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Ausgabe:

1983

Spalte:

288-289

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Kant, Immanuel

Titel/Untertitel:

Schriften zur Religion 1983

Rezensent:

Fritzsche, Hans-Georg

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 4

288

Dorn, Anton Magnus: Leiden als Gottesproblem. Eine Untersuchung
zum Werk von Max Brod. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1981. 198
S. 8'. Kart. DM 34,-.

Es bleibt ein fragwürdiges Unterfangen, ein Genie zu entdecken,
die Blicke der Öffentlichkeit darauf zu richten - und hernach völlig in
dessen Schatten zu treten. So ist es Max Brod im Verhältnis zu Franz
Kafka ergangen. Der Name Brods ist weithin nur durch das Verhältnis
zu Franz Kafka erhalten geblieben. Als dessen Name strahlend am
literarischen Firmament aufgegangen war, hatte der Entdecker eigentlich
seine Schuldigkeit getan. Sein eigenes umfassendes Werk - etwa
60 Buchtitel - wird kaum noch zur Kenntnis genommen. Über den
Rang Kafkas erübrigt sich jegliche Diskussion. Max Brod jedoch ist
für die meisten, als er 1968 (84jährig) starb, ein fast Unbekannter
geblieben.

Es gibt nicht nur im Sport, sondern auch in der Literatur den ewigen
Zweiten, dem der entscheidende Durchbruch versagt bleibt. Dazu
zählt auch Max Brod. Es war sein Schicksal, den Diener anderer Herren
zu spielen. Auch Martin Buber, mit dem er befreundet war, hat
Max Brod als Autor weit überflügelt.

Anton Magnus Dorn, Verfasser der vorliegenden Arbeit über Max
Brod, hat das Verdienst, den Scheinwerfer auf dieses zweite geistige
Glied zu richten-und uns mit einer Gestalt vertraut zu machen, über
welche zu Unrecht die Wogen der Vergangenheit zusammenschlugen.
Aber daß wir uns hier, unter der kundigen Führung des Verfassers, in
einem literarischen Vergangenheitsraum bewegen, läßt sich nicht
leugnen. Ein gutes Dutzend Jahre nach seinem Tod wird Brod meines
Wissens nach nicht mehr aufgelegt - mit zwei Ausnahmen von einer
Darstellung Kafkas „Über Franz K." (1976) und des Jesus-Romans
„Der Meister".

Das fast unübersehbare Werk Max Brods gliedert sich in einen dichterischen
und einen philosophischen Teil, von denen der letztere der
bedeutende ist. Ich erwähne vor allem „Heidentum, Christentum,
Judentum" (1921); „Diesseits und Jenseits" (1947/48); „Das Unzerstörbare
" (1968); „Von der Unsterblichkeit der Seele" (1969). Die
dichterischen und die religionsphilosophischen Werke wechseln ständig
; aber es wird nicht jene Einheit der literarischen Aussage erreicht
wie etwa bei Kierkegaard.

Darum liegt das Gewicht der Interpretation zu Recht auf dem Denker
Max Brod; seine Romane (und deren Inhalte) passieren nur beiläufig
; sie sind bereits vergessen, während diejenigen Kafkas immer
wieder aufgelegt werden.

Max Brod, jüdischer Abstammung, wuchs in einer religiös-liberalen
Atmosphäre auf. Aber er wurde genötigt, Farbe zu bekennen, als die
Judenfeindschaft unter dem Faschismus immer bedrohlichere Formen
annahm. So wurde er Zionist und emigrierte nach Palästina,
wenige Tage bevor Hitler Brods tschechoslowakische Heimat okkupierte
.

Brods Bedeutung liegt darin, daß er eine spezifische jüdische Theologie
entwickelte, die er gegenüber der christlichen abgrenzte. Aber
solche Abgrenzung konnte ihm nur deswegen gelingen, weil er das
Christentum weithin nach Art der Dialektischen Theologie beurteilte
und in dieser das christliche Leitbild erblickte.

Brod war kein Denker, der die Diastase von Gott und Welt, Diesseits
und Jenseits bis zum Äußersten trieb; er vertrat eine mittlere
Position, welche sich derjenigen von Paul Tillich vergleichen läßt. Bezeichnend
ist hier der Begriff des „Diesseitswunders", den er zuerst in
einem Buche gleichen Titels, erschienen 1939 in Tel-Aviv, entwik-
kelte (deutsche Erstveröffentlichung 1949).

Das Diesseitswunder vermittelt die Begegnung mit der Transzendenz
im Hier und Heute; es bewahrt davor, Gott völlig ins Jenseits zu
verlagern. Es ist ein ähnliches Erlebnis, wie es Paul Tillich im Kairos,
im erfüllten Augenblick gegeben sah. „Das Diesseitswunder liegt
darin: daß auch von der höchsten Sphäre des Jenseits aus gesehen das
Diesseits nie gleichgültig ist."

Die Einseitigkeit Brods besteht darin, das Christentum ausschließlich
unter dem Aspekt Karl Barths zu betrachten. „Er glaubt, das
christliche Weltbild durch Triebverneinung, Entwertung des diesseitigen
Tuns charakterisieren zu können." Die „Diesseitsverneinung
" bleibt für ihn das entscheidende christliche Axiom. Auf diese
Weise entsteht eine völlige Fehldeutung des Christentums, weil Brod
kein Verhältnis zur Fleischwerdung des Logos besitzt. Er sieht in Jesus
nur den „Meister", aber nicht den menschgewordenen Gott, den
Erlöser.

Die Inkarnation liegt also jenseits des Horizontes von Brod. Dieser
Tatsache ist es zuzuschreiben, daß Brod den Einseitigkeiten der Barth-
schen Theologie erlag und geradezu von einer „falschen Grundkonstruktion
des Christentums" sprechen konnte. Im Christentum stellte
sich ihm das radikale Nein zur Welt, zum Hiesigen dar. Die Brodsche
Polemik gegen eine solche theologische Engführung ist nur allzu
berechtigt. Ihr setzt er also das „Diesseitswunder" entgegen, verbunden
mit dem „wesenhaften Erlebnis". Im letzteren schlägt jeweils der
transzendente Funke durch, das Diesseits wird transparent für das
Ewige. Dies sind Erfahrungen, die es zu machen gilt; sie verändern das
Dasein von grundauf. Wer dergleichen erlebt, vermag an der Wirklichkeit
Gottes nicht mehr zu zweifeln. „Hier gibt unmittelbare Erfahrung
den, wie mir scheint, einzig möglichen Gottesbeweis."

Aber im Zentrum dieser Religionsphilosophie steht die Unterscheidung
von edlem und unedlem Unglück, - von Brod selbst als sein
Königsgedanke bezeichnet. Er unterscheidet zwischen dem Unglück,
das wir selbst durch Leichtsinn, Dummheit, Verblendung verschulden
- und jenem, das durch die Begrenztheit unserer Existenz gegeben
ist. „Edles Unglück" besagt, daß der Mensch „stirbt, daß er in seinen
Gefühlen wandelbar und vom Körper abhängig, materiellen Bedürfnissen
unterworfen, in seiner Erkenntnis begrenzt bleibt. Edles
Unglück ist weithin all das Unabwendbare, das völlig untrennbar dem
Menschen mitgegeben ist und gegen das unsere Macht, soweit sie kausal
bedingt ist, nichts vermag und nie etwas vermögen wird."

Gegenüber dem-unedlen Unglück ist der Mensch entscheidend auf
seinen Willen, seine Freiheit angewiesen. Angesichts des edlen Unglücks
tritt jedoch ein anderer Faktor in Erscheinung: von Brod als
Liebe oder Gnade bezeichnet. Hier gelingt dem Menschen die Teilnahme
am Unendlichen; dies ist ein geheimnisvoller Vorgang, der
von den Scholastikern als „Synteresis", von Eckehart als „Funke"
bezeichnet wird. Es berühren also Judentum und Christentum einen
gemeinsamen mystischen Grund, der in der Brodschen Philosophie
immer wieder aufleuchtet. -

Dies sind einige Perspektiven des vorliegenden Buches, das aus
einer Dissertation erwuchs. Der Verfasser hat eine gründliche und
subtile Arbeit geleistet, ohne die großen Zusammenhänge zu vernachlässigen
.

Ich halte diese Arbeit aus zwei Gründen für wichtig. Zunächst: sie
entwirft, anhand von Brod, die Umrisse einer Theologie der Erfahrung
, die uns nicht nur wissenschaftlich, sondern auch existentiell
angeht. Sie führt außerdem zur Rehabilitation eines Denkers, der
allzu rasch von der Flut des Vergessens fortgespült zu werden
drohte.

Celle HansJürgcn Baden

Philosophie, Religionsphilosophie

Kant, Immanuel: Schriften zur Religion. Die Religion innerhalb der
Grenzen der bloßen Vernunft. Aus: Kritik der praktischen Vernunft
. Aus: Der Streit der Fakultäten. Reflexionen zur Religionsphilosophie
. Hrsg. u. eingeleitet v. M. Thom. Berlin: Union Verlag
1981. 424 S. 8' = Texte zur Philosophie- und Religionsgeschichte.
Lw. M25,-.

Diese Ausgabe faßt Kants Religionsphilosophie aus dem Spätwerk
des Philosophen zusammen: „Die Religion innerhalb der Grenzen