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Ausgabe:

1982

Spalte:

916-917

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Der Fall Kueng 1982

Rezensent:

Amberg, Ernst-Heinz

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 12

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weit selbst, ob er seine Arbeit verantworten kann; ganz hat er sich
noch nicht auf Routine und Habitus des Lehrstuhlinhabers eingestellt
; darum bedauert er das „Abdriften des radikalen Reformwillens
in die bloß innerliche Erneuerung" (von Pseudomeditation ist da die
Rede) (S. 9). Aber Theologie könnte ja in den Sog anderer Wissenschaften
geraten, gerade wenn sie ihre Existenz an der Universität verteidigen
möchte, und sich auf diese Weise beliebig anpassen (S. 10).
Deswegen muß seine Einführung inhaltlich sein; sie kann sich nicht
damit begnügen, die Gebiete aufzuzählen oder Methoden, das Studium
zu bewältigen, aufzuzeigen. Damit legt sich eine eigentümliche
Spannung über das ganze Buch. Denn der Verfasser wählt, im Rückblick
auf seine Studienzeit und sein Fragen, die Gottesfrage zum
Schlüssel. Schließt die Gottesfrage ihm die Situation der Theologie
heute auf? An dieser Stelle ist kein ganz klares Ja möglich; denn der
Verfasser befindet sich in einer Absetzbewegung - von einem Ansatz
wie dem Rahners her zu einer Theologie hin, wie sie Barth betrieb.
Noch ist sein Analogiedenken auf dem Hintergrund der natürlichen
Theologie, wie sie in der Hochscholastik entwickelt wurde, zu verstehen
(S.37 - zwischen Gott und uns herrscht bei aller Ähnlichkeit desto
größere Unähnlichkeit, 4. Lateranense). Barth zuspitzend hat Jüngel
zu diesem Satz gesagt, daß vom Christusereignis her desto größere
Ähnlichkeit festzustellen sei. Aber der alte Rahnerschüler fragt, ob
nicht bei seinem Lehrer ein verborgener Systemzwang geblieben sei
(den er auch bei Pannenberg findet, S. 154); er verstärkt diese Vermutung
, wenn er transzendentale Theologie als Theologie im anthropologischen
Interessehorizont beschreibt (S. 1840 und dagegenhält,
daß die biblische Realistik der Kreuzestheologie nicht erlaube, daß
die Rede von Gott, daß die Offenbarung schon vorher in ihrem Rahmen
festgelegt sei (S. 185). Hier findet nun seine Liebe zu Karl Barth
ihren Ort, die aber vermutlich nicht den ganzen Barth meinen kann.
Mit einem seiner frühen Texte hält sie die Theologie für eine Notmaßnahme
(S. 128), mit ihm stellt sie sich in sein Offenbarungsverständnis
(S. 159,172 u. ö.), aber sie meint auch, mit ihm vom Standpunkt des
Kreuzes aus die Bewegung der Neuzeit kritisch in den Blick fassen zu
können (S. 188) - als ob nicht Kreuz und Auferstehung gleichgewichtig
zusammengehörten, das Nein und das Ja, von Gott gegenüber dem
Menschen ausgesprochen. Auf die Offenbarungstheologie Barths ist
also ein starker Akzent lutherischer Polemik gegen die theologia
gloriae gesetzt.

Eichers Versuch, das Thema der Theologie zunächst von der Gottesfrage
, dann aber von der einzigartigen Begegnung Gottes mit den
Menschen in Jesus Christus her aufzuschließen, versetzt sein Theologiekonzept
in ein schon bekanntes Dilemma: Kann dieser Denkprozeß
überhaupt noch Theo-Iogie heißen? Mehrere Momente verstärken
diese Anfrage: In der Neuzeit von Gott zu reden, heißt mit der
Neuzeit reden, die den mächtigen Gott bestreitet; ihr ist der ohnmächtige
Gott der Bibel vorzuhalten (S. 21 ff); kommt hier nicht die ganze
Definitionsmacht von Wissenschaft in eine Krise? Und was dann,
wenn Theologie Wissenschaft sein möchte? Ein weiteres Moment
liegt im Charakter theologischer Theorie, die das Besondere des Begegnens
Gottes im Allgemeinen des Begriffes aufheben möchte
(S. 72ff). Und damit hängt es zusammen, daß Eicher seiner eigenen
Kirche vorhält, daß sie Theologie als die göttliche Praktik selbst
beschrieben habe, mit dem Erfolg, daß Theologie selbst in einen Lehramtspositivismus
ausartete (S. 1120- Hätte das nicht Konsequenzen?
Der Verfasser deutet es selbst an: Die Reichs-Gottes-Botschaft fordere
zeichenhafte Verwirklichung, auch von der Universitätstheologie, die
sich nun über ihre Interessen aufklären müsse (S. 116). Hier ist der
Verfasser vielleicht am deutlichsten vor den Problemen der Neuzeit
ausgewichen, denn ihre technische Verfügungsmacht, ihr Wissen und
ihr Handlungsbegriff sind nun eigentlich nicht mehr „praktisch" (d. h.
in sich wertvoll), sondern „poietisch" (instrumenteil). In dieser Konstellation
genügt es nicht, einfach die „praktischen" Fächer in die
Mitte zu stellen oder auf die Theologie der Befreiung zu verweisen.
Denn wer bewahrt sie vor der Versuchung des instrumentellen
Denkens und Handelns? Im Dialog mit den Menschen der Neuzeit

kann es sicher nicht nur darauf ankommen, der Gesellschaft zu
demonstrieren, „wie wunschlos sie Gott losgeworden ist" (S. 212) und
von der Botschaft des ohnmächtigen Gottes und seiner dem Menschen
zugewandten Liebe her verändernde Praxis einzuführen; nein, es
kommt auch darauf an, die Konstruktion der neuzeitlichen Lebenswelt
, ihrer Technik, ihrer Ökonomie, ihrer Wssenschaften, ihres alltäglichen
Verhaltens von den Grundentscheidungen her durchsichtig
zu machen.

Der Verfasser schreibt anregend, mitunter zu anregend; manchmal
will es scheinen, als liefen ihm die Formulierungen davon (z. B. wenn
der reiche theologische Herbst des Griechentums „verblühte" - S. 55).
Seine Studenten, denen das Buch doch wohl zugedacht ist, sind in
ihrer Selbständigkeit zu bewundern; sie werden von sich aus nachsehen
, wenn sie Namen wie Kuhn, Lakatos, Feyerabend (S. 15) und
viele andere finden. Vielleicht ist das nicht mehr die Normalsituation,
sondern eher die Erfahrung eines kleinen Kreises von Studenten, die
einen Umbruch an der Universität erlebten. Angesichts anderer Bedürfnisse
und einer gewissen Rezeptivität kann es durchaus sein, daß
diese Einführung in das Studium eher den „Gebildeten unter den Verächtern
" zugängig wird. Aberauchdas wäre kein schlechter Erfolg!

Bochum Christofer Frey

Greinacher, Norbert, u. Herbert Haag [Hrsg.]: Der Fall Kiing. Eine
Dokumentation. München-Zürich: Piper 1980. 546 S. 8'. Kart.
DM 19,80.

Bertsch, Ludwig, u. Medard Kehl [Hrsg.]: Zur Sache. Theologische
Streitfragen im „Fall Küng". Im Anhang die Ordnung des
römischen und bischöflichen Lehrverfahrens, mit einer Einleitung
v. H. Heinemann. Würzburg: Echter 1980. 211 S. 8 Kart.
DM 19,80.

Der Fall Küng macht zwar keine Schlagzeilen mehr wie unmittelbar
nach dem 15. Dezember 1979; aber die Beschäftigung mit seinen
Problemen ist auch jetzt noch von Nutzen. In diesem Sinne soll die
folgende verspätete Anzeige zweier Veröffentlichungen aus dem Jahre
1980 verstanden werden. Die Dokumentation „Der Fall Küng" setzt
dankenswerterweise mit der „Vorgeschichte" ein. Es werden Briefe
und Erklärungen aus der Zeit vordem 15. 12. 1979 abgedruckt; außer
von Küng selbst mehrere Briefe von Kardinal Höffner, Kardinal
Ratzinger und Bischof Moser. Der nächste Abschnitt ist überschrieben
„Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis". Hier finden sich die
wichtigsten Dokumente und offiziellen Stellungnahmen zur Entscheidung
vom 15. 12. 1979, darunter mehrer Äußerungen von Küng zwischen
dem 18.12.1979 und dem 18. Januar 1980; insgesamt
35 Texte auf 100 Seiten. Der dritte Teil des Bandes enthält „Stellungnahmen
von Gruppen und Institutionen" in einer bemerkenswerten
Bandbreite vom ORK bis zum Innerschweizer Schriftstcllcrverein.
Teil 4 bringt „Stellungnahmen theologischer Fakultäten und Fachbereiche
" (u. a. aus Holland, USA, Frankreich); insgesamt (nur) 9
Texte. Teil 5 enthält „Stellungnahmen Einzelner". Aufschlußreich
sind hier schon die Überschriften, z. B.: Küng hat zweifellos die kirchliche
Autorität überreizt - Kirche, was tust du mit deinem schwierigsten
Kinde? - Das war kein Heldenstück - Das ist nicht das Ende des
katholischen Frühlings. Der abschließende Teil 6 („Es geht weiter")
enthält wiederum Briefe von Küng, und zwar an den jeweils zuständigen
Minister, Universitätspräsidenten und Bischof sowie zwei Briefe
des Letztgenannten an Küng. Die Lektüre des Bandes bestätigt, was
die Herausgeber mehrfach anmerken: Streitpunkt ist nicht nur die
Unfehlbarkeitsproblematik, sondern besonders auch die Christologic'.

Dies wird noch deutlicher in der ebenfalls hier anzuzeigenden Veröffentlichung
„Zur Sache. Theologische Streitfragen im .Fall Küng'".
Sieben katholische Theologen (neben den Herausgebern noch Johannes
Beutler. Alois Grillmeier, Peter Hünermann, Klaus Schatz,
Hermann-J. Sieben), zumeist Professoren an der Jesuitcnhochschulc
St. Cieorgen, behandeln vor allem christologischc, hermcncutischc
und ekklesiologische Sachfragen im Zusammenhang mit dem Fall