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Ausgabe:

1982

Spalte:

924-925

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Luecht-Steinberg, Margot

Titel/Untertitel:

Gespräche mit älteren Menschen 1982

Rezensent:

Piper, Hans-Christoph

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 12

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Theologen, die schon heute einflußreich sind und deren Namen wir in
Zukunft noch öfter hören werden.

Reigoldswil Dietrich Ritsehl

Praktische Theologie:
Seelsorge/Psychoiogie

Schulz, Wilfried [Hrsg.]: Seelsorgepraxis. Erfahrungen - Klärungen -
Erkenntnisse. Im Auftrag des Diakonischen Qualifizierungszentrums
hrsg. Berlin: Evang. Verlagsanstalt 1981, 144 S. 8°. Pp
M 6,60.

Abgesehen von lehrhaften Theorieerwägungen war Seelsorge in der
Vergangenheit weitgehend dem Charisma bzw. der natürlichen Begabung
des einzelnen überlassen. Weder während des theologischen Studiums
noch in den Predigerseminaren gab es praktische Ausbildungseinheiten
für Seelsorge. Das gleiche Defizit betraf auch andere kirchliche
Berufe (Fürsorger/-innen der Inneren Mission, Gemeindeschwestern
usw.). Im Zusammenhang der neueren „Seelsorgebewegung" hat
sich diese Situation von Grund auf geändert. Bei großer Offenheit und
Rezeptionsbereitschaft gegenüber den Humanwissenschaften, vor
allem der Psychologie und Psychotherapie, wurden unterschiedliche
praktisch-poimenische Ausbildungs- und Weiterbildungsmodelle
entwickelt, entstanden Organisationsformen und Einrichtungen zu
ihrer Vermittlung. Der vorgelegte Band „Seelsorgepraxis" ist aus der
Arbeit zweier solcher Ausbildungseinrichtungen im Bereich des Bundes
der Evangelischen Kirchen in der DDR, dem Diakonischen Qualifizierungszentrum
Berlin und dem Seminar für Seelsorgeausbildung
der Kirchenprovinz Sachsen in Halle, erwachsen.

Im Vordergrund steht die Arbeit an Gesprächsprotokollcn (Verba-
tims), die vom Seelsorger nach dem Seelsorgegespräch aus dem Gedächtnis
niedergeschrieben und bei Wahrung der Anonymität und
Vertraulichkeit von der Ausbildungsgruppe reflektiert und analysiert
werden. Auf diese Weise empfängt der Seelsorger wichtige Hinweise
über sein Gesprächsverhalten im einzelnen, häufig auch hinsichtlich
der Typik seiner Interaktionen mit dem Seelsorgepartner, die auf
bestimmte Merkmale seiner Persönlichkeit zurückweist. Bei entsprechender
Aufgeschlossenheit und Wiederholung ergibt sich daraus ein
existentieller Lernprozeß mit der Folge seelsorgeförderlicher Einstellungsänderungen
und einem Zuwachs an Gesprächssensitivität.

Der Band enthält elf Gesprächsanalysen, an die sich teilweise prinzipielle
poimenische Überlegungen und Informationen anschließen,
so etwa S. 71-76 Ausführungen zu den Phasen „Nicht-wahrhaben-
Wollen und Isolierung; Zorn; Verhandeln; Depression; Zustimmung
", denen der Seelsorger mehr oder weniger abgegrenzt bei begleitender
Seelsorge von Todkranken und Sterbenden begegnet. Ferner
wurden folgende eigenständige Informationsabschnitte aufgenommen
: „Was fördert, was behindert Scelsorgc?" (S. 102-1 10); „Was ist
für den seelsorgerlichen Dienst erlernbar?" (S. 111-123); „Überlegungen
zur berufsbegleitenden Seclsorgeausbildung" (S. 124-130);
„Über die Unfähigkeit, Leiden anderer zu tragen -Gedanken zu Gala-
ter 6,2" (S. 131-138). Die Beiträge, die im einzelnen nicht mit dem
Verfassernamen gekennzeichnet sind (warum eigentlich?), stammen
von Gisela Fengler, Hans-Dietrich Schneider, Dr. Gerhard Steege,
Günther Steinacker, Dr. Roswitha Wogenstein und Wilfried Schulz.

Die Gesprächsanalysen stehen in ihrer Einfühlsamkeil, Differenziertheit
und dem psychologischen Interpretationsvermögen früheren
Veröffentlichungen dieser Art aus dem deutschsprachigen Raum
(etwa Hans-Christoph Piper, Gesprächsanalysen, Göttingen 1973)
keineswegs nach. Hervorzuheben ist der ohne Niveauverlust gut lesbare
Stil (keine akademische, frcmdwortübcrladcnc Fachsprache),
wodurch der Band der ganzen Breite kirchlicher Mitarbeiter seinen
guten Dienst leisten kann. Der inzwischen stereotype Vorwurf gegenüber
einer pastoralpsychologisch bestimmten Scelsorgc, daß sie sich
in humaner Beratung erschöpfe und die theologische Dimension weitgehend
ausspare, erfährt keine Bestätigung, ja wird geradezu unbe-
müht widerlegt. Wünschenswert wäre möglichst bald ein 2. Band
„Seelsorgepraxis", der durch das andere wesentliche Ausbildungsmittel
„Fallbesprechung" geprägt sein sollte.

Leipzig Manfred Haustein

Lücht-Steinberg, Margot: Gespräche mit älteren Menschen. Göttingen
: Vandenhoeck & Ruprecht 1981. 179 S. 8'. Kart. DM 24,80.

Wie sie im Vorwort schreibt, möchte die Verfasserin anhand konkreter
Beispiele Leitlinien für religiöse Einzelgespräche in der Alten-
seelsorge entwickeln. Diese Leitlinien erscheinen nicht als Regeln für
den Seelsorger, sondern, indem sie vierzehn Gespräche zwischen Seelsorgern
und alten Menschen vorstellt und kommentiert, wird der
Leser hineingenommen in die Interaktion, die sich in den Gesprächen
abspielt, und er bekommt die Möglichkeit, die Befindlichkeit des alten
Menschen und die Schwächen und Stärken des jeweiligen Seelsorgers
nachzu-empfinden.

Das Buch richtet sich in erster Linie an haupt- und ehrenamtliche
kirchliche Seelsorger, kann jedoch auch für Menschen anderer Berufe,
in denen es um Kontakte mit alten Menschen geht, von großem Wert
sein. Die Gesprächsprotokolle entstammen Besuchen in Alten- und
Pflegeheimen, in Allgemcinkrankenhäuscrn und in derGemeinde. Sie
sind in Gruppen Klinischer Seelsorgeausbildung, welche die Verfasserin
supervisiert hat, zum größten Teil besprochen worden.

Bei jeder Besprechung geht es der Verfasserin um eine Darstellung
des alten Menschen in seiner jeweiligen Situation und Befindlichkeit,
und zugleich um die Gesprächsführung des Seelsorgers. Der Seelsorger
begegnet im alten Menschen einem „fertigen" Menschen, wobei
hinsichtlich der Religiosität diese Fertigkeit beinhalten kann, daß der
alte Mensch religiösen Fragen abwehrend, ambivalent, überzeugt oder
auch mit einer tiefen Sehnsucht gegenüberstehen kann. Er wird dabei
öfters auf religiöse Vorstellungen stoßen, die er für sich selber nicht
übernehmen kann. Es kann jedoch nicht Ziel der Seelsorge sein, die
alten Menschen ändern oder sogar bekehren zu wollen. Vielmehr gilt
es, den Alten von seinen eigenen Vorstellungen her einfühlend, deutend
und verstärkend zu begleiten, damit er mit seiner Religiosität
seine Situation besser bewältigen kann und er eine gewisse Klarheit
hinsichtlich seiner religiösen Bedürfnisse bekommt.

Der Seelsorger spürt bewußt/unbewußt, wie er diese so verschiedenen
religionspsychologischcn Konstellationen in seiner Persönlichkeit
erfährt (S. 175). So kann es sein, daß ein Seelsorger für sich selber
bestimmte religiöse Fragen nicht zuläßt (Protokoll 4 und 6) oder daß
er an sich selber Ambivalenzen erlebt und akzeptiert, so daß er sie bei
seinem Gegenüber auch wahrnehmen kann (Protokoll 7) oder daß er
eigene Religion auch in Symbolen erfährt und so in der Lage ist, die
Symbolsprache des Gesprächspartners zu verstehen (Protokoll 12 und
13).

Bei all diesen Gesprächen wählt der Seelsorger bewußt/unbewußt
ein entsprechendes gesprächsmethodisches Verhalten, das je nach
dem Grad seiner Identität als Seelsorger hilfreich oder hinderlich ist
(S. 175). Als negatives Beispiel beschreibt die Verfasserin u. a., wie ein
Seelsorger sich argumentativ-konfronticrend verhält und damit genau
das Gegenteil erreicht von dem, was er bezweckt: Er bekämpft bei
einer Frau ihren fordernden Gott und fordert von ihr, an einen gnädigen
Gott zu glauben. Ein anderer geht vor nach der Methode der Ge-
sprächspsychotherapic und kann durch Aussprechen - Spiegeln der
Gefühle Entlastung bewirken. Die Verfasserin ergreift nicht Partei für
eine bestimmte Gesprächsmethode; sie möchte vielmehr, daß der
Seelsorger sich bewußt wird, weshalb er auf diese und nicht auf andere
Weise agiert oder reagiert, ein Prozeß, der nicht methodisch, sondern
nur in echter Auseinandersetzung mit sich selbst zu bewältigen ist. Sie
weist allerdings darauf hin, daß die Anwendung verschiedener Gesprächsmethoden
für den Gesprächspartner verwirrend sein kann.
Auch macht sie deutlich, daß bestimmte Gesprächsmethoden, wie