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Ausgabe:

1983

Spalte:

279-280

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Badewien, Jan

Titel/Untertitel:

Geschichtstheologie und Sozialkritik im Werk Salvians von Marseille 1983

Rezensent:

Haendler, Gert

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 4

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dem Interesse für das „Umfeld" vertragen ließe. Wenn nur das Zugeständnis
festgehalten wird, daß dadurch noch kein Beweis vorliegt, und daß „der Bogen"
Gregor - „Augustinerschule" - Staupitz - Karlstadt/Luther auch mit allem,
was bisher auf den Tisch gelegt wurde, noch mehr Probleme aufwirft als er löst,
scheint dies keinesfalls unmöglich. Das wird aber von den Beteiligten verlangen,
daß sie sich mehr für die Sache als für die Autoren anderer Meinungen interessieren
, was jedoch keine Überforderung sein dürfte. Dann könnten sowohl
„Feld" als auch „Umfeld" je das ihre erhalten.

Es dürfte deutlich sein, daß dieses Buch von Bedeutung ist. Mit ihm
haben die Mitarbeiter der Edition uns nicht nur einen zugänglichen
Text geschenkt, sondern außerdem auch anregende Beiträge zur
weiteren Diskussion geliefert. Sie haben mit Gelehrsamkeit und Fleiß
alles getan, um die Gregor-Hypothese lebendig zu halten. Daß sie
nicht überall die Hypothese unterstützen konnten, weil sie bisweilen
vom Material gezwungen wurden, von ihr abzusehen bzw. sie abzuschwächen
, sollte man - als ein Zeichen ihrer Integrität - mit Dankbarkeit
und Anerkennung entgegennehmen.

Kopenhagen Leif Grane

Badewien, Jan: Geschichtstheologie und Sozialkritik im Werk Sal-
vians von Marseille. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1980.
211 S. gr. 8' - Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte,
32, Kart. DM 40,-.

Die Heidelberger Dissertation von 1978 wendet sich der viel untersuchten
Schrift „De gubernatione Dei" des Salvian zu. Man hat diese
Schrift als Quelle für die Völkerwanderung und die Germanen ausgewertet
, man hat sie mit Augustins „Gottesstaat" verglichen und die
Geschichtsschau Salvians näher untersucht; auch als Sozialkritiker ist
Salvian mehrfach gewürdigt worden. Jedoch „ist eigentlich nirgends
der Versuch unternommen worden, die so eigentümliche Verbindung
von Geschichtsinterpretation, Sozialkritik und theologischen Grundstrukturen
bei Salvian auf ihre innere Beziehung hin zu untersuchen"
(12). In diese Richtung will Badewien ein Stück vorstoßen. „Die Frage
nach der inneren Verbindung der einzelnen, von der Forschung zu oft
isolierten Themen in Salvians Werk steht hinter allen Abschnitten
dieser Arbeit" (13).

Teil A beschreibt den Aufbau der Quelle und will Salvian als Prediger
verstehen (29). Teil B „Salvians Geschichtstheologie und ihre
Prämissen" stellt Gerichtstheorie, Gesetz und Gottesbild an den Anfang
, ehe „Christologische und soteriologische Aspekte" (76-80) erörtert
werden. Jesus wird von Salvian als Lehrer und Vorbild gesehen,
dagegen treten „die Heilsereignisse Inkarnation, Tod und Auferstehung
in den Hintergrund" (77). Teil C „Konkretionen der Geschichtstheologie
Salvians" bringt die Fülle des Materials ein: Salvians Kritik
an der Lebensweise aller Christen (81-98), Salvians Kritik an den
Reichen und Mächtigen (99-115), Kontrastbilder zur römischen Gesellschaft
bei den alten Römern und den Barbaren (116-138). Salvians
„Zielperspektive" wird erarbeitet: Der Umgang des Christen mit dem
Besitz (141-148), Beispiele aus dem Alten Testament und der ältesten
Kirchengeschichte (149-151), die Verwirklichung bestimmter Ideale
im gegenwärtigen Mönchtum (151-157). B. faßt zusammen: „Die
ethische Besserung, der Gehorsam gegen Gott ist sein politisches Reformprogramm
, beides geht bruchlos ineinander über. Die Rückkehr
zu den Gesetzen ist für ihn auch die einzige Möglichkeit, die Mißstände
innerhalb der Gesellschaft abzuschaffen" (158). Neben dem
Ruf zur Buße kann man bei Salvian auch „eine theologische Hilfsargumentation
zum faktisch sich vollziehenden Arrangement der Besiegten
mit den Siegern" sehen. Salvian „liefert eine Theorie, die diese
Zusammenarbeit von Goten und Römern legitimiert: Der neue Status
quo muß als Ergebnis des göttlichen Gerichts akzeptiert werden"
(161).

Teil D „Salvians Ort im Spektrum zeitgenössischer christlicher Geschichtsinterpretation
und Theologie" bringt eine anregende These:
Salvian wird in die Nähe des Pelagius gerückt. Zahlreiche Übereinstimmungen
mit pelagianischen Gedanken werden herausgearbeitet:
Willensfreiheit, Gnade und Gerechtigkeit, Gesetzesverständnis, Möglichkeit
eines sündlosen Lebens, Übereinstimmung in einzelnen
Punkten der Ethik, Übereinstimmung im Kirchenverständnis
(179-197). Hier führt B. weit über bisherige Beobachtungen hinaus
(177-179). Einen Abschnitt überschreibt er: „Salvians Konzeption als
Weiterentwicklung pelagianischer Ansätze" (197-199). B. behauptet:
„Salvians Geschichtstheologie beruht damit auf pelagianischen Theo-
logumena, nur hat Salvian deren ursprünglich auf das Individuum zielende
Form so umgewandelt, daß sie nun auf die ganze Gemeinschaft
der Christen bezogen sind. Auch die positive Beurteilung der Germanen
durch Salvian läßt sich am ehesten auf dem Hintergrund pelagianischer
Theologie verstehen: nirgends sonst steht christliches Leben
so hoch über dogmatisch richtigem Glauben, nirgends sonst wird
Glauben so eindimensional mit dem Handeln identifiziert wie in pelagianischen
Schriften und bei Salvian" (198). B. erahnt wohl Gegenfragen
und formuliert vorsichtiger: „Die zentrale Bedeutung der Gerechtigkeit
in allen Lebensbereichen, die Salvian mit den Pelagiancrn
verbindet, kann als mögliches Bindeglied zwischen Sozialkritik und
der zugrundeliegenden Theologie angesehen werden." Dann macht B.
selbst einen wichtigen Einwand: „Die einzelnen Gedanken sind auch
bereits vor Pelagius in christlich-asketischen Kreisen bekannt gewesen
" (199). Auch auf die doch erheblichen Unterschiede zwischen
Pelagius und Salvian macht B. selbst aufmerksam. Salvians Blick geht
weit über den des Pelagius hinaus: „Die Gesellschaft, die Staatenwelt,
die Barbarenstämme, soziale Interdependenzen sind in seinen Horizont
getreten. Um dies alles in ein Koordinatensystem zu bringen und
von christlicher Theologie her interpretieren zu können, hat Salvian
das pelagianische Gedankengut rezipiert und in entscheidenden
Teilen transformiert, mit Versatzstücken aus anderen Traditionen
(z. B. der Rhetorik) kombiniert und so einen durchaus eigenständigen
Versuch vorgelegt, seine Welt und die turbulenten Ereignisse zu verstehen
" (199).

Mögen die Einflüsse des Pelagius auf Salvian nun mehr oder weniger
groß gewesen sein - die Beschäftigung mit Salvian in dieser Gründlichkeit
ist auf jeden Fall ein Verdienst, die Hinweise auf Ähnlichkeiten
zwischen Pelagius und Salvian sind weiterführend und anregend
.

Rostock Gert Haendler

Cognet, Louis: Gottes Geburt in der Seele. Einführung in die Deutsche
Mystik. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1980. 287 S. 8". Kart.
DM 36,-.

Das anzuzeigende Werk ist 1968 in Paris unter dem Titel «Intro-
duction aux mystique rheno-flamands» erschienen. Die Übersetzung
für den Herderverlag besorgte August Berz. Louis Cognet (= C),
katholischer Priester und Professor am Institut Catholique in Paris, ist
Autor zahlreicher Werke zur Spiritualität und zur Mystik, hervorzuheben
ist seine Mitarbeit am Standardwerk «Histoire de la spiritualite
chretienne». Wie der Züricher Germanist Alois M. Haas in seinem
Geleitwort zu C.s Buch betont (50, entspricht C. mit seiner Zuordnung
von altdeutscher und altniederländischer Mystik einem berechtigten
Postulat Kurt Ruhs (Altdeutsche und altniederländische
Mystik, hrsg. von K. Ruh, Darmstadt, 1964, XI). - Den Höhepunkt
der rheinisch-flämischen Mystik sieht C. im 14. Jahrhundert (242).
Ihre „Leitsterne" sind Eckhart, Tauler, Seuse und Ruusbroec, die zu
den hervorragendsten Vertretern christlicher Spiritualität überhaupt
gehören (242, 167). In den darauffolgenden Jahrhunderten sinkt das
Niveau mystischer Schriften. Meister Eckhart, „der echte mystische
Erfahrung" kannte (29), steht im Vordergrund von C.s Arbeit. Aber
Eckhart ist „keine beziehungslose Einzelerscheinung", auch er und
sein hervorragendes Werk werden „durch seine Umwelt getragen"
(20). Diese ist durch drei Elemente gekennzeichnet: (/.) Der Piatonis-