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Ausgabe:

1982

Spalte:

142-143

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Zulehner, Paul M.

Titel/Untertitel:

Umkehr, Prinzip und Verwirklichung 1982

Rezensent:

Friemel, Franz Georg

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 2

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dann die Haupthese seines Buchs, daß der Glaube, religionspsychologisch
gesehen, eine Symbolisierung der je wieder nach Phasen verschiedenen
Persönlichkeitsstruktur ist (wobei Symbolisierung als eine
reife Ichleistung zu verstehen ist). Er veranschaulicht seine These,
indem er bestimmte Gottesvorstellungen mit den Eriksonschen Phasen
in Verbindung bringt. Das Grundproblem jeder Phase, das durch
den Aufbau der je wieder spezifischen Identität überwunden wird,
entspricht einem besonderen Aspekt des Gottesbildes: der Suche
nach Geborgenheit die Muttersymbole des biblischen Zeugnisses,
dem Bedürfnis nach Autonomie die Aussagen über den Willen Gottes
, über den menschlichen Gehorsam und die Exodus-Vorstellungen
, dem Bedürfnis nach Leistung und Zielgerichtetheit die Vater
-Eigenschaften Gottes und die Symbolik von Sünde und Vergebung
. Dem Suchen des Adoleszenten nach Identität und Überwindung
der fdentitätsverwirrung werden Symbole des leidenden Gottes,
dem Konflikt zwischen Intimität und Isolierung Symbole der Nähe
und der Distanz Gottes, dem phasentypischen Konflikt des Erwachsenen
zwischen Generativität und Stagnation das Symbol des Schöpfers
und der Polarität zwischen Integrität und Verzweiflung beim
alten Menschen das Symbol des rechtfertigenden Gottes zugeordnet.
Auf diese Weise interpretiert Kiessmann die Symbolbildung des
Glaubens und die Identitätsbildung als Vorgänge, die einander entsprechen
und ineinander greifen. Er nimmt ferner an, daß zwischen
dem Grund des Glaubens, von dem das Zeugnis der Kirche redet und
über den die Theologie mit ihren Symbolen nachdenkt, und der Art
und Weise, wie der Einzelne nach dem Differenzierungsgrad seiner
psychischen Struktur die Symbole auswählt und adaptiert, ein zirkulärer
Prozeß ablaufe. In ihm geht es darum, daß der Mensch durch
seine religiöse Erfahrung die in jeder biographischen Situation spezifische
Zusammengehörigkeit von ,fides, quae' und ,fides, qua' findet
und erkennt. Mit Hilfe der Kreuzestheologie von J. Moltmann legitimiert
Kiessmann theologisch seine psychoanalytische Kritik an einer
Religiosität, bei der kindliche Bedürfnisse auf den allmächtigen Gott
projiziert und Erfahrungen menschlicher Ohnmacht mit Hilfe einer
vergotteten Vaterfigur verdrängt werden. Der gekreuzigte Gott ermöglicht
es, die widrigen Erfahrungen von Schuld und eigener
Schwäche zu bejahen und zu integrieren. Die Gesamtsicht von Kiessmann
und diese'theologischen Bewertungen bestimmter Formen von
Religiosität bieten dem Seelsorger ein Deutungsschema psychischer
Struktur und ihrer symbolischen Dimension, ihrer Störungen und
Fehlformen und ermöglichen ihm, mit einem Ratsuchenden zielbewußt
an dessen Reifung zu arbeiten. Auf diese Weise will Kiessmann
die Seelsorge aus der sie gegenwärtig bedrohenden Alternative zwischen
Glaubenshilfe ohne Kenntnis der psychischen Prozesse und
psychoanalytischer Kurztherapie ohne Bezug zum Glauben herausführen
.

Die Arbeit von Kiessmann ist m. E. als Einführung in das Denken
von Erikson als Hilfe, dessen Theorien als Fragen an die Theologie zu
verstehen, überaus wertvoll. Sie ist auch ein beachtenswerter Beitrag
zur Grundlagendiskussion der Religionspsychologie. Der Symbolbegriff
von Kiessmann ist so offen, daß er erlaubt, auch den Grund
des Glaubens zu bedenken. Freilich die Weite des Tillichschen Symbolbegriffs
ist damit noch nicht erreicht. Der Mensch, der Grenzerfahrungen
macht, der dem Nichts und der Sinnlosigkeit gegenübersteht
und die Frage nach dem letzten Seinsgrund stellt, läßt sich
schlecht in die Phasenlehre von Erikson einordnen. Das hat auch
Kiessmann nicht fertig gebracht. Zudem habe ich den Eindruck, daß
sich seine Hauptthese nicht genügend empirisch begründen läßt. Die
Zuordnungen zwischen Symbol und phasentypischen Bedürfnissen
entsprechen, wie mir scheint, nur teilweise dem Erscheinungsbild der
Durchschnittsreligiosität des seelisch Gesunden, und ich frage mich,
ob einzelne Zuordnungen nicht bloß erbauliche Assoziationen sind.

Basel Walter Neidhart

Zulehner, Paul M.: Umkehr: Prinzip und Verwirklichung. Am Beispiel
Beichte. Frankfurt/M.: Knecht 1979. 215 S. 8° = Beiträge zur
praktischen Theologie: Theologische Erwachsenenbildung. Kart.
DM 29,80.

Der Passauer Pastoraltheologe beginnt mit einem Lagebericht zur
Beichte und zum Wandel im Beichtverhalten. Hier sprechen Zahlen
und Statistiken, die von Zulehner sorgfältig und nüchtern ausgewertet
werden. Änderungen im Beichtverhalten werden nicht nur im
Zusammenhang mit gesamtgesellschaftlichen Veränderungen gesehen
(Privatisierung; Pluralismus); auch die Kirche ist dabei beteiligt:
sie hat das „Lebenswissen Jesu" oft zu spät in eine neue Weltstube
transponiert, sie ist durch „sündige Verformung" nicht immer nur
Weg, sondern auch Hindernis; daß es mit der Beichte heute schlecht
steht, hat endlich auch Gründe in der Kondition des heutigen Menschen
.

In einem zweiten Teil der Studie will der Vf. helfen, die „namenlose
Erfahrung von Schuld und Sünde" benennbar zu machen.
Schuld und Sünde haben mit Menschwerdung, Lebensdeutung und
Identitätsbildung zu tun. Das „Lebenswissen" des heutigen Menschen
ist aus vielerlei Gründen vorläufig, eklektisch, bedroht und
kann oft Lebenshilfe nur scheinbar leisten. Der Vf. unternimmt den
„gar nicht einfachen Versuch", die Lebensbewältigung des Menschen
von heute in ein Gespräch zu bringen mit der kirchlichen Auffassung
vom wahren Leben, vor allen Dingen mit dem „Lebenswissen Jesu".
Zulehner fordert dafür nicht nur ein „neues Sprachspiel für ererbte
theologische Aussagen", sondern zeigt dem Leser gleich, wie das aussehen
könnte. Ein paar Beispiele seien genannt: Gott ist ein „beziehungswilliger
Gott"; Kirche ist ein „Lebens- und Gesprächszusammenhang
, in dem ein bestimmtes Lebenswissen von Jesus her geschichtlich
überliefert und gesellschaftlich anwesend" ist; Me'nschen
„suchen nach Identität"; Sünde und Schuld bedeuten ein „Vorbeileben
des Menschen an den Lebensmöglichkeiten, die ihm vom Gott
Jesu Christi erschlossen sind" und die verantwortliche „Verweigerung
wahrer Identität", Zufriedenheit mit einem sehr begrenzten Lebensentwurf
. Leben ist Beziehung, Beziehungslosigkeit ist Tod (oder
Hölle). Besonders eindrucksvoll wird in der Sprache der Humanwissenschaft
das Thema der Erbschuld behandelt (82 ff).

In einem dritten Teil geht es um das Thema der Erlösung und Umkehr
. Es gibt in unserer - bösen - Welt eine Tradition des Guten, die
in Jesus einen unüberbietbaren Gipfel erreicht. Durch die Kirche
bleibt diese Tradition in der Gesellschaft anwesend. Erlöste sind
Menschen, die von Jesus her ein neues Selbstverständnis haben und
aufgrund dessen in einer neuen Weise leben können. Wer umkehrt,
stellt sich hinein in die Tradition des Guten. Er baut seine Identität
um, kommt in eine Krise, muß „Trauerarbeit" leisten. Umkehr ist
ein Weg. Zulehner bietet eine Typologie der Umkehrenden. Im Anschluß
an Berger und Luckmann werden - in der Sprache der Wissenssoziologie
- die Elemente einer „gedeihlichen Verwandlung" aufgezählt
. Das theoretisch Erörterte wird anhand von Konversionsgeschichten
verifiziert.

In einem vierten Teil unternimmt der Vf. „einen ersten Schritt in
Richtung auf die Lebenspraxis der Christen und der Gemeinden". Er
formuliert noch einmal den engen Zusammenhang von Glauben und
Umkehrbereitschaft, das „Prinzip Umkehr", durch das der Einzelne,
aber auch die Gemeinde herausgefordert ist. Umkehr ist auch ein
hochrangiges pastorales Prinzip. Wir stehen erst am Anfang einer
Umkehrpastoral. Zulehner zeigt Gefahren (Verengung, Privatisierung
, Ritualisierung), zeigt aber auch eine Reihe von Möglichkeiten.
Der Gemeindepfarrer, ein wichtiger „Umkehragent", könnte wieder
Mut erhalten, und er erfährt, daß er mit seiner Aufgabe nicht allein
steht.

Das Buch bringt zwar keine völlig neuen Erkenntnisse; irgendwie
wußte man schon, was hier erörtert wird. Aber es geht an ein zentrales
theologisches und pastoral-theologisches Thema aus der Ecke
der Humanwissenschaften heran. Viele Sachverhalte erscheinen in