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Ausgabe:

1983

Spalte:

218-220

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Ehrlich, Leonard H.

Titel/Untertitel:

Karl Jaspers 1983

Rezensent:

Jenssen, Hans-Hinrich

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 3

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straktionen versteigen oder ins Detail verrennen. Osborn geht einen
Mittelweg. Er beschränkt sich auf Justin, Irenaus, Klemens von
Alexandrien und Tertullian. Das Stellenregister weist zwar auch andere
Namen auf, aber die kommen nur gelegentlich und subsidiär
zur Sprache. Das Buch ist so etwas wie eine Tetra-Monographie -
man sieht.es fehlt einWort dafür. Zu jeder einzelnen Frage, von denen
wir oben Proben gaben, werden die Antworten der Großen Vier in der
angeführten Folge referiert, und am Schluß faßt der Autor zusammen
und gibt Ausblicke.

Bei diesem Verfahren ist es das entscheidende, ob und in welchem
Sinne die gewählten Gewährsmänner die „christliche Philosophie"
insgesamt repräsentieren. Diesem Problem gilt der vorausgeschickte
Abschnitt „Leute und Orte" (im Englischen schöner mit Alliteration:
Peopleand Places). Er beginnt lapidar: Die vier Autoren . . . kommen
aus vier Großstädten und Zentren der Christenheit: Rom, Lyon, Karthago
und Alexandrien. Was das bedeutet, wird für jeden Autor expliziert
. Anschließend wird dann der allgemeine Hintergrund, die materielle
und geistige Realität des römischen Weltreiches, skizziert.
Damit aber wird - zu Recht - die Bedeutung des jeweiligen Lokalkolorits
wieder relativiert. Der Eindruck ist nicht von der Hand zu weisen,
daß die Auswahl der Autoren feststand und sekundär zu rechtfertigen
war. Wie auch immer, es sind in der Tat die großen und repräsentativen
Namen der Zeit, und Osborn als Verfasser von Monographien
über Klemens und über Justin (1957, 1973, - s. die Bibliographie
S. 300) ist mit ihnen vertraut.

Die sachliche Rechtfertigung einer Beschränkung auf die Vier steht
aber, wie es sich gehört, im Einleitungsteil „Christian argument"
(schwer zu übersetzen, etwa ,Denkformen'). Osborn unterstreicht das
Interesse der Gegenwart an den frühen Christen mit der reziproken
Parallelität der Situation: "they came beforc, wc come after, Christendom
". Er merkt zugleich an, daß die Themen, die er behandelt, zwar
zentral sind, doch eine Auswahl aus einer vielfältigen Diskussion, und
nennt (S. 4, Anm. I) exempli gratia noch die Probleme Schrifterklärung
, Kirchenverständnis, Wesen der Letzten Dinge. Wichtig ist
ihm. daß die Herausbildung einer christlichen Philosophie, der Weg
vom Neuen Testament zu den Apologeten, eine sinnvolle und folgerichtige
Entwicklung ist. Zur Sclbstverständigung wie zur Auseinandersetzung
mit der Umwelt gehören Diskussion und Argumentation.
Der bloße Glaube ohne Rechenschaft über den Grund führt in die
Sekte.

Den Abschluß der Einleitung bildet ein Abschnitt „Methode". O.
vertritt mit Nachdruck und Verve und nicht ohne polemische Ironie
gegenüber abweichenden Positionen ein Verfahren, das er problcma-
uC method oder approach nennt - wir müßten umständlicher von
einem problemonentierten Herangehen reden. Er folgt dabei dem Philosophen
und Philosophiehistoriker John Passmorc, den er häufig
zitiert (s. Index der modernen Autoren, S. 318), und er distanziert sich
nachdrücklich von der traditionellen doxographischen Methode. Nun
mag es an einem mangelnden Sinn des Rez. für Methodologie liegen,
wenn er wederden Kontrast der Methoden noch die Neuheit der pro-
blematic method so absolut empfinden kann'. Es geht um das sehr berechtigte
Anliegen, die Probleme als solche zu würdigen und die Antworten
der einzelnen Denker im Lichte der jeweiligen Fragen zu
sehen. Aber Fragen und Antworten gehören zusammen, und auch die
herkömmliche Doxographie war nicht im Prinzip unzulänglich, sondern
allenfalls in der Durchführung. Umgekehrt bietet O., wenn er
von der Mcthodenproblematik zum Detail kommt, durchaus solide
Doxographie. indem er die Antworten seiner Gewährsleute auf die
Fragen, die er ihnen stellt, unter Berücksichtigung der Umstände wiedergibt
. Es sind ja doch Fragen, die die Autoren selbst gestellt haben
und die der Philosophiehistoriker aus ihnen herausholt, um sie dann
erst zu systematisieren und allenfalls griffiger zu formulieren. So differenziert
O. seine Quellen auch ganz zu Recht nach Themen, Inhalt
und Denk- und Sprachstil. Wenn Autor X zur Frage Y nichts oder
nichts von Belang ergibt, so sagt und würdigt O. das durchaus, aber das
s«llte auch der Doxograph tun.

Kurz, das Buch ist interessant, ob nun dank oder trotz der Methode,
und die Polemik liefert gelegentlich eine zusätzliche Würze. Es ist gut
gedruckt und arrangiert, das Handwerkliche stimmt, ohne aufdringlich
hervorzutreten. O. kennt und schätzt die neuere deutschsprachige
theologische Literatur, nicht nur in englischen Übersetzungen. Er
beklagt Provinzialismus: "There is no way of staying in one camp and
listening to one voice" (S. 17). Die Stimme des Professors für Neues
Testament und Alte Kirchengcschichte am Queen's College der Universität
Melbourne ist originell und hörenswert.

Berlin Kurt Treu

O. liebt originelle Nebenbemerkungen. In seinem Sinn stehe hier das
Geständnis, daß dem Rez. der wiederholte Vergleich des Doxographcn
mit dem Briefmarkensammler vielleicht auch deshalb nicht einleuchtet
, weil er sich in diesem Punkt getroffen fühlen muß. ohne hier nun in
eine Apologie der Philatelie eintreten zu können.

Ehrlich, Leonard H.: Karl Jaspers: Philosophy as Faith. Amherst,
Mass.: The University of Massachusetts Press 1975. XII, 287 S„
I Taf.gr. 8*.$ 12.50.

Das Buch, das leider mit erheblicher Verspätung vorgestellt wird, ist
eine sehr klare und interessante Darstellung wesentlicher Aspekte der
Jaspersschen Philosophie unter dem Gesichtspunkt, den der Titel
zum Ausdruck bringt. Es ist keineswegs auf die Darstellung von
Jaspers „Philosophischer Glauben" (1948, '1963) bzw. seinem „Der
philosophische Glaube angesichts der Offenbarung" (1962,21963) beschränkt
, sondern stellt das Jasperssche Verständnis der Philosophie
als Glauben auf dem Hintergrund seines gesamten Werkes dar, insbesondere
seiner dreibändigen „Philosophie" (1932, 1956) und dem
umfangreichen Opus „Von der Wahrheit" (1947, 21958). sowie im
Schlußkapitel in interessanter Weise unter Heranziehung seiner Darstellung
„Große Philosophen" (1957).

Dem Buch sollen nach dem Willen des Autors weitere Darstellungen
der Jaspersschen Philosophie folgen, aber in diesem Buch wird der
nach Meinung des Autors (und auch des Rezensenten) tür Jaspers'
Philosophieren zentrale Gesichtspunkt zur Darstellung gebracht.
Schließlich sagt Jaspers selbst - in Abgrenzung der Eigenständigkeit
der Philosophie von den modernen Wissenschaften -: „Was zu diesen
gehört, scheidet. . . aus der Philosophie aus. Was der Philosophie
bleibt und was von jeher ihre Substanz war, ist Erkennen nicht im
Sinne der Allgemeingültigkeit für jeden Verstand, sondern ist Denkbewegung
der Erhellung philosophischen Glaubens." Ehrlich schreibt
äußerst bildhaft: „Der Strom von Jaspers Denken kann als der Zusammenfluß
der Konzeption der Vernunft, die ihre Hauptqucllc in
Kant hat. und der der Existenz, deren Hauptquelle Kierkegaard ist,
betrachtet werden; er wird genährt durch die Erfahrung der verschiedenen
Erscheinungsformen (modes) des Seins, kanalisiert durch das
Felsbett der modernen Wissenschaft und läuft in der offenen See des
philosophischen Glaubens aus" (S. 117). Wobei Ehrlich dann am
Ende des Kapitels sechs einen kurzen Satz prägt, der m. E. das Wesen
des philosophischen Glaubens außerordentlich erhellt: „Glaube ist
dort philosophisch, wo er historisch absolut ist. ohne universell absolut
zu sein" (S. 136).

Die Darstellung folgt folgenderGliederung:

1. Zeugnis des Glaubens und Evidenz des Wissens.

2. Die Alternativen zum Glauben.

3. Die Wirklichkeit (Actuality) des Glaubens.

4. Glaube gegen Glaube.

5. Autorität und Tradition.

6. Die Idee des philosophischen Glaubens.

7. Die PhilosophiederChiffern.

8. Das Problem des Bösen und der Schuld (The Problem ofEvil).

9. Fragen.