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Ausgabe:

1982

Spalte:

152-153

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hammer, Karl

Titel/Untertitel:

Weltmission und Kolonialismus 1982

Rezensent:

Krügel, Siegfried

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 2

152

faltung des Gesamtthemas unter vier Gesichtspunkten. Prof. G.
Kretschmar und Erzbischof Vladimir von Dmitrov sprachen
über: „Opfer Christi und Opfer der Christen in den eucharistischen
Texten der Russischen Orthodoxen Kirche und der Evangelischen
Kirche in Deutschland". Erzbischof Aleksij von Düsseldorf und
Prof. F. v. Lilienfeld boten eine „Einführung und Erläuterung
zu den eucharistischen Texten". Prof. P. Stuhlmacher und Prot.
Prof. V. Borovoj behandelten „Das Opfer Christi und das Opfer
der Gemeinde nach dem Neuen Testament". Schließlich referierten
Prof. N. A. Zabolotskij und Prof. G. Harbsmeier über: „Das
Opfer Christi und der Lebenseinsatz der Christen".

Es erwies sich als sinnvoll, daß die ersten vier Vorträge von den
liturgischen Texten des eucharistischen Gottesdienstes beider Kirchen
ausgingen. Hierbei vermochten die Evangelischen den theologischen
Gehalt des orthodoxen Gottesdienstes tiefer zu erfassen als umgekehrt
. Denn, während orthodoxe Spiritualität und Theologie im
liturgischen Vollzug und folglich die eucharistische Theologie in den
liturgischen Texten umfassend Ausdruck findet, zeigte es sich, daß
der Gehalt des lutherischen Gottesdienstes erst durch das Einbeziehen
der Gesangbuchlieder voll erfaßt werden kann.

Beiden Seiten gilt übereinstimmend als Mittelpunkt des eucharistischen
Gottesdienstes das auf Golgatha einmal zur Erlösung dargebrachte
Selbstopfer Jesu Christi, die Gegenwart des Gekreuzigten und
Auferstandenen, dessen wahrer Leib und wahres Blut in der Kommunion
empfangen werden. Während aber die evangelischlutherische
Seite mit der Hl. Schrift in der Eucharistie die Mahlfeier
sieht, in welcher der Auferstandene die Gemeinde versammelt, ihr
über Brot und Wein Anteil an der von ihm gestifteten Versöhnung
gibt, die evangelischen Gottesdienstordnungen jedoch das Wort
„Opfer" kaum verwenden und ein Opfer der Christen nur als Dankopfer
kennen, denkt die orthodoxe Liturgie zugleich an eine unblutige
Opferdarbringung der Christen, wobei der Priester allerdings
nur als sichtbares Werkzeug verstanden wird, durch das Christus
selbst unsichtbar und geheimnisvoll wirkt. Die Weise der Selbstverge-
genwärtigung sowie die Frage nach dem Anteil des Priesters bzw. der
Gemeinde daran konnte noch nicht eingehend behandelt werden.

Es wurde auf Unterschiede in der theologischen Sprache und der
Bibclauslegung eingegangen: während die orthodoxe Exegese von der
Glaubenstradition ausgeht, bedient sich die evangelisch-lutherische
Bibelauslegung der historisch-kritischen Methode als Erkenntnismittel
, nicht aber als Erkenntnisprinzip. Für die Orthodoxen bleibt es
eine noch offene Frage, ob in den klassischen reformatorischen Texten
nicht etwas von der Fülle des Anamnesebegriffs verlorengegangen
ist.

Wie übereinstimmend festgestellt wurde, öffnet sich der vom Herrn
zu einem Leib zusammengeschlossenen Gemeinde aus der Feier der
Eucharistie heraus der Weg zum Lebenseinsatz in der Liebe, zur
Suche nach Frieden und Heil für die ganze Welt. Neben einer kritischen
Erörterung der Praxis evangelischer diakonia wurde auch auf
das Handeln der Christen unter den Bedingungen einer sozialistischen
Gesellschaftsordnung eingegangen. Die Orthodoxen betonten
jedoch, Leitbild der christlichen Kirche sei nicht nur Martha, sondern
in hohem Maße Maria.

Innerhalb der Gesprächsgruppen zeigten sich durchaus differenzierte
Positionen. So z. B. durch Erzbischof Aleksij, der bei seinen
Ausführungen über das Verständnis der eucharistischen Wandlung
die bekannte Enzyklika der östlichen Patriarchen aus dem 19. Jh.
wegen der Aufnahme des transsubstantiatio-Begriffs als „ein hoffnungsloses
, durch und durch tridentinisches Dokument" bezeichnete
, „das leider nichts mehr mit patristischer Auffassung und Gesinnung
zu tun hat" (S. 122).

Im Resümee kam abschließend der einhellige Wunsch zum Ausdruck
, die Gespräche weiterzuführen, um zu pflegen und zu vertiefen,
was für die Einheil der getrennten Kirchen sowie für Frieden und
Freundschaft zwischen beiden Völkern erreicht worden ist.

Berlin Hans-Dieter Döpmann

Ökumenik: Missionswissenschaft

Hammer, Karl: Weltmission und Kolonialismus. Sendungsideen des
19. Jahrhunderts im Konflikt. München: Kösel-Verlag 1978.
349 S.8 Lw. DM55,-.

Der Missionswissenschaft ist es erst verhältnismäßig spät gelungen,
eine theologische Disziplin sui generis zu werden und als solche Anerkennung
zu finden. Bis Forderungen sich durchsetzen konnten, wie
sie etwa im deutschen Sprachraum der Pionier Karl Graul erhoben
hatte, vergingen viele Jahrzehnte. Im Zeitalter der wissenschaftlichen
Spezialisierung steht nun aber auch die junge Missionswissenschaft in
der Gefahr der „Fachidiotie", die für sie als eine ökumenische Disziplin
par excellence in besonderem Maße verhängnisvoll wäre. Darum
bedarf gerade die Missionswissenschaft der Aufmerksamkeit und
Mithilfe anderer theologischer Disziplinen.

Die vorliegende Publikation leistet hierfür einen wertvollen Dienst.
Vf. ist Historiker, und als solcher schreibt er über „Weltmission und
Kolonialismus", wobei der Untertitel „Sendungsideen des ^.Jahrhunderts
im Konflikt" bereits deutliche Aufschlüsse über Ansatz und
Ziel der Studie gibt. Es geht um „Kontextualisierung" der Weltmission
des 19. Jhs. Kontextualisierung ist heutzutage aktuell, und das
zweifellos berechtigterweise. Sie kann solchen Richtungen der Mission
und Missionswissenschaft, die sich abstrakten Missionsprinzipien
verschreiben, oder anderen, die die Geschichte der Mission allzu
unkritisch betrachten, sie eher in ein verklärendes oder heroisierendes
Licht tauchen, zum heilsamen Korrektiv werden und jene Nüchternheit
zu lernen helfen, zu der z. B. der bereits erwähnte lutherische
Missionswissenschaftler Karl Graul schon in der Mitte des vorigen
Jhs. nachdrücklich aufrief.

Das Buch ist freilich nicht nur eine Rechtfertigung der Kontextualisierung
als historisch legitimer Darstellungsmethode, sondern
es offenbart auch deren Grenzen: Mission hatte und hat ganz gewiß
teil am Geist der Zeit, sie hatte und hat aber dennoch auch immer ihr
unverwechselbares Proprium. Vf. will das keineswegs leugnen, dennoch
birgt die Grundkonzeption der Studie die Gefahr einer allzu relativierenden
Betrachtung der Mission in sich. Wenn der Historiker
für bestimmte Erscheinungen eines bestimmten Zeitraums nach
einem gemeinsamen Nenner sucht, so ist das methodisch unanfechtbar
. Der gemeinsame Nenner darf jedoch nicht zu einer Art Oberbegriff
werden, von dem her in beinahe deduktiver Weise dem einzelnen
der zur Betrachtung stehenden Phänomene sein Ort und seine
Rolle zugewiesen wird.

Ein weiterer Einwand: Vf. spricht nicht nur vom - im einzelnen
recht unterschiedlichen - Sendungsbcwußlseins (wasjedenfalls im
Blick auf die Mission theologisch zu akzeptieren wäre), sondern von
Sendungsideen des 19. Jhs. Damit bewegt er sich auf den Bahnen
einer geistesgeschichtlichen Betrachtungsweise, gegen die Bedenken
angemeldet werden müssen, weil sie die tatsächlichen Triebkräfte des
geschichtlichen Prozesses zu wenig berücksichtigt. Die Fülle der Fakten
, die Vf. im einzelnen zur Darstellung bringt, steht zwar im Widerspruch
zu einer idealistischen Gesamtschau der Geschichte, doch
wird letztere dadurch nicht annulliert.

Primär hatte der Expansionismus des 19. Jhs. seinen Grund in
dem, was politisch und wirtschaftlich „machbar" geworden war. Sowohl
die herrschenden Klassen wie ihre Opfer - als Auswanderer -
machten davon Gebrauch. „Sendungsideen" waren hier durchaus sekundär
; sie waren, wo immer sie auftauchten, eher ein nachträglicher
- manchmal auch ein präventiver - Versuch, das Unrecht, das man
tat, zu rechtfertigen oder wenigstens zu bemänteln.

Christliche Mission damit auf die gleiche Stufe zu stellen ist nicht
angängig. Sie war ein Stück weit in das alles verflochten - wann und
wo wäre es der Kirche jemals gelungen, sich ganz aus der „Welt" herauszuhalten
? Darum das Recht, auch ihre Geschichte zu „kontextua-
lisiercn". Aber über das eigentliche Wesen der Mission ist damit