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Ausgabe:

1982

Spalte:

903-905

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Pastor Ramos, Federico

Titel/Untertitel:

La libertad en la Carta a los Gálatas 1982

Rezensent:

Nagel, Walter

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 12

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jedoch sind kritische Fragen entgegenzustellen: Die Ortsbestimmung
ist hier voll abhängig von der Annahme, daß die „behördliche Machtstellung
" der Juden nach Johannes „nur" unter Agrippa II. denkbar
sei. Doch ergeben die für Johannes hier zu nennenden Sachverhalte
(vor allem die Stellen über den Synagogenausschluß, die pharisäischen
Verhöre und Verhaftungskompetenzen) ein Bild, das auch
außerhalb des Königreichs Agrippas II. denkbar ist, überall dort nämlich
, wo jüdische Gemeinden nach 70 wieder eine begrenzte eigene
Rechtskompetenz (etwa im Sinne von Apg 18,150 haben. Auch das
Töten von Ketzern (Joh 16,2) durch Lynchjustiz muß nicht „nur da
möglich" sein, wo es behördlich toleriert wird (S. 51). Die Ortsbestimmung
von Wengst beruht hier auf einer so kaum haltbaren Annahme.
Nun wird man jedoch auch wenn man die vorliegende geographische
Einordnung für problematisch hält, Wengst zustimmen können, daß
der Konflikt um den Synagogenausschluß die johanneische Gemeinde
schwer bedrängt. Ob allerdings die Kritik an Bultmanns und Käsemanns
Sicht der johanneischen Theologie mit dem Hinweis auf diese
Situation der bedrängten Gemeinde, wie Wengst es will, geleitet
werden kann, ist zu fragen. Die entscheidende Vorentscheidung, die
Wengst trifft, ist die, daß der Kosmos für Johannes „konkret aus Juden
bestand" (S. 38). Damit entfällt für Wengst das Problem des johanneischen
Dualismus. Daß die Welt den Logos nicht erkannt hat, besagt
dann nur, daß Christus auf Betreiben von Juden getötet wurde und
daß in der Gegenwart der Gemeinde Bedrückung durch Juden zur
Überlebensfrage geworden ist. Unerklärt bleibt bei Wengst, warum
das Johannesevangelium aus solchen Erfahrungen die Konsequenz
zieht, daß der Kosmos den Logos nicht erkannte. Die Kritik an Käsemann
ist zudem dadurch unüberzeugend, daß Wengst annimmt,
Käsemanns Vorstellung von „naivem Doketismus" sei, daß Jesus
nach Johannes kein wirklicher Mensch war; die vorliegende Abweisung
Käsemanns (S. 1000 ist darum wirkungslos.

Es ist zu hoffen, daß die Fragestellung dieser Arbeit - vielleicht
sogar wegen der Angreifbarkeit ihrer Ergebnisse - in Zukunft verstärkt
aufgenommen wird.

Mainz Luise SchottrofT

Pastor Raums Federico: La Li hört ad en la Carla a los Galatas.

Madrid: EAPSA 1977. 344 S. gr. 8' = Publicaciones de la Universi-
dad Pontificia Comillas. Kart, ptas 860.

Mit dem Titel „Die Freiheit im Brief an die Galater" wird eine umfangreiche
exegetisch-theologische Studie vorgelegt, die den ganzen
Brief unter den Stichworten „Freiheit durch Befreiung" neu zu verstehen
und auch die Heilstheologie des Paulus in seinen anderen Briefen
einzubeziehen sucht. Dieses Programm wird in zwei Hauptteilen „Die
Texte über die Freiheit" (textkritisch und exegetisch, S. 51-173) und
„Theologischer Inhalt der Freiheit vom Gesetz (systematisch,
S. 177-328)" entfaltet. Ein detailliertes, aber das fehlende Stichwortverzeichnis
bei weitem nicht ersetzendes Inhaltsverzeichnis und ein
gewichtiges Literatur-Verzeichnis sind vorangestellt. Ein umfangreiches
Register der Bibelstellen, das nach dem Zuschnitt der Vulgata
auch die Apokryphen nennt, der Rabbinica und endlich ein ausführliches
Namensverzeichnis, das von Aristoteles bis Zimmerli reicht,
erleichtern die Arbeit an dieser Studie.

Es überrascht, daß der ganze Gal unter dem General-Thema „Freiheit
durch Befreiung" gelesen werden soll. Die deutschen Standard-
Kommentare, z. B. Oepke, Schlier und Mussner- vom Vf. fleißig eingesehen
- wenden ihr Augenmerk dort auf die Freiheit, wo es durch
den Text unmittelbar gebot« ist. Indes dürften die Situation und
damit die Aufgaben des spanisch-schreibenden katholischen Theologen
zum Thema Freiheit ein ganz anderes Engagement verlangen.

Der Vf. weiß, daß die Freiheit ein „suspektes Problem" ist (S. 250-
Es tangiert alle Bereiche des christlichen, jüdischen und heidnischen
Lebens. Sie ist eine totale menschliche Funktion (generalidad y abso-
lutez de esta Libertad, S. 121. 122.229). Dieser Definition kommt es

entgegen, daß sie „leicht einsehbar ist" und in den jedermann zugänglichen
Bereich der Soziologie gehört (experiencia socia-politica,
S. 272). Der Vf. ist bemüht, immer wieder bis zum Schluß der Studie
diese Freiheit zu definieren.

So sehr er bereit ist, seinem Begriff die tragende Rolle im menschlichen
Leben nicht nur der Galater zuzubilligen, so schnell muß er
anhand des Textes vom Gal gravierende Einschränkungen machen.

Er stellt sich gegen jede „vulgäre und irrtümliche Ausweitung" der
Freiheit (S. 158). Sie darf nie als „absolute Freiheit" mißverstanden
werden (S. 234). Die entscheidende Eingrenzung ist jedoch, daß sie nie
durch das Naturrecht oder die Vernunft, sondern nur durch Christus
erlangt werden kann, der durch Tod und Auferstehung „befreit hat
und befreit wurde" (S. 70-74). Die im Gal im Vordergrund stehende
Freiheit vom jüdischen Ritualgesetz ist nur ein Teil derselben und
wird aufgrund einer vorausgehenden, weiteren, größeren und das
denkbare Maß überschreitenden Freiheit gewährt (S. 121. 122. 150).

Sie wird realisiert, wenn sie zu einer „Knechtschaft in der Liebe"
wird (S. 160-162). Nur wer liebt, ist wirklich frei. Anstelle des Egoismus
tritt eine Knechtschaft durch die Liebe. Damit wird die in der
Umwelt des Vf. gesuchte Freiheit dialektisch letzten Endes ab absurdum
geführt und aufgehoben.

Eine weitere Einschränkung bedeutet es, daß auch diese nur noch
dialektisch faßbare Freiheit nicht dem einzelnen übertragen ist, sondern
der Kirche, der Gemeinschaft (comunidad, S. 321-328). Freilich
geschieht diese Übertragung der Vollmacht und des Tuns an die Kirche
durch eine etwas gewaltsame ty0ologische Auslegung von Gal
4,25-27; wie auch sonst dem Vf. der Umgang mit dem hermeneuti-
schen Werkzeug wie Symbol, Allegorie, Parenthese, zweite Linie der
Typologie, Figura usw. nicht immer gelingt (vgl. S. 110-119.188).
Hierin liegt es wohl auch begründet, daß die Grenzen zwischen schart
biblisch orientierten Gegebenheiten und allgemein menschlich vor-
findlichen Gegebenheiten, z. B. dem Gesetz, dem Leser nicht immer
erkennbar werden. Generell ist zu bemerken, daß nicht die Kirche am
Ende Rede und Antwort stehen muß, sondern der einzelne. Vielleicht
rächt es sich, daß der Vf. den Evangelien fast ganz aus dem Wege geht,
sonst vgl. Gal 6,4.

Die weitgespannten Überlegungen des Vf., ob die Freiheit vom jüdischen
Gesetz bereits die Freiheit von der Sünde nach sich zieht, wie
weit der Alte Bund mit dem Neuen Bund abgetan und doch heilsnotwendig
ist, seien hier lediglich angedeutet (S. 126-130. 183). Er geht
diesen legitimen Überlegungen nach, weil ihm die Freiheit die einzige
reale theologische Möglichkeit ist, gleichermaßen an das AT wie an
das NT heranzukommen (S. 193.234).

Diese Überlegungen sind für den Leser so interessant, weil die
anderen, eigenständigen Termini der Heils- und Gnadenlehre des
Paulus, also Rechtfertigung, Rettung, Gotteskindschaft unter der
Sammelbezeichnung „Freiheit" ihre eigentliche Aussage verlieren
sollen. Auch der ganze Komplex der Heilsmittel und des Heilsziels
wird praktisch ausgeklammert.

Die Rechtfertigung ist durch „mehr soziale Freiheit" zu umschreiben
(S. 178-208)! Die Freiheit ist der zentrale paulinische Ausdruck
und beansprucht, an die Stelle der Rechtfertigung zu treten, und das
ganz besonders im laufenden Vergleich mit dem Römerbrief (S. 271).

Die Überziehung des vom Vf. mit vorbildlicher Akribie und großer
Vehemenz beschriebenen Begriffs ist offenkundig. Man sollte die Terminologie
des Paulus lassen, wo sie ist und wie sie ist. Ein für den Vf.
wohl typischer Fehler ist die Ersetzung von „errettet" (Gal 1,4) - so
auch der griechische und der Vulgata-Text - durch „befreien" (librar)
aufS. 179.

Man wünschte sich über diese Kritik hinaus eine genauere Auskunft
, wie der Vf. die Gleichstellung oder Gleichsetzung der heidnischen
Riten (Gal 4,8-11) mit dem mosaischen Gesetz verstanden wissen
will (S. 215). Gleichfalls ist eine Auskunft erwünscht, warum er
die ganze Diskussion über das Ritualgesetz nicht am Namen des
Petrus bzw. Kephas orientiert hat. Die Gültigkeit eines Gesetzes wird
ja immer durch eine präsente, mindestens lebende und bekannte Per-