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Ausgabe:

1982

Spalte:

102-103

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Coggins, Richard J.

Titel/Untertitel:

The first and second books of Esdras 1982

Rezensent:

Delling, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 2

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Gesamtanalyse und Einzelauslegung. Bei einigen Stücken wird am
Schluß noch ein gesonderter Abschnitt zu historischen und archäologischen
Fragen bzw. zur theologischen Bedeutung hinzugefügt. Es
handelt sich um einen wissenschaftlichen Kommentar. Der Vf. geht
daher, vor allem in den Abschnitten zur Gesamtanalyse, auf die wichtigsten
einschlägigen Veröffentlichungen der neueren und neuesten
Zeit ein und begründet in Auseinandersetzung mit diesen seinen eigenen
Standpunkt. Bei dem knappen Umfang des Kommentars muß er
sich freilich sehr kurz fassen. So kann er oft nur wenige Hinweise
geben und entsprechend pauschal dazu Stellung nehmen. Dennoch
ist es ihm gelungen, einen Überblick über den jeweiligen Forschungsstand
zu vermitteln, so daß jeder, der sich in die Problematik dieses
alttestamentlichen Buches einarbeiten möchte, hier eine sachgemäße
Orientierung bekommt.

Die eigene Position des Vf. kann man als eine zurückhaltend kritische
bezeichnen. Es ist für ihn unbestreitbar, daß die Königsbücher
das Ergebnis deuteronomistischer Redaktionstätigkeit sind, bei der
verschiedenartige Quellen, die z. T. ihrerseits im Verlauf einer längeren
Vorgeschichte gestaltet worden waren, teils wörtlich, teils in Auszügen
aufgenommen, bearbeitet und ergänzt wurden, und daß auch
nach der grundlegenden Gestaltung der Bücher noch weitere Redaktionsarbeit
erfolgte. Er möchte jedoch eine zu weitgehende literar-
kritische Zergliederung vermeiden und lehnt daher den in der gegenwärtigen
Forschung zu beobachtenden Trend, alle Texte in oft nur
auf sehr subtile Weise zu unterscheidende Schichten aufzuteilen, als
ungenügend begründet ab. So betrachtet er die deuteronomistische
Redaktion ganz im Sinne Noths als einen einheitlichen Vorgang, der
in der Exilszeit erfolgte und der wohl auch einem einzelnen Verfasser
zuzuschreiben ist. Dementsprechend ist 1 Kön 9,1-9 ein einheitliches
Stück und trotz des abrupten Wechsels zur pluralistischen Anrede
an Israel in V. 6 nicht auf zwei Redaktionsschichten (V. 1-5.6-9)
aufzuteilen. Bei den vordeuteronomistischen Stücken, insbesondere
den Erzählungen, ergibt sich durchweg ein komplizierteres Bild.
Gleichwohl versucht der Vf. auch hier, mit der Annahme möglichst
weniger Quellen und Bearbeitungsschichten auszukommen. Bei zwei
wichtigen Erzählungen gelangt er sogar zu dem Ergebnis, daß sie trotz
gegenwärtig verbreiteter Meinung als einheitlich zu betrachten sind.
Im Abschlußkapitel der Thronfolgegeschichte (1 Kön 2) sieht er
keinen unüberbrückbaren Widerspruch zwischen den letzten Anordnungen
Davids (V. 5-9) und der Ausführung durch Salomo (V. 28ff).
Die Differenzen zwischen beiden erklären sich vielmehr dadurch, daß
Salomo den Anordnungen Davids nicht unmittelbar folgen konnte.
David war an Sim'i durch einen Eid (2 Sam 19,24) und an Joab persönlich
gebunden. So mußte Salomo in seiner Weisheit (V. 6.9) nach
neuen Anlässen suchen, um beide töten zu können und auf diese
Weise den Fluch des ersteren und die Blutschuld des letzteren außer
Kraft zu setzen. Es besteht daher kein Grund, die Verse 5-9 oder die
Schilderung der Maßnahmen Salomos als Sonderquelle bzw. späteren
Nachtrag zu betrachten. Auch bei der Prophetengeschichte
1 Kön 22,1-38 sieht der Vf. keinen Anlaß zu größeren literarkriti-
schen Operationen. Die Visionsschilderung in den Versen 19-23
nimmt zwar insofern eine Sonderstellung ein, als sie den Widerspruch
zwischen der Aussage Michas und der der anderen Propheten erklären
soll. Sie muß deswegen jedoch kein späterer Nachtrag sein. Eine
solche Erklärung kann vielmehr schon der ursprüngliche Erzähler
für nötig befunden und gestaltet haben. Der Vf. sieht auch keinen
Widerspruch zwischen der Schilderung des gewaltsamen Todes des
Königs in V. 34ff und der Notiz in V. 40a. Aus der letzteren geht
nicht, wie allgemein angenommen, hervor, daß der König eines friedlichen
Todes gestorben sei. Denn das gleiche Verb (skb) wird auch bei
einem späteren König gebraucht, der einem Mordanschlag zum
Opfer fiel (2 Kön 14,22b).

Diese zurückhaltende Position des Vf. ist durchaus zu respektieren.
Denn ernsthafte Exegese muß darauf bedacht sein, für die durch den
Text gegebenen Probleme eine möglichst einfache Lösung zu finden.
Die Erfahrung lehrt, daß komplizierte Lösungen oft neue und

keineswegs leichter lösbare Probleme mit sich bringen. Bei den soeben
genannten Beispielen kann man freilich fragen, ob die vom Vf.
angebotene Lösung ganz überzeugend ist. Um an der Einheitlichkeit
von 1 Kön 2 festhalten zu können, benötigt er eine recht umständliche
Erklärung, die sich zudem auf kein ausdrückliches Zeichen im
Text selbst berufen kann. Demgegenüber ist die Annahme, daß die
Verse 5-9 (+31b-33.44f) später hinzugefügt wurden, um Salomo zu
entlasten, entschieden näherliegend. Sehr gezwungen ist auch die Interpretation
von 1 Kön 22,40a, da die angebliche Parallelstelle
(2 Kön 14,22b) keine selbständige Aussage bietet, sondern nur dazu
dient, ein anderes Ereignis zeitlich einzuordnen. Auch hier erscheint
es sinnvoller, einen Widerspruch zwischen der Notiz 1 Kön 22,40a
und dem Ausgang der Prophetengeschichte 1 Kön 22,1-38 bestehen
zu lassen und die letztere entweder nicht mit dem gleichen König zu
verbinden oder zumindest in diesem Punkt als nicht historisch anzuerkennen
. Bei der Prophetengeschichte selbst erhebt sich die Frage,
ob der Vf. zu dem gleichen Ergebnis gelangt wäre, wenn er formgeschichtlichen
Überlegungen mehr Gewicht beigemessen hätte, d. h.
Überlegungen zum „Sitz im Leben", zur erzählerischen Gestaltung
und zum Ziel der Darstellung. Bei dieser Betrachtungsweise dürfte
sich keine so einhellige Antwort geben lassen. Der Vf. hat die hier
anstehenden Probleme doch wohl vereinfacht.

Diese Bemerkungen sollen keineswegs die Gesamtleistung des Vf.
diskreditieren. Sie zeigen ja im Grunde nur die Spannung auf, in der
sich alle exegetische Arbeit bewegen muß. Die Methodik und die Ergebnisse
des Vf. sind auf alle Fälle bedenkenswert. Man kann ihm nur
dankbar sein, daß er seine Position so klar, konzentriert und nüchtern
dargeboten hat. Der Kommentierung des zweiten Königsbuches mit
der in Aussicht gestellten Einführung in beide Bücher sieht man mit
Interesse entgegen.

Leipzig Joachim Conrad

Coggins, R. J., and M. A. Knibb: The First and Second Books of
Esdras. Cambridge - London - New York - Melbourne: Cambridge
University Press 1979. XII, 314 S. 8° = The Cambridge
Bible Commentary on the New English Bible.

Zunächst wird hier, in einem der beiden letzten Bände des CBC
(S. V), das in LXX als 1 Esr (Vulg. 3Esr) eingeordnete, nur griechisch
erhaltene Opus übersetzt und erläutert. In 1 Esr sind Partien aus
2 Chr 35f (am Anfang), aus Neh 7f (am Schluß) und vor allem das
kanonische Buch Esra (im Korpus) verarbeitet zu einer Darstellung
der Ereignisse von Josias großer Passafeier (2 Chr 35) bis zur feierlichen
Verlesung des Gesetzes durch Esra (Neh 8,13). An eine andere
semitische Vorlage als die kanonischen Schriften ist nicht zu denken
(abgesehen von der eingefügten Geschichte vom Wettstreit der Pagen
3,1 bis 5,6'). Der Autor (um 100 v. Chr. oder um Chr. Geburt [S. 6])
schreibt indessen keineswegs nur Vorlagen um. Das Opus ist Esra zugeordnet
als dem „Vater des Judentums" (S. 550, als dem großen Gesetzeslehrer
(S. 57). Ihm ist nach 1 Esr die Wiederherstellung des Judentums
zu verdanken, die vom Autor als zusammenhängendes Geschehen
aufgefaßt wird (S. 55). C. weist vielfältig auf die Differenzen
zum geschichtlichen Ablauf hin, die sich von daher in der Erzählung
einstellen. Manche Besonderheiten in 1 Esr ergeben sich weiter dadurch
, daß der Autor religiöse Gegebenheiten und Vorstellungen
seiner Zeit in die Esras zurückträgt.

Einer ganz anderen Literaturgattung gehört das nur lateinisch vollständig
erhaltene 2Esr (Vulg. 4Esr) an, ein Opus, dessen Hauptstück,
die jüdische Esra-Apokalypse (Kap. 3-14), mit aller Wahrscheinlichkeit
von ursprünglich griechisch abgefaßten Partien christlicher
Herkunft eingerahmt wurde. Die Einleitung (Kap. 1 f) betont, daß Israels
Stellung als Heilsvolk die christliche Kirche übernahm (S. 77).
Die Aussageweise ist stark vom Alten Testament beeinflußt, mehrfach
aber auch vom Neuen. Die nach K. Mitte des 2. Jh. geschriebenen
(S. 78) Kap. 1 f bieten mancherlei Belege für die Frömmigkeit des