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Ausgabe:

1983

Spalte:

201-203

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hengel, Martin

Titel/Untertitel:

Crucifixion 1983

Rezensent:

Weiß, Hans-Friedrich

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Theologische Litcraturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 3

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einer Epoche und des Beginns einer anderen, in der im Namen desselben
Deutschland Millionen hilfloser Juden hingemordet wurden"
(S. 2220.

Die Entwicklung des PLV unter dem Naziregime bis zum .,Schicksalsjahr
1938" wird detailliert vorgestellt. Danach wurde die Auswanderungsmöglichkeit
drastisch eingeschränkt und seit Ende 1941 ganz
ausgeschlossen: ..Vernichtung trat jetzt an die Stelle der Vertreibung.
18 000 deutsche Juden . . . wurden Opfer der nationalsozialistischen
Mörder" (S. 261).

Die wissenschaftlich exakt gearbeitete Untersuchung, der ein kleiner
Dokumentenanhang beigegeben ist, enthält die üblichen Benutzungshilfsmittel
, Die Lektüre vermittelt einen erheblichen Informationsgewinn
, vor allem in organisationsgeschichtlicher Hinsicht, und
läßt auch zahlreiche bekannte und weniger bekannte Exponenten des
deutschen Judentums in ihrem Bemühen um gesetzlich verankerte
gesellschaftliche Integrierung im Horizont der Zeitgeschichte ins
Blickfeld treten.

Leipzig Kurt Mcicr

Neues Testament

Hengel, Martin: Cniciflxion. In the ancient world and the folly mess-
age of the cross. London: SCM Press 1977. XII, 99 S. 8 Kart.
£2.25.

- : La cniciflxion dans l'antiquite et la folie du message de la croix.
traduit de l'allcmand par A. Chazclle. Paris: Ed. du Cerf 1981.
220 S. 8* = Lectio Divina, 105.

Bereits die erste deutschsprachige Fassung der beiden hier zu
besprechenden Publikationen, den umfangreichen Beitrag zur Festschrift
zu E. Käsemanns 70. Geburtstag unter der Überschrift
„Mors turpissima crucis. Die Kreuzigung in der antiken Welt und die
• Torheit' des .Wortes vom Kreuz'" (Rechtfertigung, Tübingen-Göt-
lingen 1976. S. 125-184), hat M. Hengel nicht lediglich alseinen rein
historischen Beitrag zur Geschichte der Kreuzigungsstrafe in der antiken
Welt verstanden, sondern als eine notwendige Vorstudie zu einer
noch ausstehenden umfassenden „Thcologia crucis des Neuen Testaments
" (so jetzt ausdrücklich im Vorwort sowohl zur englischen als
auch zur französischen Ausgabe, in der letzteren bes. S. 9: «Ce travail
est coneu comme une preparation ä une .thcologia crucis' plus com-
plcte du Nouvcau Testament»). Solche bereits in der ursprünglichen
Fassung sich andeutende Frage- und Forschungsrichtung setzt sich in
den beiden nunmehr vorliegenden Veröffentlichungen folgerichtig
fort. Damit ist schon darauf aufmerksam gemacht, daß es sich bei den
beiden hier zu besprechenden Büchern nicht lediglich um eine Übersetzung
der deutschen Erstfassung ins Englische bzw. Französische
handelt. Zumal die französischsprachige Ausgabe ist vielmehr - wie
bereits ihr Umfang anzeigt - eine geradlinige Fortführung des theologischen
Anliegens von M. Hengel. Die Erörterung der Probleme um
die Kreuzigungsstrafe in der antiken Welt macht hier nur noch den
ersten Teil der Untersuchung aus (S. I l-l 14), während der zweite
Teil (S. I I 5-203) unter der Überschrift «La mort expiatoire de Jesus
Par .Substitution'. Genese de l'idec» gänzlich neu hinzugekommen ist
(vgl.S. 9).

Die englischsprachige Ausgabe steht demgegenüber der ursprünglichen
Fassung in der Festschrift für E. Käsemann noch am nächsten
bzw. stellt deren durchgesehene, ergänzte, stellenweise geringfügig
erweiterte Ausgabe dar (vgl. z. B. S. 62f.83). Die bereits für die Erstfassung
charakteristische umfassende Sammlung und Interpretation des
entsprechenden Materials ist hier noch ein Stück weiter vorangetrieben
worden, auch hier wiederum in ständiger Auseinandersetzung mit
den von H.-W. Kuhn in seinem Aufsatz „Jesus als Gekreuzigter in der
frühchristlichen Verkündigung bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts"
(ZThK 72. I975.S. 1-46) vorgetragenen Thesen (vgl. in der engl. Ausgabe
bes. S. 8.17. Anm. 8, weiter S. 20f.42 und S. 760- Das theologische
Anliegen des Autors tritt gerade im Zusammenhang seiner

historischen Untersuchungen immer wieder eindeutig hervor, so
besonders deutlich, wenn es ihm darum geht, die schlechthin analogielose
Eigenart der urchristlich-paulinischen Kreuzesbotschaft herauszustellen
- eben "the folly of the message of the cross" (vgl. in
diesem Sinne S. 1.5.10. besonders S. I5IT: "Docetism as a Way of
Removing the 'Folly' of the Cross" sowie die Zusammenfassung
S. 8611). In welchem Maße der Autor bei alledem gezielt die theologischen
und kirchlichen Auseinandersetzungen um den Stellenwert
einer an Paulus orientierten Kreuzestheologie im Rahmen einer situa-
tionsgcrechlen christlichen Verkündigung im Blick hat, zeigt sich
besonders deutlich dort, wo er die Besinnung auf "the harsh reality of
crueifixion in antiquity" geradezu als eine Hilfe beurteilt, den für die
gegenwärtige Theologie und Kirche weithin charakteristischen
„akuten Realitätsverlust" zu überwinden (S. 90). Ganz auf dieser
Linie liegt es dann auch, daß kurz zuvor (S. 891) sehr pointiert herausgestellt
wird, daß die „Wahrheit unseres theologischen Denkens" sich
genau an diesem Punkte ("at this point") zu bewähren habe. Angesichts
dessen, daß im theologisch-kirchlichen Disput der Gegenwart
zunehmend - oder vorsichtiger gesagt: mitunter auch - Stimmen laut
werden, die in einem exklusiven Insistieren auf dem paulinischen
„Wort vom Kreuz" Symptome einer einseitig an der paulinischen
Theologie sich ausrichtenden „Engführung" erblicken, wird zu erwarten
sein, daß das gerade in dieser Hinsicht sehr eindeutige und entschiedene
Votum des Autors nicht an jedem Ort mit Beifall zur
Kenntnis genommen werden wird. Gleichwohl: Zu erneuter und weiterer
Reflexion in dieser Hinsicht sollten die fiiqu vorgelegten Untersuchungen
und Überlegungen in jedem Falle anregen, zumal wohl
auch ein kritischer Leser den gerade diese Publikationen auszeichnenden
Vorzug nicht wird bestreiten können, nämlich die - angesichts
gewisser Mangclerscheinungen in dieser Hinsicht in der theologischen
Literatur der Gegenwart - bemerkenswerte Verbindung eindringlicher
und exakter historischer Arbeit mit einem ebenso eindeutigen
theologischen Engagement. Die heutzutage mitunter üblich gewordene
Etikettierung solchen Verfahrens als „konservativ" dürfte
angesichts der hier vorgetragenen Thesen und Schlußfolgerungen in
dem Maße sich als unzutreffend erweisen, in dem es nicht gelingt, die
„liberale" oder auch „progressive" Position in gleicher Weise zu
untermauern, wie dies hier zugunsten der „konservativen" Position
geschehen ist.

Keine Frage jedenfalls, daß ein solcher „konservativer" Grundzug
insbesondere in der französischen Ausgabe hervortritt, die in ihrem
ersten Teil - von weiterer Ergänzung und Präzisicrung der Dokumentation
abgesehen (da/u S. 9) - im wesentlichen der ursprünglichen
deutschen bzw. der englischen Fassung entspricht. Bereits die Fragestellungen
, von denen der Autor im ersten Kapitel des /weiten feiles
im Zusammenhang von «Qucstions preliminaires d'histoire des reli-
gions» ausgeht - so z. B. die Frage: «comment la crueifixion de Jesus
obtint-elle sa place au centre de la predication chretienne primitive?»
(S. 1 171) -. zeigen an. in welchem Maße in diesem zweiten Teil der
französischen Ausgabe die zentralen Fragen und Probleme urchrist-
licherChristusverkündigung zur Diskussion gestellt werden. Im zweiten
Kapitel - überschrieben: «L'origine de l'interpretation redemp-
trice de la mort de Jesus» (S. I 56ff) - spitzt sich sodann solche Fragestellung
konsequenterweise auf die sehr konkrete Frage zu. ob es sich
bei den im einzelnen sehr unterschiedlichen „Modellen" hinsichtlich
der Heilsbedeutung des Kreuzestodes Jesu lediglich um eine (sekundäre
! „Interpretation" handelt - oder ob sie - jedenfalls «dans son
essence» - ihren Ursprung in bestimmten Worten und Taten Jesu
selbst haben? (S. 1561) Zumal dieses zweite Kapitel des zweiten Teiles
ist ganz olfensichtlich durchaus „cum ira et studio" geschrieben, was
angesichts der gerade in dieser Hinsicht äußerst disparaten Gesprächslage
der Gegenwart nicht unbedingt verwunderlich ist. Die Untersuchungen
des Vf., die von der Analyse der entsprechenden Formeltradition
bei Paulus! 1 Kor 15.3 usw.) ausgehen (S. 157 ff) und über die
Erörterung der Frage des „gekreuzigten Messias" (S. 163ff) sowie der
Interpretation des Todes Jesu «dans la communautc primitive»