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Ausgabe:

1982

Spalte:

148-150

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Suess, Paulo

Titel/Untertitel:

Volkskatholizismus in Brasilien 1982

Rezensent:

Krügel, Siegfried

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 2

148

auf den Zeitraum bis 1937 (Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung
in Edinburgh) beschränkt, also die Teilnahme (wenn auch
ohne organisierten Anschluß) der Römisch-katholischen Kirche an
den ökumenischen Bemühungen noch nicht einmal mit einbezieht,
so steht man sogleich vor der ganzen Härte des Problems wie auch an
dem Punkt, an dem das Buch seinen Platz hat und einen guten Dienst
zu tun vermag.

Hervorgegangen aus einer (noch erheblich umfangreicheren) systematisch
-theologischen Habilitationsschrift (Heidelberg 1972) bietet
es einen ausführlichen Überblick über die Konzeptionen von der Einheit
der Kirche, wie sie auf den verschiedenen Stationen der Bewegung
für Glauben und Kirchenverfassung von ihren Anfängen (Ernennung
einer „Gemeinsamen Kommission" der Protestantischen
Episkopalkirchen zur Vorbereitung einer Weltkonferenz für Glauben
und Kirchenverfassung im November 1910) bis zur genannten Weltkonferenz
in Edinburgh 1937 entwickelt worden sind. Vf. unterscheidet
auf diesem Wege insgesamt sechs Stationen, die er jeweils in
einem eigenen Kapitel darstellt: Das erste Kapitel schildert unter der
Überschrift „Die anglikanische Voraussetzung" die Vorgeschichte
der Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung (S. 11-45). Das
2. Kap. behandelt „Das erste Stadium der Bewegung" von
1910-1920, also von der Gründung der „Gemeinsamen Kommission
" auf Initiative von Bischof Brent bis zur Vorbereitungskonferenz
in Genf (S. 46-100), während Kap. 3 - „Der Auszug aus der Isolation
. Der Beginn des Gesprächs zwischen den Kirchen" - dann bis an
die erste Weltkonferenz von Lausanne 1927 heranführt (S. 101-133).
Dieser Weltkonferenz ist das ganze Kap. 4 gewidmet, überschrieben
mit der Frage, die eines der wesentlichen Probleme markierte:
„Christliche Einheit oder kirchliche Einheit?" (S. 134-192). Kap. 5,
„Die Manifestierung vorhandener Einheit", schildert den weiten Weg
der Bewegung von Lausanne nach Edinburgh, vor allem die recht intensiven
Vorbereitungsarbeiten für die neue Weltkonferenz
(S. 193-247), die ihrerseits dann in Kap. 6 eine spezielle Darstellung
erfährt, „Von der Föderation zur umfassenderen Einheit"
(S. 248-289). Ein knappes Kap. 7 schließlich versucht eine „Zwischenbilanz
", in der die verschiedenen Einheitskonzeptionen noch
einmal kurz zusammengefaßt skizziert werden sowie die „Kontinuität
ökumenischer Geschichte" auch über den Rahmen von 1937
hinaus sichtbar gemacht wird (S. 290-301). Ein ausführliches Literaturverzeichnis
beschließt den inhaltsreichen Band (S. 302-311).

Schon ein solcher geraffter Überblick dürfte deutlich machen, in
welcher Richtung das Thema behandelt worden ist. Handelt es sich
ursprünglich auch um eine Qualifikationsarbeit für das Fachgebiet
Systematische Theologie, so ist es eigentlich doch mehr eine historische
Arbeit, die die Geschichte einer Bewegung, freilich unter einem
ganz bestimmten, aber eben doch sehr zentralen und besonders brisanten
, Blickwinkel ins Auge faßt und periodisiert und dement-
sprechende Entwicklungslinien aufzeigt. Dem gestellten Thema besser
entsprechend und dem heutigen Leser, der in der gegenwärtigen
Diskussion um weitergehende Orientierungen bemüht ist, förderlicher
wäre es möglicherweise gewesen, doch stärker systematisch
vorzugehen, orientiert an den unterschiedlichen Einheitsmodellen,
die während dieser Jahrzehnte - den ersten der ökumenischen Bewegung
, am Anfang des interkonfessionellen Dialogs! - auf den verschiedenen
Ebenen und im Zusammenwirken unterschiedlicher
Kräfte und Traditionen (Anglikaner, Protestanten, Orthodoxe) entwickelt
worden sind, welchen Hintergründen sie erwuchsen und mit
welchen spezifischen Intentionen sie von welchen Seiten aus gefördert
bzw. auch blockiert wurden. Freilich kommt das alles zur Sprache
- und angesichts der Fülle des verarbeiteten Materials wirkt jede
Einzelkritik fast automatisch als Beckmesserei - aber auf die ganze
Länge des Buches verteilt. Und das Fehlen eines Registers (die ständigen
Verweise und häufigen Wiederholungen vermögen es nicht zu ersetzen
) tut ein Übriges dazu, Detailorientierungen zu erschweren.
Gerade diese aber wären von einigem Belang.

Es erweist sich nämlich - und das dürfte wohl das eigentlich Ernüchternde
an dieser Arbeit sein, wodurch vielleicht auch einige Ausrufezeichen
gesetzt werden könnten -, daß nicht nur dieselben Probleme
, die heute die Diskussion bestimmen, im Grunde schon am
Anfang der Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung offen auf
der Tagesordnung standen (vgl. besonders S. 92 ff!), sondern sich auch
die sich daran anknüpfenden Überlegungen und Konzeptionen auf
jeder Etappe praktisch wiederholen (vgl. S. 243), ohne daß einzelne
jeweils neue Akzente übersehen werden sollen. Unter dem Strich
bleibt die Erkenntnis: Der Fortschritt ist gering, womit dann auch
jene anfänglich zitierte These hier ihre Rechtfertigung gefunden
hätte. Das aber ist natürlich keine Kritik an dem Buche. Im Gegenteil
! Es leistet, auch innerhalb jener vom Rez. empfundenen Grenzen,
einen wertvollen Dienst, nicht zuletzt für die evangelischen Kirchen
in der DDR, die ja offenbar auch noch mitten in den Diskussionen
über das ihnen angemessene Modell kirchlicher Einheit stehen.

Kritisch sei noch vermerkt, daß leider eine Menge Druckfehler stehengeblieben
sind, auch in den fremdsprachigen Zitaten (z. B. S. 79, Z. 12 v. u.).
Sinnentstellend wirken: S. 41 Z. 1: Kinder statt Kirchen; S. 54 Z. 26: Christen
statt Christus; S. 137 Z. 8: Grabs statt Grabens sowie S. 188 Z. 15 die ganze
Konstruktion.

Schöncicheb. Berlin Hubert Kirchner

Ökumenik: Catholica

Süß, Günter Paulo: Volkskatholizismus in Brasilien. Zur Typologie
und Strategie gelebter Religiosität. München: Kaiser; Mainz:
Matthias-Grünewald-Verlag 1978. 200 S. 8' = Gesellschaft und
Theologie. Abt. Systematische Beiträge, 24. Kart. DM 25,-.

Wer dieses Buch aufschlägt, möge zunächst den Untertitel und das
Vorwort (50 sorgfältig zur Kenntnis nehmen, sonst könnte er enttäuscht
sein. Denn es geht dem Vf. nicht um bloße Beschreibung des
brasilianischen Volkskatholizismus, vielmehr will die Studie verstanden
sein als Beitrag zur Lösung der „Aufgabe lateinamerikanischer
Theologie, deren Strategie sich über den ganzen Kontinent hinweg als
,Pastoral Populär" artikuliert.... freihaus geliefertes, natürliches'
oder verordnetes Denken und Handeln zu hinterfragen" (5).

Die vier Teile des Buches tragen die Überschriften „Standortbestimmung
" (16-45), „Zur Typologie des brasilianischen Katholizismus
. Darstellung und Kritik typologischer Versuche" (46-103), „Typologie
des brasilianischen Volkskatholizismus" (104-148) und „Pastoral
Populär - Perspektiven einer Strategie zur Authentifizierung
des Volkskatholizismus" (149-179).

Vf. hat nicht nur Theologie, Philosophie und Soziologie an deutschen
und belgischen Universitäten studiert - die französischen Elemente
seines Denkens einschließlich der Fähigkeit zu brillanten Formulierungen
sind nicht zu übersehen - , sondern auch als Dozent, vor
allem aber als Pfarrer einer brasilianischen Favela durch lange Jahre
praktische Erfahrungen gesammelt. Darüber ist er zu einem jener an
Zahl ständig wachsenden katholischen Theologen Lateinamerikas geworden
, die in bewußter Parteilichkeit für die Armen und Entrechteten
dieses Kontinents eintreten und auch der Theologie selbst die
Aufgabe zuweisen, in diesem Sinn „engagiert" zu sein. Zur fundamentalen
Aufgabe wird ihm dabei, Theorie und Praxis in ihrer Wechselwirkung
zu erfassen: „Theorielose Praxis wird zum Aktivismus,
praxislose Theorie zum Verbalismus" (5).

So geht Vf. daran, den brasilianischen Volkskatholizismus zu systematisieren
. Er bedient sich dabei des gesamten Instrumentariums
moderner (genauer: bürgerlicher bzw. neomarxistischer) Soziologie
und erreicht damit einen hohen Abstraktionsgrad, der zu mancherlei
überraschenden Klärungen verhilft. Andererseits wirft dieses ganze
Verfahren ernste Fragen auf. Wenn die Theologie davon auszugehen
hat, daß es der Heilige Geist in seiner Unverfügbarkeit ist, auf den
Glaube und Glaubensgemeinschaft (auch in der Gestalt eines Volkskatholizismus
) sich zurückführen dürfen und müssen, stehen soziolo-