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Ausgabe:

1983

Spalte:

205-206

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Trautmann, Maria

Titel/Untertitel:

Zeichenhafte Handlungen Jesu 1983

Rezensent:

Weder, Hans

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Seite 1

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205

Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 3

206

die Theologie der Befreiung oder einen ihrer Vertreter namentlich zu
nennen, wird hier eine an den Aussagen des Vaticanum 11 und der
nachkonziliaren Päpste orientierte Kontraposition entfaltet. Wer
hellhörig ist, vermag die Rückverbindung zwischen dem Cristo liber-
tador und der im iberischen Raum tiefverwurzelten Christkönigstheologie
erkennen. Die Grenzen der hier versuchten hodiernizaciön
werden vielleicht gerade darin sichtbar, daß zwar die Grundkonstellation
aufgenommen wird, kaum aber die Einzelaussagen des
Textes in die Aktualisierung eingehen.

Halle (Saale) Wolfgang Wiefel

I rautmunn. Maria: Zeichenhafte Handlungen Jesu. Ein Beitrag zur
Frage nach dem geschichtlichen Jesus. Würzburg: Echter 1980.
XV, 586 S.gr. 8* = Forschung zur Bibel, 37. DM 64,-.

Die vorliegende Untersuchung - entstanden als Doktorarbeit unter
der Leitung von R. Schnackenburg- widmet sich mit breiter Ausführlichkeit
und unter Beachtung traditions- und wirkungsgeschichtlicher
Fragehinsichten den sogenannten Zeichenhandlungen Jesu. Sie stellt
sich in ihrem Hauptteil als differenzierte Exegese der unten genannten
Evangelienperikopcn dar. Die Verfasserin hat sich zum Ziel gesetzt,
„nach konkreten authentischen zeichenhaften Handlungen Jesu zu
fragen und deren Zeichenhaftigkeit zu erheben" (S. 380).

Gleichsam als Einstieg dient ein Blick auf das Alte Testament und
das Frühjudentum, wobei die Konturen alttestamentlicher und frühjüdischer
prophetischer Zeichenhandlungen vorwiegend in der
Gestalt eines Referats von Sekundärliteratur dargestellt werden. Der
folgende Überlegungsgang ist ein kritischer Überblick über die Frage
nach zeichenhaften Handlungen Jesu in der Forschung. Gegen die
Auswahl der Autoren ist zwar nichts einzuwenden. Aber dieser Überblick
hinterläßt den Eindruck einer Fingerübung: recht mechanisch
werden die Positionen zuerst jeweils dargestellt, dann kritisiert. Nicht
gerade schön ist auch, daß die Urteile der Verfasserin reichlich schulmeisterlich
und oft sogar überheblich sind. Zu solchen Urteilen hätte
sie schon deshalb keinen Anlaß, weil sie selbst keineswegs immer mit
astreinen Alternativen arbeitet (z. B. sichtbar in dem Ausdruck „Primat
des Wortes vor der Geschichte", S. 34). Unbefriedigend ist
schließlich, daß nicht alle Dargestellten zu dem Recht kommen, das
ihnen aufgrund ihrer Denkleistung zustünde (dies gilt insbesondere
von E. Fuchs und W. G. Kümmel).

Freilich ist sehr verdienstvoll, daß die Verfasserin in einem weiteren
Uberlcgungsgang ihre methodischen Prämissen offcnlcgt (S. 59-77).
So ermöglicht sie dem Leser, dem Zustandekommen ihrer Ergebnisse
kritisch nachzudenken. In diesem Abschnitt werden unter anderem
Definitionen (des Begriffs der /.eichenhaften Handlung), Auswahlkriterien
(des zu bearbeitenden Materials) und Kriterien historischer
Urteilsbildung angegeben. Wenn die Verfasserin sich freilich von dem
„Interesse" ausdrücklich distanziert, „moderne hermeneutische
Theorien an die Taten des historischen Jesus heranzutragen", und
sich stattdessen der historisch-kritischen Methode verpflichtet weiß
(S. 61 zum Beispiel), so möge die Frage erlaubt sein, ob denn die auf
das Faktische zielende Anwendung jener Methode nicht ihrerseits
eine recht massive hermeneutische Theorie impliziere.

Der weitaus größte Teil der Arbeit ist der Exegese von acht Texten
gewidmet, die konkrete Berichte von zeichenhaften Handlungen Jesu
sind. Allgemein gilt, daß die Perikopen einer sehr sorgfältigen historisch
-kritischen Analyse unterzogen werden, welche die Voraussetzungen
liefert für die Erhebung des ursprünglichen Sinns der
Zcichenhandlungen Jesu. Die Tempelreinigung, deren älteste Gestalt
W Mk 1 1,15 vorliegt und die authentisch ist, bedeutete ursprünglich
Kritik am oder sogar Aufhebung des Tempelkults einerseits und eine
Ansage des cschatologischcn Wiederaufbaus andererseits (vgl.
S. 121.129; die Verfasserin bringt die Tempelreinigung mit dem ebenfalls
authentischen Tempcllogion in Zusammenhang). Im Zöllnergastmahl
, dessen authentische Version in Mk 2,15.16.17b(!) vorliegt,
•■Proklamiert (Jesus) zeichenhart Gottes außerordentliches Entgegenkommen
gegenüber Sündern, das in seiner Person definitiv erfahrbar
wird"(S. 163; die Ausscheidung von V. 17a und auch das Urteil über
V. 14 als redaktionelle Bildung haben keine große Plausibilität). Mit
der Schaffung des Zwölferkreises, der zu den verlorenen Schafen des
Hauses Israels gesandt wird (Mt 10,6 wird recht einleuchtend als
authentisches Jesuswort erwiesen, vgl. S. 221-223), macht Jesus „eine
eschatologische Hoffnung vorlaufend, vorgreifend, real und wirksam
erfahrbar", die Hoffnung auf das Wiedererstehen Gesamtisraels nämlich
(S. 229). Die Heilung des Gelähmten, deren älteste und im
wesentlichen auch authentische Gestalt in Mk 2,2ab.3-5a(!). 11 f gesehen
wird, signalisiert, daß der Gott Jesu „ein Gott des Heils für
Menschen im umfassenden, ganzheitlichen Sinne" ist und daß in
„Jesu therapeutischem Wirken . . . zeichenhaft auch schon das heilschaffende
Eingreifen Gottes in die sündhafte Existenz dieses Menschen
Wirklichkeit geworden" ist (S. 250). Ein weiterer Abschnitt
beschäftigt sich mit dem authentischen Jesuswort Lk 11,20, in welchem
Jesus selbst seine exorzistischen Taten als den Ort erschließt, wo
„das Reich Gottes als im Anbruch begriffen sichtbar und erfahrbar"
wird (S. 267). Die Sabbatheilungen Jesu - ein dem ursprünglichen
Geschehen am nächsten kommender ältester Bericht liegt in
Mk 3,1 b.2-4.5cd vor- haben einen provokativen Charakter und wollen
zeigen, daß „Gott den Menschen in der Wertordnung höher
gestellt hat als die Gesetze" (S. 318). Die Verfluchung des Feigenbaums
, ursprünglich ohne Erzählung der Verdorrung überliefert, bildet
als Zeichenhandlung Jesu das „Verhalten und das Schicksal Israels
ab" (S. 337). Als „endgültige Absage Jesu an Israel als privilegiertes
Jahwevolk" stellt sie „ein eindringliches Mittel dar, um Israel doch
noch zur Umkehr zu bewegen" (S. 340). Die unreflektiert vorausgesetzte
Alternative von Wort und Tat rächt sich hier insofern, als sie die
Verfasserin gerade bei der Verfluchung des Feigenbaums in definito-
rische Schwierigkeiten bringt; Schwierigkeiten allerdings, die gar
nicht der Sache selbst zu verdanken sind - sie würden sich bei andern
„Zeichenhandlungen" ebenso dringend anmelden - sondern eben
jener Alternative. Schließlich beschäftigt sich Trautmann noch mit
der Erzählung vom Einzug in Jerusalem. Auf der ältesten Stufe enthielt
sie keine Findungsgeschichte (Mk ll,ib-7) und war sie keine
eigentliche Zeichenhandlung, da es sich um ein historisches Ereignis
handelt, das erst nachösterlich einer messianischen Deutung unterzogen
wurde (z. B. S. 378). Hier meldet sich unweigerlich die längst
lallige Frage, ob eine Zeichenhandlung sachgemäßerweise erst durch
die Intention dessen, der sie vollzieht, konstituiert wird. In einem
abschließenden Teil faßt Trautmann die Ergebnisse ihrer Untersuchung
zusammen.

Selbstverständlich ist es inadäquat, ein so differenziert fragendes
und vielschichtig urteilendes Buch in ein paar Sätze umzusetzen.
Dennoch muß abgebrochen werden, damit auch Generelles Erwähnung
finden kann. Generell erweckt manche Formulierung den Anschein
einer großen Sicherheit; einer Sicherheit, die doch gerade die
strikte Anwendung der historisch-kritischen Methode verwehren
müßte. Generell ist auch festzuhalten, daß die (neuerdings zunehmende
) Gewohnheit, Anmerkungen an den Schluß des Buches zu
verbannen, nicht sehr leserfreundlich ist. Die mir wichtigste generelle
Bemerkung bezieht sich jedoch auf das Grundproblem der Arbeit
selbst. Die Verfasserin arbeitet meines Erachtens sehr gut heraus, daß
die Zeichenhandlungcn Jesu „nicht nur Analogien, sondern ldcnti-
tätsmerkmale mit dem abgebildeten Ereignis aufweisen" (S. 387; dasselbe
Grundproblem zeigt sich immer wieder in der sprachlichen Formel
„zeichenhaft realisieren" oder ähnlichen Wendungen). Wenn dies
stimmt, dann müßte man wohl überlegen, ob der Begriff der „zeichenhaften
Handlung" überhaupt noch brauchbar ist im Blick auf Jesus.
Seine Handlungen - und man müßte dann eben doch hinzufügen:
seine ganze Existenz - sind offenbar nicht bloß Zeichen, sondern
vielmehr Ereignisse der Gottesherrschaft. Den Leser auf diese Frage
aufmerksam gemacht zu haben, ist wohl auch ein Verdienst dieses
Buches, und zwar bei weitem nicht etwa das einzige.

Zürich Hans Weder