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Ausgabe:

1982

Spalte:

150-151

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Das Opfer Christi und das Opfer der Christen 1982

Rezensent:

Döpmann, Hans-Dieter

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 2

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gische Betrachtungsweisen, die rein mathematisch-physikalisch
orientiert sind (für das vorliegende Buch mag es genügen, auf die Art
der Verwendung des Begriffs „System" zu verweisen), in der Gefahr,
mehr „wissenschaftliche" Verfremdung zu bewirken als Erkenntnishilfe
zu bieten. Daß Vf. das Dilemma durchaus sieht, wird verschiedentlich
deutlich.

Ist man sich dementsprechend des hypothetischen Charakters der
vom Vf. angestellten Überlegungen bewußt, dann ist die Lektüre des
Buches sehr wohl lohnend und aufschlußreich. Für den evangelischen
Leser sind bereits im 1. Teil die Ausführungen zum Thema
„Volkskirche - Freiwilligkeitskirche" (20) sehr nachdenkenswert.
Ähnliches gilt von der unbefangenen Bejahung eines „religiösen
Apriori" des Menschen gegenüber Barth und Bonhoeffer (24) oder -
denkt man an den seit 50 Jahren währenden innerprotestantischen
Streit um die Legitimität konfessioneller Morphologie - von der Feststellung
, Katholizismus (und dann ja wohl Protestantismus gleichermaßen
) sei „immer als akkulturiertes Glaubensensemble zu denken"
(25).

'Im 2. Teil will Vf. „einen Schritt nach vorn in der Religionssoziologie
" tun; als solchen wertet er den „Weg von der . . . Morphologie
zur Typologie der Religion" (47), wobei nacheinander Versuche
religionssoziologischer, religionsgeschichtlicher und soziologischer
Typologie vorgeführt und eingeschätzt werden. An Einzelheiten sei
festgehalten, daß Vf. auf die Forschungsergebnisse R. de Oliveiras
verweist, der für den brasilianischen Volkskatholizismus verschiedene
„Konstellationen" feststellt, nämlich sakramentale, devotionale
und solche der Protektion, hingegen „die völlige Abwesenheit einer
.Konstellation des Evangeliums'" (71). „Bei der Felduntersuchung
wurden zwar Leute angetroffen, die zeitweise die Heilige Schrift lesen.
Aber unter den befragten Katholiken befand sich keiner, der mit dem
Heiligen durch Vermittlung der Heiligen Schrift in Verbindung tritt.
Die .evangelische Konstellation' ist die große Abwesende im lateinamerikanischen
Katholizismus" (ebd.).

Besonders bemerkenswert, weil sicherlich nicht nur für Brasilien
gültig, ist auch eine auf Untersuchungen von C. P. de Camargo basierende
Feststellung des Vf.: „Es besteht ein unbewußter Respekt vor
den Riten der Sakramente ... Die profane Gesellschaft bietet keine
gültigen Alternativen an, die den Grenzsituationen des menschlichen
Lebens die archaische Feierlichkeit der Sakramente geben könnten"
(95). „Eine andere Funktion des traditionellen .. . Katholizismus . . .
tritt vor allem in persönlichen Krisen oder bei emotionellen Spannungen
zutage. In diesen Spannungssituationen leistet der Katholizismus
eine Revitalisierung des individuellen psychischen Haushalts,
wo die profane Gesellschaft nur Frustation zurückläßt" (ebd.).

Den 2. Teil zusammenfassend spricht Vf. „von der strukturellen
Lücke' der vorgestellten Typologien" (103); er versucht deshalb im
3. Teil „von einem methodischen Neuansatz her eine Typologie des
brasilianischen Volkskatholizismus" (ebd.). Dabei „wird auf die
Konzepte des linguistischen Strukturalismus zurückgegriffen" (107)
und dies gerechtfertigt mit der Behauptung: „Um an Hand von Konzepten
des linguistischen Strukturalismus den Volkskatholizismus zu
analysieren, muß . . . nicht vorher die Identität von Religion und
Sprache festgestellt werden" (ebd.). Vf. beschreibt die Axiome der
strukturalen Linguistik, um sodann nochmals „klarzustellen", daß es
nicht in Frage kommen könne, „die .Anleihe' aus der Linguistik . . .
von einer deckungsgleichen Anwendung des Sprachbegriffs, d. h. von
gleichen Funktionen und Strukturen abhängig zu machen" (114). Er
geht davon aus, „daß Religion und Sprache semiotische Systeme mit
Kommunikätionsfunktion sind. Im folgenden soll die Bedeutung des
Kommunikationsfaktors im semiotischen System .Religion' erörtert
werden" (117). Wichtigstes Ergebnis dieser Erörterung ist die (so die
Überschrift des Unterteils 3.11) „Semantische Identifikation des rituellen
, festlichen, geschichtlichen und synkretistischen Volkskatholizismus
" (133-140). Der Schlußsatz dieses Unterteils lautet: „Die
Uhren Brasiliens laufen für den synkretistischen Volkskatholizismus
" (140).

Im abschließenden 4. Teil fragt Vf.: „Wie können die vier identifizierten
Typen... als ein Volkskatholizismus gedacht werden?"
(149). Die Antwort lautet: „Die Authentizität des Volkskatholizismus
kann nicht nur über einen systemimmanenten Spannungsausgleich
seiner einzelnen Typen erreicht werden ... Es gilt vielmehr,
mit besonderem Nachdruck das Gefälle zwischen Katholizismus und
Volkskatholizismus zu reflektieren" (151). Aus solcher Reflexion ergibt
sich für den Vf. als besonders wichtige Aufgabe der Pastoral Populär
die „Bekehrung der Großkirche zu den Unterprivilegierten"
(164). Er zitiert hier J. B. Metz, der die Arbeit, eine Münsteraner Dissertation
, betreut hat: Die Unterprivilegierten „sind die Privilegierten
bei Jesus, sie müssen auch die Privilegierten seiner Kirche sein"
(ebd.).

Diese Erkenntnis und die daraus sich ergebenden Folgerungen und
Forderungen sind das eigentliche und einzige Thema, um das Vf.
kreist. Dies und nicht etwa Freude am Theoretisieren hat ihm die
Feder geführt. Er hat damit den Anspruch erworben, mit kritischer
Aufmerksamkeit, vor allem aber großer Aufgeschlossenheit gehört zu
werden.

Leipzig Siegfried Krügcl

Ökumenik: Ostkirche

Das Opfer Christi und das Opfer der Christen. Siebtes Theologisches
Gespräch zwischen Vertretern der Russischen Orthodoxen Kirche
und der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 6. bis 10. Juni
1976 in der Evangelischen Akademie Arnoldshain. Herausgegeben
vom Kirchlichen Außenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland
(Studienheft 10). Frankfurt/M.: Verlag Otto Lembeck 1979.
238 S., 4 Taf. 8' = Beiheft zur Ökumenischen Rundschau, 34.

Beim VI. „Arnoldshainer" Gespräch in Zagorsk 1973 über das heilige
Abendmahl hatte man angesichts der Bedeutung der Eucharistie
als des Sakraments der Einheit beschlossen, diese Thematik in weiteren
Gesprächen zu vertiefen. So galt das VII. Gespräch, das ebenso
wie das I. von 1959 in Arnoldshain stattfand, Überlegungen über das
Opfer Christi und das Opfer der Christen.

Der erstmals als Beiheft zur Ökumenischen Rundschau erschienene
Berichtsband bietet ebenso wie die Bände der vorhergehenden
Gespräche eine umfassende Darstellung. Nach der zusammenfassenden
Wertung im Vorwort von H. J. Held ist ein bereits 1976
im Journal des Moskauer Patriarchats erschienener Bericht von Prot.
Prof. V. Stojkov über die mit dem Gespräch verbundene Informationsreise
aufgenommen worden. Es folgt die Wiedergabe von Ansprachen
und Predigten der Leiter bzw. Vertreter beider Delegationen
. Der des Russischen Kundige begrüßt es, wie schon im Berichtsband
über das II. „Arnoldshainer" Gespräch, das Resümee sowie die
Thesen der vier Gesprächsrunden in deutscher und russischer Sprache
vorzufinden. Der Hauptteil des Bandes bietet den Text der acht
gehaltenen Referate. Abschließend folgt auf 52 Seiten ein Protokollbericht
von den Diskussionen, den Margit Döring nach der Tonbandaufzeichnung
besorgt hat.

Obwohl sich, wie es die Grußadresse an Teilnehmer früherer „Arnoldshainer
" Gespräche deutlich macht, die Zusammensetzung vor
allem der ROK-Gruppe im Laufe der Zeit wesentlich verändert hat,
zeugte das VII. Gespräch vom weiter zunehmenden gegenseitigen
Verstehen, der Bereitschaft, in sachlich-aufgeschlossenem Dialog die
Kenntnis vom jeweils anderen zu vertiefen, im Klären des unterschiedlichen
Sprachgebrauchs und bisheriger Mißverständnisse das
Übereinstimmende wie das Unterscheidende zu erfassen. Es zeugt
vom Prozeß der Annäherung, daß in mehreren der Referate nicht nur
die eigene Position dargestellt, sondern auch die eigene Sicht der
Position des anderen entfaltet wurde. Dies erwies sich als eine gute
Grundlage für die Diskussion.

Die im deutschen Wortlaut gebotenen Referate zeigen eine Ent-