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Ausgabe:

1982

Spalte:

133-134

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Zwei Reiche und Regimente 1982

Rezensent:

Jacob, Friedrich

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Seite 1

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133

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 2

134

So hinterläßt das Buch einen zwiespältigen Eindruck. Auf der
einen Seite stehen aufschlußreiche Philosophie- und theologiegeschichtliche
Analysen; auf der anderen Seite aber scheint die Frage
der Wissenschaftlichkeit der Theologie kaum weitergebracht - wie
auch einige sonstige systematische Schlußfolgerungen zu wenig eingehend
auseinander-gesetzt erfolgen dürften, so daß die Spannungen
zwischen philosophischer und theologischer Rationalität zu problemlos
geglättet erscheinen.

Gerichshain Wolfgang Pfiiller

Duchrow, Ulrich [Hrsg.]: Zwei Reiche und Regimente. Ideologie oder
evangelische Orientierung? Internationale Fall- und Hintergrundstudien
zur Theologie und Praxis lutherischer Kirchen im 20. Jahrhundert
. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1977.
308 S. gr. 8° = Studien zur evangelischen Ethik, 13. Kart. DM 28,-.

Das zu besprechende Buch ist Teilergebnis eines großen Arbeitsvorhabens
, das die Studienkommission des Lutherischen Weltbundes
durchgeführt hat. Man muß es vor dem Hintergrund von Duchrows
bedeutendem Werk „Christenheit und Weltverantwortung. Traditionsgeschichte
und systematische Struktur der Zweireichelehre"
(Stuttgart 1970) lesen, aber auch im Zusammenhang mit dem Buch
Wolfgang Hubers „Kirche und Öffentlichkeit" (Stuttgart 1973) und
den inzwischen erschienenen Textbänden zur Zweireichelehre (Texte
zur Kirchen- und Theologiegeschichte, Bde 17,21 und 22, Gütersloh
1972, 1975 und 1976). Hier nun handelt es sich um einen Sammelband
, der einen Überblick über die Anwendung der Zweireichelehre
in verschiedenen Bereichen des Weltluthertums in unserem Jahrhundert
gibt. U. Duchrow hat dem ganzen eine recht ausführliche Einführung
vorangestellt, in der er nicht nur einiges zur Entstehung des
Buches erklärt und die einzelnen Beiträge kurz vorstellt, sondern in
der auch eine Zusammenfassung der Grundgedanken und der Wirkungsgeschichte
der Zweireichelehre enthalten ist, wie wir sie aus seinen
anderen Veröffentlichungen bereits kennen. Von Duchrow
stammt dann auch der letzte Beitrag des Bandes, ein „Nachwort" mit
dem Titel „Typen des Gebrauchs und Mißbrauchs einer Lehre von
zwei Reichen und Regimenten", offensichtlich als eine Zusammenfassung
der Fallstudien gedacht, vielleicht auch als ein Hilfsmittel,
um die Erscheinungsformen von Theorie und Praxis der Zweireichelehre
in Vergangenheit und Gegenwart besser einordnen zu können.
Dabei unterscheidet Duchrow als Typen des Mißbrauchs die „undif-
ferenziert-integrierte" und die „dualistisch-differenzierte Anpassung
an faktische Machtstrukturen", während der rechte Gebrauch (Typ
3) als „difterenziert-integrierte Teilnahme am Kampf Gottes um die
Anpassung der Mächte an die verallgemeinerungsfähigen (langfristigen
) Lebens- und Freiheitsinteressen des Menschen in allen seinen
Beziehungen" (274) beschrieben wird. Zwischen den beiden Arbeiten
Duchrows stehen die anderen Beiträge nach Ländern geordnet, an der
Spitze zwei aus der BRD: W. Huber beschäftigt sich mit der zweiten
Barmer These, die er vor allem gegen die „Lehre von der Eigengesetzlichkeit
" gerichtet sieht und analysiert ihre „zwiespältige Wirkungsgeschichte
" nach 1945, die sich vor allem in dem unterschiedlichen
Verständnis des „Öffentlichkeitsauftrags" der Kirche zeigt. Dann
folgt Trutz Rendtorffs Beitrag; noch stärker als Huber systematisch
orientiert, sieht er die Gefahr, daß die neuere Diskussion um die
Zweireichelehre eine Überbewertung des Politischen kritiklos übernimmt
. Seine Interpretation der Zweireichelehre zielt darauf, „den
Sinn einer Unterscheidung zwischen dem Handeln Gottes im Medium
politischer Aufgaben und dem Handeln Gottes zum Heile der
Menschen . .. geltend zu machen" (57). Es folgt als Beitrag aus der
DDR Heino Falcke, „Bemerkungen zur Funktion der Zweireichelehre
für den Weg der Evangelischen Kirchen in der DDR". Falcke
arbeitet heraus, daß die Zweireichelehre einerseits eine „Hilfe zur Erschließung
der gesellschaftlichen Wirklichkeit für das christliche Leben
" darstellt, daß sie aber andererseits die Funktion einer „konfliktverdrängenden
Anpassungsideologie" (71) übernehmen kann. Aus
der evangelisch-lutherischen Kirche Ungarns berichtet A. Muntag.
Er beruft sich auf Bischof Zoltän Käldy, der 1958 von der „Diakonie
,des politischen Gottesdienstes'" gesprochen hat, und sieht für die
Ausübung dieses Auftrages in der Zweireichelehre eine entscheidende
Hilfe (79). Aus Norwegen schreibt T. Austad über den Kampf der
Kirche während der nazistischen Besetzung und die aktivierende Rolle
, die dabei die Zweireichelehre gespielt hat. Den gleichen historischen
Zeitraum behandelt H. Fossing aus Dänemark. Dabei wird
deutlich, wie stark sich die unklare politische Situation (während der
Kooperation der dänischen Regierung mit den Deutschen) auf Theorie
und Praxis der Zweireichelehre auswirkt. Zu den dänischen Beiträgen
gehört außerdem ein Aufsatz über die Auseinandersetzungen
im nordischen Missionsrat über das soziale Engagement der Kirche
vor dem zweiten Weltkrieg von J. Aagard. Es folgen drei Fallstudien
aus dem südlichen Afrika, die sich mit dem politischen Einsatz
der Missionskirchen besonders in der Auseinandersetzung mit der
Apartheid beschäftigen. Die nächsten Beiträge stammen aus Amerika
. H.-J. Prien schreibt über die lutherische Kirche in Brasilien und
K. Hertz über „Nordamerikanische Perspektiven zur Diskussion
über die Zweireichelehre". Zu guter Letzt folgt unter der Überschrift
„internationales Luthertum" eine Abhandlung über den Lutherischen
Weltconvent zwischen 1923 und 1947 von A. Boyens.

Alles das ist nicht nur interessant, weil es die Problematik der
Zweireichelehre von verschiedenen Seiten beleuchtet, sondern auch,
weil der Leser vieles aus der Geschichte und der Gegenwart der lutherischen
Kirchen erfährt, was nur wenigen bekannt sein dürfte. Freilich
macht gerade diese Art der Beschäftigung mit der Zweireichelehre
die Grenzen der ganzen Arbeitsaufgabe des Lutherischen Weltbundes
deutlich: Es läßt sich nicht übersehen, daß die Diskussion
über die Zweireichelehre eine speziell deutsche Angelegenheit ist, innerlich
abhängig von der Situation des Kirchenkampfes. Bei den meisten
Beiträgen wird deshalb die Terminologie der Zweireichelehre
erst vom Verfasser zur Interpretation der berichteten Ereignisse eingeführt
. An Hand der Fallstudien wird auch deutlich, daß der
schlechte Ruf, in den das Luthertum wegen der Zweireichelehre in
Sachen politischer Ethik geraten ist, im Grunde auch mit speziellen
deutschen Entwicklungen zusammenhängt. Spätestens bei den Berichten
über Südafrika kann man erkennen, wie wenig die Reformierten
die Freiheit der Kirche gegenüber dem Staat und die Lutheraner
die Anpassung an den Staat für sich gepachtet haben, - was bei Duchrow
zu dem Kuriosum führt, daß die „herrschende weiße reformierte
Theologie im südlichen Afrika" als Beispiel für den „Mißbrauch der
Vorstellung von zwei Reichen und Regimenten" angeführt wird
(286). Natürlich ist es wichtig, daß in den lutherischen Kirchen (wie
in der Christenheit überhaupt) ein „Selbstklärungsprozeß" (7) im
Blick auf die sozialen und politischen Dimensionen des Auftrages der
Kirche stattfindet, aber gerade die Fülle der in den Fallstudien angesprochenen
Probleme erweckt Zweifel daran, ob Duchrows von seiner
Interpretation der Zweireichelehre abgeleitete Typen des Gebrauchs
und Mißbrauchs wirklich hilfreich sein können, ganz zu
schweigen davon, daß ja auch über diese Interpretation selbst noch
nicht das letzte Wort gesprochen sein dürfte. Es wird da vieles mit
einer Sicherheit gesagt, die zum Widerspruch reizt, vor allem, wenn
man bedenkt, wie schnell solch ein Schema zu Etikettierungen und
Verurteilungen von einzelnen Christen und ganzen Kirchen führen
kann.

Karl-Marx-Stadt Friedrich Jacob

Crimman, Ralph P.: Karl Barths frühe Publikationen und ihre Rezeption
. Mit einem pädagogisch-theologischen Anhang. Bern-Frankfurt
/M. - Las Vegas: Lang 1981. 256 S. 8° = Basler und Berner Studien
zur historischen und systematischen Theologie, 45. Kart, sfr
46.-.