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Ausgabe:

1983

Spalte:

345-347

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Werner H.

Titel/Untertitel:

Zukunft und Hoffnung 1983

Rezensent:

Weiß, Hans-Friedrich

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345

Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 5

346

Schmidt, Werner H., u. Becker, Jürgen: Zukunft und Hoffnung. Stuttgart
-Berlin-Köln-Mainz: Kohlhammer 1981. 202 S. 8' = Kohlhammer
Taschenbücher, 1014: Biblische Konfrontationen. Kart.
DM 20,-.

Wenn für die Reihe der „Biblischen Konfrontationen" das Stichwort
„Konfrontation" nicht nur im Sinne einer Gegenüberstellung
des entsprechenden Zeugnisses des Alten und des Neuen Testaments
zu verstehen ist, sondern zugleich auch im Sinne einer Konfrontation
des gesamtbiblischen Zeugnisses mit unserer gegenwärtigen Frage
nach „Zukunft und Hoffnung", so ist der Leser des vorliegenden Bandes
wohl doch ein wenig erstaunt, wenn er als ersten Satz im Vorwort
die schlichte Feststellung liest: „Die Hoffnung steht nicht mehr im
Mittelpunkt theologischer Überlegungen" (S. 9). Gewiß trifft es zu,
wenn im gleichen Zusammenhang festgestellt wird, daß „etwa die
ökologische Debatte" heutzutage „ein eher erschreckendes Zukunftsbild
" entwirft. Eben unter diesen Bedingungen sind es dann aber
gerade die - nach Meinung beider Autoren heute höher geschätzten -
„Gegenwartsaufgaben", die ganz unmittelbar mit „Zukunft und
Hoffnung", konkret: mit den Überlebenschancen der Menschheit in
dieser Welt zu tun haben! Von daher gesehen ist es also zu bezweifeln,
ob die „Meditation über die Hoffnung" heutzutage wirklich „weniger
Resonanz" hat, wie die Autoren meinen. Gleichwohl: Der Leser des
vorliegenden Bandes, der sich durch solche Überlegungen zum
Thema im Kontext gegenwärtiger Frage- und Aufgabenstellungen
nicht von vornherein irritieren läßt, wird alsbald durch die im folgenden
dargebotene Rückbesinnung auf das biblische Zeugnis zum
Thema in vielerlei Hinsicht reich belohnt, wobei beide Autoren sich
von vornherein darüber im klaren sind, daß die Sache von „Zukunft
und Hoffnung" als ein zentrales Thema der biblischen Überlieferung
sich gewiß nicht - so insbesondere im Blick auf das Alte Testament
(S. 12ff) - formal an der „Begriffsstatistik" ablesen läßt und daß auch
dort, wo - wie z. B. bei Paulus (S. 164) - die Hoffnung des Christen
nicht eigens Gegenstand der Erörterung ist, an der zentralen Bedeutung
des Themas für die biblische Botschaft nicht zu zweifeln ist.

Der Vf. des ersten, alttestamentlichen Teiles (S. 11-91) stand dabei
vor der zugegebenermaßen schwierigen Frage, einerseits so weit wie
möglich und nötig die Vielfalt der Äußerungen des Alten Testaments
zum Thema deutlich werden zu lassen, andererseits aber auch die
eben angesichts dieser Vielfalt naheliegende Frage zu beantworten, ob
„sich in den verschiedenartigen Zukunftserwartungen eine gemeinsame
Linie aufweisen" läßt, „ein Grundzug, der für die Hoffnung
des Alten Testaments bedeutsam oder bestimmend ist?" (S. 11; vgl.
auch S. 85). In seiner primär an Sachthemen orientierten (und diesen
auch die geschichtliche Entwicklung zuordnenden) Darstellung vermag
W'. H. Schmidt auf diese Grundfrage eine überzeugende Antwort
zu geben: Nicht nur, daß das AT - im Anschluß offensichtlich an
die bekannte Formulierung G. v. Rads - als das Buch einer (extensiv
wie intensiv) „immer weiter ausgreifenden Erwartung" und Hoffnung
verstanden wird (S. 45.880, die konsequenterweise schließlich alle
innerweltlichen Grenzen überschreitet und auch die „Hoffnung gegen
den Tod" einschließt (S. 70ff sowie S. 87ff; vgl. in diesem Zusammenhang
bes. S. 90 den Verweis auf IKor 15,28!); noch gewichtiger
vielmehr im unmittelbaren (kausalen!) Zusammenhang damit der
schlechthin grundlegende Stellenwert, den W. H. Schmidt dabei dem
Ersten Gebot einräumt (S. 37.39.43.72f und bes. S. 89: „Die stete
Ausweitung der Hoffnung im Alten Testament ist auch eine Auswirkung
des ersten Gebotes, d. h. des Bekenntnisses zu dem einen Gott,
aus dessen Machtbereich kein Raum ausgespart bleiben kann"!).
Dementsprechend steht dann am Ende des ersten Teiles der „Rückblick
und Ausblick" unter der Überschrift „Königsherrschaft Gottes"
(S. 85fr", hier bes. S. 890, an den der neutestamentliche Teil von
J- Becker (S. 92-184) mit der hier am Anfang stehenden Skizze der
Verkündigung Jesu von der nahen Gottesherrschaft (S. 95-117) nahezu
nahtlos anschließen kann (vgl. hier bes. S. 106f zum Zusammenbang
Gottesherrschaft - Erstes Gebot). Wird freilich bereits im ersten

Teil des vorliegenden Bandes mehrfach auf den Übergang von der späteren
Prophetie zur Apokalyptik hingewiesen (S. 35.65.88.90), vermißt
man dann doch gerade an dieser Stelle - was die Kontinuität AT
- NT im Blick auf das Gesamtthema betrifft - eine eigne Berücksichtigung
dieser für das Thema im NT insgesamt entscheidenden Strömung
innerhalb des spätantiken Judentums. J. Becker versucht
dementsprechend in seiner - im Unterschied zum ersten Teil theolo-
gie- bzw. entwicklungsgeschichtlich orientierten - Darstellung solchem
Mangel dadurch Rechnung zu tragen, daß er im jeweiligen Zusammenhang
bestimmte Grundstrukturen „apokalyptischen" Denkens
nachträglich verdeutlicht, und zwar jeweils in ihrer Rezeption
durch Jesus (S. 98ff.l 11 ff) und durch Paulus (S. 134ff; in diesem
Zusammenhang dann auch der an sich gewiß berechtigte Hinweis darauf
, daß eine Darstellung der Geschichte der jüdischen Apokalyptik
von Daniel bis zum 4. Esrabuch „ein eigenes Thema für sich" gewesen
wäre: S. 99). Im übrigen ist J. Beckers Darstellung im einzelnen
durchaus daran interessiert, den (durch das Judentum bzw. die Apokalyptik
vermittelten) Zusammenhang zwischen AT und NT herauszustellen
(vgl. z.B. S. 1 lOff: „Das traditionsgeschichtliche Problem
der jesuanischen Gottesherrschaft") und dabei u. a. auch den
„schöpfungstheologischen" Aspekt der Botschaft Jesu entsprechend
zu betonen (so bes. S. 103ff: „Die Zukunft als Nähe des gütigen
Schöpfers"; vgl. auch S.114f den Hinweis auf die „weisheitliche
Schöpfungstradition" bei Jesus); noch stärker jedoch besteht in
diesem zweiten Teil des vorliegenden Bandes ein Interesse daran, die
„Hoffnungsgeschichte des Neuen Testaments" als notwendige Folge
der „inneren Geschichte des Christentums selbst" zu begreifen (S. 94).
Grundlegend für diese Sicht ist der programmatisch am Anfang
stehende Satz: „Das Neue Testament thematisiert Zukunft und Hoffnung
so, daß es alle verschiedenen Ausführungen dazu von der Oster-
erfahrung und Osterbotschaft, also von der Christologie her, ableitet"
(S. 92). Kontinuität und Diskontinuität im Verhältnis zum AT bzw.
zum Bekenntnis Israels werden auf diese Weise ebenso deutlich herausgestellt
wie der christologische Grund von Zukunft und Hoffnung
in der Sicht des NT (so bes. deutlich im Paulus-Abschnitt S. 130ff,
hier bes. S. 134ff, mit gewichtigen Ausführungen im übrigen wiederum
zum Verhältnis Paulus - Apokalyptik: S. 137ff und S. 147fT).
Ausgehend vom Bekenntnis der nachösterlichen Gemeinde zu dem
Gott, der Jesus von den Toten auferweckt hat - hierbei greift J. Becker
auf die Thesen zurück, die er bereits 1975 in seinem Beitrag „Das Gottesbild
Jesu und die älteste Auslegung von Ostern" zur Festschrift Tür
H. Conzelmann vorgetragen hat -, gelingt es dem Vf., auf diese Weise
die „Hoffnungsgeschichte des Neuen Testaments" bei aller Mannigfaltigkeit
im einzelnen (S. 93) letztlich als eine relativ einheitliche
Linie deutlich zu machen (vgl. bes. S. 117 ff), und zwar angefangen bei
der Verkündigung Jesu von der nahen Gottesherrschaft (S. 95 ff.) über
die frühchristliche Zeit (S. 117ff) und Paulus (S. 130ff) bis hin zu der
Zeit der 2. und 3. Generation, der Periode des „werdenden Frühkatholizismus
" (S. 166fT). Ein besonderes Anliegen des Autors geht
dabei offensichtlich dahin, die Kontinuität zwischen Jesus und der
nachösterlichen Kirche zu betonen (S. 124.126f. 130.139, bes. S. 121:
„Gottesherrschaft und Jesus gehörten zusammen. Die Ostererfahrung
bedeutete: Das Geschick der Person Jesu war ,Lesebuch' für Fortbestand
und Neubegründung göttlicher Zuwendung"; vgl. auch S. 118f
zur Kontinuität zum irdischen Jesus hinsichtlich der Auferweckungs-
formel). So gesehen weitet sich die Darstellung von J. Becker im
Grunde zur Darstellung der neutestamentlichen Theologie in nuce
aus, ausgerichtet selbstverständlich auf das zur Erörterung stehende
Thema, gerade so aber durchweg Grundsachverhalte neutestamcnt-
licher Theologie zur Sprache bringend. Das Schwergewicht liegt dabei
im einzelnen verständlicherweise auf Jesus und Paulus, was aber nicht
ausschließt, daß im abschließenden Abschnitt (S. 166ff) unter der
Überschrift „Hoffnung im Spiegel der typischen Grundprobleme der
Zeit" wiederum Grundlinien der Theologiegeschichte der „nachapostolischen
" - im übrigen: in bemerkenswerter Zurückhaltung eines
generell abwartenden Urteils! - aufgezeigt, werden. Im Blick speziell