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Ausgabe:

1983

Spalte:

291-293

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Bloch, Walter

Titel/Untertitel:

Der Satz der Bestimmtheit 1983

Rezensent:

Schleiff, Hans

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 4

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Jahrhunderts als ein Rückfall in die schon bekannten Irrwege gekennzeichnet
. „U. E. führt von der kritisch-transzendentalen Geisteshaltung
kein notwendiger Weg zum spekulativen Idealismus, der in der
Regel als die konsequente Weiterentwicklung der von Kant zuerst entworfenen
Transzendentalphilosophie gedeutet wird" (S. 370). Dies
schreibt Vf., obwohl er wenig später Hegel zitiert: „Als Schranke und
Mangel wird etwas nur gewußt, ja empfunden, indem man zugleich
darüber hinaus ist" (S. 382)7 Das Buch endet mit einem Hinweis auf
Kants Bedeutung für die gegenwärtige Menschenrechtsdiskussion.

Kant wird hier als der Philosoph vorgestellt, der uns unsere Endlichkeit
bewußt macht, damit wir in diesem Bewußtsein uns unsere
Freiheit bewahren. Das Gegenbild zu unserer Endlichkeit, die aller-
genugsamste Vernunft, wird in, seiner ethischen Bedeutung für uns
aber zu wenig gewürdigt. So wird beispielsweise das Recht der Menschen
, das Seine zu besitzen, zwar genannt, daß aber nach Kants
Lehre alle Menschen sich „ursprünglich in einem Gesammt-Besitz
des Bodens der ganzen Erde" befinden und erst nachträglich „wegen
der natürlich unvermeidlichen Entgegensetzung der Willkür des
Einen gegen die des Anderen" ihn aufteilen, kommt nicht zur Sprache
(Kant, Metaphysik der Sitten, VI, S. 267). Die totale Mathematisie-
rung der Natur hat die Idee des Gemeinbesitzes notwendig zum Korrelat
. Die totale Weltbemächtigung erfordert zunehmend ein Ethos,
wie es uns die „allergenugsamste Vernunft" vor Augen stellt. Kants
Philosophie selbst weist über die von ihr dem Menschen gesetzten
Grenzen hinaus. Kant wollte nicht die Endlichkeit des Menschen festschreiben
, sondern ihn auf die Unendlichkeit ausrichten. Gott, Freiheit
und Unsterblichkeit stehen im Mittelpunkt seiner Überlegungen,
nicht des Menschen Endlichkeit. Daß wir jenes Ziel nicht aus dem
Auge verlieren und mit Innerweltlichem verwechseln, dafür betont
Kant unsere gegenwärtige Begrenztheit. Die Entwicklung nach Kant
wird man deshalb wohl noch differenzierter sehen müssen. Vorliegendes
Buch gibt uns eine gute Hilfe, auf dem weiteren Wege nach Kant
nicht wieder in vorkantische Irrtümer zu verfallen.

Neinstedt Hans Schleift"

Bloch, Walter: Der Satz der Bestimmtheit. Die Unverträglichkeit wissenschaftlicher
Erkenntnis und metaphysischer Skepsis. Basel-
Stuttgart: Schwabe 1981.211 S. gr. 8 Kart, sfr 48.-.

Der Autor zeigt, daß jede bestimmte Aussage über Sachverhalte in
dieser Welt eine bestimmte Aussage über Transzendentes zur Folge
hat. Indem wir bestimmen, isolieren wir - und wir bestimmen damit
zugleich das, was diesem Isolierten gegenübersteht. Indem wir beispielsweise
im Anschluß an Kant die Grenzen menschlichen Erkennens
festlegen, haben wir sie schon überschritten und über das, was
jenseits dieser Grenzen liegt, via negationis eine bestimmte Aussage
gemacht (S. 100). „Es kann in keinem Sachbereich etwas in jeder Hinsicht
Unbestimmtes geben" (S. 63). Das bedeutet, „dass es gar nichts
geben kann, das unserem Verstand bis ins Letzte verschlossen wäre. Es
bedeutet, dass unser Verstand über alles und jedes gewisse ganz fundamentale
richtige Sätze aussprechen kann. Es bedeutet ferner, dass eine
wissenschaftliche Metaphysik als eine überhaupt alle Sachbereiche
umfassende Strukturlehre grundsätzlich möglich ist" (S. 68). Der Satz
der Bestimmtheit, der einander total widersprechende und mithin
sinnlose Aussagen nicht duldet, gilt auch jenseits unserer erfahrbaren,
immanenten Welt. „Eine primitive ontologische Metaphysik ist
darum möglich, weil gewisse metaphysische Aussagen mit gewissen
Erfahrungssätzen untrennbar zusammenhängen" (S. 73). Wer meint,
das menschliche Denken würde sich in metaphysischen Bereichen auf
ganz unsicheren Boden begeben, der bezweifelt damit im Grunde
auch die Möglichkeit naturwissenschaftlicher Erkenntnis. Totale
Skepsis ist unwiderlegbar, wer aber in irdischen Dingen seiner Vernunft
auch nur beschränkte Erkenntnis zutraut, der wäre inkonsequent
, wenn er sich nicht auch über die damit gegebene metaphysische
Erkenntnis Rechenschaft geben würde (S. 75 f).

Es handelt sich dabei freilich nur um eine Minimal-Metaphysik
und nicht um ein ganzes Gebäude metaphysischer Erkenntnis.
„Wenn wir auch gezeigt haben, dass es kein Gebiet gibt, über das
unser Denken überhaupt nichts aussagen kann, so ist damit doch der
andere Satz verträglich, dass es kein Gebiet gibt, auf dem unser
Denken absolut und fehlerfrei zuständig ist" (S. 84). Es gibt Grenzen
menschlicher Erkenntnis, sowohl überwindbare, die im Charakter des
anderen, in der Sprache und der Geschichte eines Volkes begründet
sind, als auch unüberwindbare, die sich darin zeigen, daß das Objekt
nur in seiner Wechselwirkung mit dem Subjekt und nicht als das, was
es an sich ist, erkannt werden kann, daß im Experiment nur Wirkungen
festgestellt werden können und nicht bleibende Eigenschaften
oder gar eine Substanz, und daß jede Erkenntnis nur als Teilbetrachtung
und somit als Abstraktion vom Ganzen möglich ist (S. 10-61).
Menschliches Denken ist zwar grundsätzlich erweiterbar, und wissenschaftliche
Konzeptionen können stets durch modernere, ungewöhnlichere
, unerhörtere abgelöst werden, die vollkommene Erkenntnis
aber kann nie erreicht werden (S. 50). Immer bleibt die vom Denken
unabhängige Struktur der Objekte bestehen, die der Mensch durch
selbstgebildete Naturgesetze und Strukturvorstellungen zu verstehen
versucht und die mit diesen wohl teilweise übereinstimmt (S. 99). Das
„Apriori" ist in Vf.s Darstellung nicht von den Objekten unabhängig,
sondern den Korrekturen des Experimentes ausgesetzt: „Man muss
sich endlich daran gewöhnen, dass auch apriorische Einsichten falsch
sein können und daher möglichst sicherer Beweise und möglichst
umfangreicher empirischer Bestätigung bedürfen" (S. 111). Eine reine
apriorische Erkenntnis kann nicht erwiesen werden (S. 112). An den
Beispielen des Uni versalienstreites und des Streites um Realismus und
Instrumentalismus in der Mathematik macht Vf. klar, daß es einen
Mittelweg zu gehen gilt: „Was not täte, wäre ein gemässigter Instrumentalismus
, der mitten zwischen der Skylla Instrumentalismus und
der Charybdis Realismus stände, wie auch das Universalienproblem
nur über eine mittlere Haltung zwischen strengem Nominalismus und
strengem Piatonismus sinnvoll angegangen werden kann" (S. 194).
Nicht Spekulation, sondern sorgfältige Untersuchung im Einzelfall
hat zu entscheiden, auf welche Seite wir uns zu stellen haben: „Während
es das Pferd als allen Pferden gemeinsamen, unveränderlichen,
ewigen, von der Natur festgelegten Bauplan nicht gibt, entgegen Piatos
Meinung, scheint es doch das Elektron als den allen Elektronen
gemeinsamen, unverständlichen Bauplan zu geben. Wer die Existenz
einer Idee des Pferdes verwirft, braucht deswegen noch nicht einen
allen Elektronen gemeinsamen Bauplan nicht anzuerkennen, und wer
eine solche allen Elektronen gemeinsame Beschaffenheit, das Wesen
des Elektrons, anerkennt, braucht deswegen noch nicht an die Idee des
Pferdes, die Idee der Menge aller reellen Zahlen oder die Idee der
Gerechtigkeit zu glauben" (S. 172).

Nachdem so die Selbsttätigkeit des erkennenden Subjekts begrenzt
worden ist und gezeigt worden ist, daß es auf eine äußere, ihm vorgegebene
Realität angewiesen ist, ist zugleich klargestellt, daß das
menschliche Denken sich nicht Luftschlösser erbaut, wenn es
bestimmte Aussagen auch zu metaphysischen Fragen macht. „Nicht
allen theoretischen Termen kann nichts entsprechen. Der Minimalbestimmtheit
, die der Satz der Bestimmtheit behauptet, entspricht,
wenn es überhaupt Erfahrungserkenntnis gibt, etwas Reales, obwohl
diese Behauptung empirisch ebensowenig überprüfbar ist wie jeder
andere Satz, dereinen Allquantorenthält" (S. 203). Das Ergebnis, das
Vf. am Ende bietet, ist nur formal, doch gerade damit bietet es den
Grund, auf dem jede inhaltliche Beschäftigung mit Transzendentem
sinnvoll werden kann. „Erst die Tatsache, daß uns die Transzendenz
nicht völlig verschlossen ist, sondern derselben formalen Gesetzlichkeit
unterworfen ist wie alles Immanente, gibt uns ein Recht, uns mit
religiösen Fragen sinnvoll zu befassen und einen Glauben oder
Atheismus mit Gründen zu vertreten" (S. 205).

Wie einst Anselm von Canterbury hat es Vf. in seinem Buche unternommen
, dem Ungläubigen zu beweisen, daß er, sofern er überhaupt
denkt, ein inkonsequenter Denker ist, wenn er nicht auch Metaphy-