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Ausgabe:

1982

Spalte:

912-914

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Schachten, Winfried H.

Titel/Untertitel:

Ordo salutis 1982

Rezensent:

Wendelborn, Gert

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 12

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bestimmte - steht hier nicht zur Debatte. Jedenfalls liest er sich, zusammen
mit dem folgenden zweiten Teil, am lebendigsten. Hier
werden dann die verschiedenen Lösungsversuche von Hengstenberg,
Vilmar, Fabri, Beyschlag, Schenkel, v. Scheurl, Mejer, Friedberg,
Hinschius, v. Hoffmann, Dorner, E. Herrmann, J. v. Hofmann,
Kliefoth, v. Harleß u. a. - eindeutig aus unionssympathischer Sicht! -
geschildert (S. 43-236).

Während die folgenden zwei Hauptteile die Synodalverfassungsdis-
kussionen und Bismarcks Kirchenpolitik mit rein historischer Relevanz
diskutieren und damit aus so langer Distanz eher zum Einschlafen
einladen, weil die konkrete Umsetzung auf regionaler Ebene
naturgemäß nicht an die schöpferischen und kämpferischen Positionen
der genannten theologischen Prominenz heranreicht, ist doch zu
fragen, ob nicht eine geschicktere Gliederung hätte gewählt werden
können, um die von Klaus Scholder schon im Vorwort als neu
gerühmte These seines Schülers schlagend zu beweisen, daß „die Entscheidungen
über die endgültige verfassungsrechtliche Gestalt der
preußischen Kirche nicht erst nach dem Deutsch-Französischen
Krieg in der Zeit des Kulturkampfes gefallen (sind), sondern schon
zwischen 1866 und 1872" (S. V).

Sicher ist es eine längst überholte, aber nie derart ausführlich widerlegte
These, die auf die ehemalige Glorifizierung des IL Deutschen
Kaiserreichs unter den Hohenzollern selbst zurückgeht, daß die gänzliche
Neuordnung aller Dinge und somit auch der evangelischen Kirche
erst nach Beendigung des Deutsch-Französischen Krieges durch
den „Schöpfer" dieses Reichs, Bismarck, vollzogen wurde. Aber
ebenso bekannt war bisher schon, daß die innerkirchlichen theologischen
Diskussionen um deren äußere Form in den ersten 70 Jahren
des 19. Jh. wesentlich fruchtbarer waren. Auch scheint die Markierung
des Grenzjahres 1872 wenig überzeugend, nach welchem Jahr
Bismarck durch die Ablösung seines Kultusministers v. Mühler durch
Falk sich nur noch der Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche
im Kulturkampf widmete und seine Neuordnung der evangelischen
damit abgeschlossen gewesen wäre.

Die Diskussionen pro et contra Union in ihren noch vollblütigen
theologischen Schattierungen und zeitlichen Phasen, ihren regionalen
Besonderheiten und kirchenpolitischen Akzenten sind darum nicht
nur als Vorgeschichte abzutun.

Das unbestreitbare Verdienst des Vf. bleibt es, den kirchcn-
politischen Konsequenzen des preußischen Sieges von Königgrätz für
jedes von Berlin daraufhin annektierte und beeinflußte Gebiet vollständig
nachgegangen zu sein. Dabei weist er auch zu Recht auf die
noch bestehende Lücke hin (S. 426), daß sich noch keine Studie mit
der „Kriegstheologie" dieses innerdeutschen Kriegs von 1866 befaßt
hat, während sich längst nicht nur einzelne Studien, sondern eine
ganze Literaturgattung der Theologie der folgenden deutschen Kriege
von 1870 bis 1945 bemächtigt hat. An Besiers Thema müssen heute ja
alle noch bestehenden deutschen Landeskirchen historisch interessiert
sein, baut doch ihr Bekenntnisstand, ihre jeweilige Verfassung
noch immer auf den vor einem Jahrhundert geäußerten Kampfstellungen
. Diskussionen und erstrittenen Positionen auf und niemand ist
es bisher in den Sinn gekommen, einmal das kirchliche „Fußvolk"
heute in Ost und West zu fragen, wie es zu jenen kirchenpolitischen
Errungenschaften des 19. Jh. steht.

Basel Karl Hammer

Thadden, Rudolf v.: I raRin an Preußen. Zur Geschichte eines aufgehobenen
Staates. München: Beck 1981. 193 S., 6 Ktn 8 Lw.
DM 28,-.

Wiewohl aus der Feder eines Profanhistorikers stammend, hat das
Buch auch in kirchengeschichtlicher Hinsicht Relevanz. Ursprünglich
eine populäre Vortragsreihe, setzt sich der Verfasser in klarer, eingängiger
Diktion wohltuend unkompliziert mit dem Phänomen
„Preußen" auseinander. Unter der Benutzung von sieben formulierten
Fragen wird zuerst der zeitlichen und räumlichen Begrenzung
nachgegangen (S. 11-24 bzw. 38), sodann in zwei Kapiteln das an
Preußen Typische reflektiert (S. 39-65), außerdem die „Deutschheit"
(S. 67-105) und die Preußenrezeption heute (S. 145-158) erörtert und
schließlich zwischenhinein, in ihrer Ausführlichkeit fast den Rahmen
sprengend, auch die Frage abgehandelt: „Wie war Preußens Kirche?".

Bekanntlich weckt diese Frage schon deshalb Erwartungen, weil es
eine brauchbare Darstellung von Preußens Kirchengeschichte bislang
nicht gibt und jeder selbst auf mehr oder minder geglückte eigene Entwürfe
angewiesen ist. In der Folge dann werden diese Erwartungen
nicht enttäuscht: Es wird eine ausgesprochen anregende Studie geboten
. Natürlich mag man Einwände haben. So ist die Studie gewiß zu
einseitig verfassungsgcschichtlich orientiert (die zufällig gleichlaufende
Lektüre einer sehr plastischen Darstellung der Kirchengeschichte
Brandenburgs unterstrich diesen Eindruck). Oder beispielsweise
wird zwar die Bedeutung der Reformzeit reflektiert, dann aber
die vielfache Ausstrahlungskraft der Befreiungskriege und dieselbe in
das weitere Jahrhundert hinein gar nicht bedacht. Das - übernommene
- Urteil im Blick auf die Kriegspredigt von 1914-1918 wirkt in
seiner verwendeten Kürze noch pauschaler als sonst. Und einige
Striche mehr, etwa was das innere Auswandern aus der Staatskirchc
gegen Ende des Kaiserreiches hin betrifft, hätte man sich vielleicht
auch gewünscht. Aber auch das ist nun geltend zu machen: Alle diese
Detailkritik - sie läßt sich auch in den anderen Kapiteln anbringen - soll
und kann das Verdienst dieser Publikation keinesfalls einschränken.

Bewußt und in Anlehnung an Hegel (S. 110 verwendet der Vf. zur
Kennzeichnung der Geschichte Preußens dreifach das Wort „aufgehoben
". Zunächst ist der preußische Staat „aufgehoben" in dem
Sinne, daß er abgeschafft wird durch Gesetz des Alliierten Kontrollrates
1947. Überdies meint „aufgehoben" aber auch: auf eine andere
Ebene gehoben, nämlich die des ehemaligen Deutschen Reiches. Und
drittens bedeutet „aufgehoben": aufbewahrt, d. h. Preußen als „un-
verdrängbarer Teil der Geschichte in unserem historischen Bewußtsein
". Fast möchte man das Wortspiel fortsetzen und hinzufügen:
„aufgegeben". Wer sich mit dem 19. Jh. oder auch mit kirchlicher
Zeitgeschichte beschäftigt, weiß, wie vielfältig und teilweise ungut das
Erbe Preußens in der evangelischen Kirche sich bis auf den heutigen
Tag auswirkt. Die in diesem Zusammenhang vermittelten zahlreichen
kritischen Einsichten dankt man dem Vf. ebenso wie überhaupt seine
Art, sich beherzt einer schon lange anstehenden Problematik zugewendet
zu haben.

Leipzig Gerhard Graf

Dogmen- und Theologiegeschichte

Schachten, Winfried H. J.: Ordo Salutis. Das Gesetz als Weise der
Heilsvermittlung. Zur Kritik des hl. Thomas von Aquin an Joachim
von Fiore. Münster/W.: Aschendorff 1980. VIII, 234 S. gr. 8' = Beiträge
zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters
. N. F., 20. Kart. DM 65,-.

Nach seinen Studien über Bonaventura („Intellcctus Verbi. Die Erkenntnis
im Mitvollzug des Wortes nach Bonaventura", Freiburg-
München 1973) und Joachim von Fiore („Trinitaset Tempora. Trini-
tätslehre und Geschichtsdenken Joachims von Fiore", Freiburg 1975)
legt W. Schachten nunmehr seine Freiburgcr katholische Habilitationsschrift
über das Verhältnis des Aquinaten zu Joachim vor. Dem
Vf. gebührt wegen seiner sauberen, in sich stimmigen, begrifflieh und
gedanklich präzisen Beweisführung unser Dank.

Vf. ist erfolgreich um den Nachweis bemüht, daß Thomas mit
seiner Lehre vom Gesetz dem kajabresischen Abt seine korrigierende
Antwort erteilte, wie Bonaventura dies mit seiner Lehre vom Wort
getan habe. Er will nicht die gesamte Gesetzeslehre des Aquinaten
analysieren, braucht dies auch nicht zu tun, da er an die weithin
beachteten Forschungsergebnisse von U. Kühn. Y. Congar und