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Ausgabe:

1982

Spalte:

123-124

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Forell, George Wolfgang

Titel/Untertitel:

History of Christian ethics 1982

Rezensent:

Hauschild, Wolf-Dieter

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Seite 1

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123

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 2

124

Dogmen- und Theologiegeschichte

Forell, George Wolfgang: History of Christian Ethics. I: From the
New Testament to Augustine. Minneapolis: Augsburg Publ. House
1979.247 S.8-. Lw.$ 12.50.

Der Titel weckt Erwartungen, die ein systematischer Theologe auf
dem Felde der Patristik nicht erfüllen kann. Die Aneinanderreihung
ethischer Positionen von Ignatius über Tertullian, Clemens und Ori-
genes bis zu Basilius, Chrysostomus und Augustin ergibt noch keine
Geschichte der frühchristlichen Ethik. Forell bietet keine wissenschaftliche
Untersuchung, sondern eine eher populäre Zusammenfassung
- nicht des Forschungsstandes, sondern wichtiger Quellen, die er
relativ ausführlich, in geschickter Auswahl und teilweise interessanter
Auswertung zu Wort kommen läßt. Hätte das Buch ein weiterführender
Forschungsbeitrag sein sollen, dann müßten die historischen
Probleme stärker berücksichtigt werden, dann hätte F. auch nicht so
völlig die gesamte neuere Sekundärliteratur ignorieren dürfen. Den
intendierten Zweck, altkirchliche Positionen in aktuelle ethische Diskussion
einzubringen, wird es hoffentlich erfüllen; immerhin vermeidet
F. jede unangemessene Aktualisierung, die das historische Profil
der dargestellten Väter einebnen könnte.

Eine treffliche, knappe Skizze hebt eingangs einige Charakteristika
der neutestamentlichen Ethik hervor: die zentrale Bedeutung der Gestalt
Jesu als Orientierungspunkt des Handelns; die alle herkömmlichen
Ordnungen prinzipiell in Frage stellende eschatologische Qualifizierung
, die einen neuen Lebensstil hervorrief; die konkreten Anweisungen
der Paränese; die Funktion des durch den Geist Gottes erneuerten
Verstandes, die eine positive Anknüpfung an die kulturellen
Traditionen der Umwelt ermöglichte; die enorme Bedeutung der Tatsache
, daß das Christentum sich auch mit seiner Ethik in einer alle
Klassen- und Rassenschranken überwindenden Weise an sämtliche
Menschen wandte. Notgedrungen ebnet eine derartige Skizze die
historischen Spezifika ein und sieht das NT als eine Einheit. Dem
steht der Erkenntnisgewinn gegenüber, den die Herausarbeitung großer
Linien bringt. Leider hält F. für die folgende Darstellung dies Verfahren
nicht durch, so daß eine einheitliche Thematik (etwa die Auseinandersetzung
mit der Spätantike) oder eine leitende Fragestellung
(etwa die christologische Orientierung) nicht hinreichend deutlich
wird. Auch die spezifischen Situationen in chronologischer Hinsicht
(z. B. die Grundlagenkrise des 2. Jh. im Unterschied zum 3. Jh.) wie
in geographischer Hinsicht (z. B. der Unterschied zwischen Alexandria
und Syrien) werden nicht ins Auge gefaßt. Nicht einmal nach
ideengeschichtlichen Zusammenhängen wird gefragt. Das alles muß
den Historiker unbefriedigt lassen.

Der Zusammenhang von Glauben und Leben, den F. bei den „frühen
christlichen Vätern" (d. h. Clemens Romanus und Ignatius) betont
, ist für das antike Christentum ein selbstverständliches Axiom.
Eine Entsprechung von ekklesiologischer Fixierung durch Regula,
Amt und Kanon und der Fixierung ethischer Standards müßte im
einzelnen genau erfragt werden. Tertullians Ethik, die für diese Fragestellung
etwas hergeben kann, wird hier vor allem in ihrer Auseinandersetzung
mit der heidnischen Umwelt skizziert, nicht aber innerhalb
der Entwicklung des frühchristlichen Moralismus. Der aus De
idol. erhobene Ansatz, daß die Einzelzüge paganer Moral deswegen
abzulehnen sind, weil sie Konkretionen des Dienstes an falschen Göttern
(der Idolatrie) sind, müßte anhand anderer Schriften Tertullians
daraufhin geprüft werden, inwiefern er tatsächlich die Basis der gesamten
Ethik bildet. Clemens Alexandrinus wird anhand von Einzelheiten
seiner Schriften als derjenige Kirchenvater dargestellt, der erstmals
die christliche Ethik im Gespräch mit der Philosophie wissenschaftlich
entfaltet. Demgegenüber tritt die Verankerung der Ethik im
Ciesanit seiner Theologie zurück. Schon hier, spätestens aber im
nächsten Kapitel über Origenes (75-92) wünschte man sich eine Berücksichtigung
der theologiegeschichtlichen Einordnung auf dem

Hintergrund der Auseinandersetzung mit Gnosis und Philosophie
(Piatonismus und Stoa). Wie anders als im Vergleich kann das Profil
der großen Alexandriner erfaßt werden? Die Darstellung zu Origenes
bringt ausführlich dessen Auseinandersetzung mit Celsus' ethischem
Relativismus, aber auch kurz die Verankerung der Ethik in Origenes'
System der Weltdeutung. Daß die Tendenz, christliche Moral als
Entweltlichung (in Konsequenz einer bestimmten Anthropologie) zu
interpretieren, für die Origenes folgende Ethik erhebliche Probleme
erzeugte, aber auch vielfältige, interessante Versuche praktischer
Realisierung brachte, wird nicht deutlich genug herausgestellt. Ohne
die Geschichte der Askese zu berücksichtigen, kann man für das
3./4. Jh. keine Geschichte der Ethik schreiben.

Bei der Anlage des Buches kommt die mit der Synthese von Kirche
und Staat/Gesellschaft im 4. Jh. gestellte Problematik der neuen
Weltverantwortung zu kurz, weil die referierten Ideen der Väter zu
pauschal auf die konkrete geschichtliche Situation bezogen werden.
Bei Basilius betont F. mit Recht die soteriologische Fundierung der
Ethik und das Drängen nach praktischer Verwirklichung, während
die asketische Komponente zurücktritt. Auch bei Johannes Chrysostomus
stellt er die sozialethische, auf Weltveränderung drängende
Orientierung heraus. Am ausführlichsten kommt Augustin - nach einigen
Hinweisen auf Ambrosius - zu Wort (154-180), in dessen Ansatz
die Krise einer positiv auf die Weltgestaltung bezogenen Ethik
der Reichskirche reflektiert wird. Was andere vor ihm als Spezifikum
christlicher Ethik benannten, systematisiert er eindrucksvoll: Erst
Gottes Gnade ermöglicht den geforderten Lebensstil, eine Ethik der
Liebe. Die Möglichkeiten christlicher Weltverbesserung schätzt er
skeptisch ein. F. beschränkt sich auf einen Überblick über wichtige
augustinische Texte; spezielle Forschungsprobleme berührt er nicht.
So bestätigt dies Kapitel, daß das vorliegende Buch als eine erste,
übersichtliche Einführung in Grundgedanken der Kirchenväter für
Studenten von Nutzen sein wird.

München Wolf-Dieter Hauschild

Cramer, Winfrid: Der Geist Gottes und des Menschen in frühsyrischer
Theologie. Münster/W.: AschendorfT 1979. VIII, 95 S.
gr. 8' = Münsterische Beiträge zur Theologie, 46. Kart. DM 36,-.

Diese kath.-theol. Habilitationsschrift (Münster 1976) untersucht
die ältesten Theologen des ostsyrischen Sprachraums mit dem Ziel,
hierfür erstmals eine kritische Gesamtdarstellung als begrenzten Einzelbeitrag
zu einer Geschichte der altkirchlichen Pneumatologie zu
liefern. Damit betritt er weitgehend Neuland, da die Arbeit von E.-
P. Sinan (L'experience de l'Esprit par l'Eglise d'apres la tradition
syrienne d'Antioche, Paris 1971) historisch wenig ergiebig ist. Die
dogmengeschichtliche Bedeutung der Untersuchung besteht darin,
daß die analysierte semitische Struktur der frühsyrischen Pneumatologie
den ältesten nicht-hellenisierten Formen des Urkerygma entspricht
- ein Hinweis (80, der leider nicht weiter vertieft wird, wie
auch Vergleiche mit griechischen oder lateinischen Pneumatologien
unterbleiben. C. stellt wichtige Fragen zur Entwicklungsgeschichte,
die er z. T. nur implizit beantwortet. Bedauerlicherweise verzichtet er
auch auf eine abschließende Zusammenfassung. Insgesamt aber geht
er methodisch sauber, um eine werkimmanente, philologisch exakte
Interpretation bemüht, vor, so daß er zu verläßlichen und interessanten
Resultaten kommt.

Die sorgfältige Analyse der syrischen Bibel stellt eine für die Folgezeit
grundlegende „Abwandlung der biblischen Geistlehre" (14-22)
fest, die der syrischen Pneumatologie ihr eigenes Gepräge gibt: Der
Geist wird stärker als kosmologische Potenz verstanden; das Wesen
des Menschen wird in neuer Weise als Einheit von Leib/Seele und
Geist verstanden; die Ansätze, dem Geist personalen Charakter beizulegen
, werden verstärkt (21). Die „Volksfrömmigkeit" des 2. Jh.
(aus Thomasevangelium und Thomasakten erhoben) ist vor allem
insofern wichtig, als sie zeigt, „daß die Vorstellung vom Heiligen