aufsätze eine treffliche Einführung in die Problematik der
verschiedenen Qumranthemen bieten. Diese Essay-Sammlung hat
namentlich für zwei Kategorien von Lesern Bedeutung: Einmal für
diejenigen, die einer Einführung in die Qumranforschung bedürfen.
Zweitens für diejenigen, die sich gelegentlich mit Qumran beschäftigt
haben, aber nicht Zeit und Gelegenheit hatten, dieser Forschung
genau zu folgen.

Kopenhagen Svend Holm-Nielsen

Gerhardt, Ulrich: Jüdisches Leben im jüdischen Ritual. Studien und
Beobachtungen 1902-1933. Bearbeitet und kommentiert von Zwi
Sofer unter Mitwirkung von Malwine und Peter Maser, herausgegeben
von Dietrich Gerhardt. Heidelberg: Lambert Schneider 1980.
303 S. m. 45 Abb., lKte, gr. 8° = Studia Delitzschiana N. F.
Texte und Abhandlungen zur Geschichte und Literatur des Judentums
, 1. Kart. DM 58,-.

Ulrich Gerhardt, 1875 geboren, Sohn eines Medizinprofessors und
selbst nach dem Studium der Medizin und der Naturwissenschaften
sowohl Arzt als auch Zoologe, war von 1922 bis 1948 Direktor des
Instituts für Anatomie und Physiologie der Haustiere an der Universität
Halle. Damit scheint der Tätigkeitsbereich dieses Gelehrten hinreichend
umschrieben. Aber seine Interessen gingen weit über sein
eigentliches Fachgebiet hinaus. Besonders faszinierte ihn das Judentum
in seinen verschiedenen Ausprägungen, wie er es in Breslau wäh-
rend seiner Assistentenzeit von 1901 ab kennenlernte. Anders aber als
manche der ebenfalls hierfür Interessierten ließ es G. nicht bei gelegentlichen
Synagogenbesuchen bewenden. Ihn fesselte der Ritus, und
er bekam einen Blick für seine Besonderheiten und die Unterschiede,
die er in den verschiedenen jüdischen Gruppen aufweist. Er begann
nach den Gründen zu fragen und zog kundige Juden zu Rate. Die Begegnung
mit dem orthodoxen aschkenasischen Judentum in Breslau
regte ihn bald zu Reisen nach Krakau an, wo er sich besonders von
Simon Landau in das dortige jüdische Leben einführen ließ. Dort und
in einigen seiner Zentren in Galizien (Lemberg, Beiz, Sadagöra) lernte
er auch den Chassidismus kennen, zu dessen Gemeinden in Leipzig
und Berlin er in späterer Zeit ebenfalls Zugang bekam. 1906 brachte
ihn eine zoologische Forschungsreise nach Bosnien und in die Herzegowina
in Berührung mit dem sefardischen Judentum der Spaniolen
(Banjaluka, Sarajewo und Mostar). Die dort gewonnenen Kenntnisse
über den sefardischen Ritus konnte er später bei Aufenthalten in
Athen (1926) und London (1930) erweitern. War ihm bis dahin der
aschkenasische Ritus nur in seiner ostdeutsch-polnischen Ausprägung
vertraut, so beschäftigte er sich von 1907 ab auch mit seiner südwestdeutschen
Ausprägung (Külzheim, Wertheim, Tauberbischofsheim
). 1931 gab ihm eine längere Forschungsreise nach Palästina
Gelegenheit, ihm zuvor noch nicht bekannte jüdische Gruppen zu
besuchen. Das regte zu vergleichenden Studien über Ritus und
Brauchtum an. Hierbei stand ihm besonders G. Scholem zur Seite,
und daraus entwickelte sich dann ein intensiver Briefwechsel, ähnlich
dem, der zuvor schon mit S. Landau (Krakau) bestanden hatte.

Jüdisches Brauchtum konnte und wollte G. nicht losgelöst von den
Menschen betrachten, die es üben. Dieses von Liebe zu der Sache und
den Menschen getragene Interesse öffnete ihm überall Herzen und
Türen. Auf Anfragen bekam er stets bereitwillig Auskunft. Selbst
wenn er einen seiner jüdischen Partner in seinen Briefen mit einer
Fülle von Fragen geradezu „löcherte", wurde dieser nicht müde,
geduldig und ermunternd darauf einzugehen. Selbstverständlich zog
G. auch alle ihm verfügbare Literatur heran, und so gingen seine
Beobachtungen über das bloße Registrieren ritueller Besonderheiten
weit hinaus.

Es war G. nicht vergönnt, seine Beobachtungen und Erfahrungen
im Gebiet des jüdischen Brauchtums ausführlich zusammenzufassen.
In seinen letzten Lebensjahren (1947-1950) war er an diese Arbeit
herangegangen, hatte sie aber nicht zu Ende führen können.

Daß das von ihm Erkundete nicht verlorengegangen ist, verdanken
wir seinem Sohne Dietrich Gerhardt, der sich viele Jahre nach dem
Tode des Vaters darum bemühte, das von diesem hinterlassene
Manuskript veröffentlichen zu lassen, und Zwi Sofer, der den Wert des
Berichteten erkannte, das Manuskript ergänzte, berichtigte und kommentierte
sowie dazu anregte, zur Ergänzung den einen erhaltenen
Band der Tagebücher hinzuzufügen (vgl. das Geleitwort von D. Gerhardt
, S. 13-18). K. H. Rengstorf ist es zu verdanken, daß das Buch in
den Schriften des Institutum Delitzschianum Aufnahme gefunden
hat.