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Ausgabe:

1982

Spalte:

883-885

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Campbell, Joseph

Titel/Untertitel:

The mythic image 1982

Rezensent:

King, Ursula

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Seite 1, Seite 2

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883

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 12

884

Religionswissenschaft

Campbell, Joseph: The Mythic Image, ass. by M. J. Abaide. Prince-
ton: Princeton University Press 1981. XIII, 552 S., 421 Abb. u. Taf.
4' = Bollingen SeriesC.S 19.95.

Der amerikanische Gelehrte Campbell arbeitet auf dem Gebiet der
vergleichenden Literaturforschung und ist vor allem durch seine
vielseitigen Studien mythologischer Motive und ihrer bildlichen Darstellungen
in verschiedenen Kulturen bekannt geworden, die in mancher
Hinsicht gewisse Arbeiten Heinrich Zimmers weiterführen, dessen
Nachlaß Campbell ja auch in mehreren Werken herausgegeben
hat. So überrascht es nicht, in diesem Alterswerk des großen Gelehrten
gewisse Themen wiederzufinden, die schon bei Heinrich Zimmer
angedeutet sind oder auch manche Abbildung verschiedener Kunstwerke
zu entdecken, denen man schon in Campbells früheren Veröffentlichungen
begegnet ist.

Diese vielschichtige Untersuchung über ,Das mythische Bild' kann
sicherlich als eine Art Summa des Campbellschen Denkens betrachtet
werden. Es ist von ganz bestimmten Themen durchzogen, die immer
wieder angedeutet oder mehr oder weniger klar beschrieben werden,
sich jedoch nirgendwo voll entwickelt und im einzelnen durchargumentiert
finden. Diese Themen sind von bestimmten tiefenpsychologischen
Erkenntnissen abhängig, die einfach vorausgesetzt, aber nirgendwo
in Frage gestellt werden. So beginnt das Buch mit der Feststellung
, daß Mythen die Natur des Traumes teilen; Mythen wie Träume
entspringen einer dem wachenden Bewußtsein unbekannten Innenwelt
und deshalb öffnen Träume das Tor zur Mythologie. Die schöpferische
Bildgestaltung der Psyche und der vielfältige Reichtum
mythischer Bilder und Formen mögen zwar eng miteinander verwandt
sein, doch ist es ein großer Schritt, auf diese Verwandtschaft
gestützt die ganze Welt als Traum zu beschreiben, wie es hier im
1. Kapitel geschieht, wo unter anderem das Bild des schlafenden
Vishnu im Mittelpunkt steht, aber auch so verschiedene Gestalten wie
Isis und Osiris, die tibetanische Tara und die Madonna als bedeutende
Motive behandelt werden.

,Die Idee einer kosmischen Ordnung' kommt im 2. Kapitel zur
Sprache und wird zuerst im Hinblick auf mündliche Überlieferungen
und Volkstraditionen und anschließend in den großen Hochkulturen
und Schriftreligionen untersucht. Hier werden der kosmische Weltberg
, die heilige Ordnung von Raum und Zeit und die Bedeutung des
Kalenders sowie die Suche nach einer alles verwandelnden Mitte konkret
erörtert. Hier, in einem der längsten Kapitel des ganzen Buches,
kommt zum erstenmal Campbells Diffusionstheorie der alten Hochkulturen
zum Ausdruck, auf die er auch an anderen Stellen immer
wieder anspielt. Gestützt auf die Untersuchungen James A. Fords und
Robert Heine-Gelderns argumentiert Campbell vor allem für chinesische
sowie hinduistisch-buddhistische Einflüsse auf die Motive und
Formen mittelamerikanischer Kulturen, doch wird auch die Verbreitung
bestimmter Elemente anderer Kulturen erwähnt. Die Dokumentation
bildlicher Parallelen und Tafeln, welche die Verbreitung
bestimmter Figuren graphisch darstellen, ist äußerst beeindruckend
und regt sehr an, viele gedankliche Verbindungen zu knüpfen, doch
kommt man zu dem Schluß, daß dem Leser nicht genügend historische
Einzelheiten vorgelegt werden, um sich ein klares, definitives
Urteil über die Diffusion bestimmter Mythen und Motive zu
bilden.

Den Mangel einer klaren, logischen Entwicklung bestimmter Argumente
bedauert man noch mehr in dem viel kürzeren 3. Kapitel, das
mit dem Titel „Der Lotus und die Rose" nach der Meinung seines
Verfassers „gewisse bedeutende Unterschiede zwischen östlichen und
westlichen Anwendungen und Interpretationen" der Mythen illustriert
und diskutiert (S. XI), aber trotz seiner schönen Bilder aus der
hauptsächlich gotischen und asiatischen Kunst fast auf dem oberflächlichen
Niveau der Anekdote hängen bleibt und textlich wenig
aussagt.

Campbell betrachtet das 4. Kapitel, das den .Verwandlungen des
inneren Lichtes' gewidmet ist, als den Höhepunkt seines Buches. Es ist
sicherlich eines der am besten integrierten Abschnitte, da es weniger
von Thema zu Thema schweift und sich stattdessen ganz auf die
Besprechung der verschiedenen Yogastufen konzentriert. Doch
wird der Haupttext wie überall im Buch immer wieder von Bildkommentaren
unterbrochen. Die Bildparallelen vieler Yogapositionen in
anderen Kulturen sind wiederum recht erstaunlich, doch kann man
daraus keineswegs auf einen direkten Einfluß schließen. Hier wie
anderswo fragt sich Campbell nie, ob gewisse ähnliche Gesten der
Skulptur vielleicht weniger von abstrakten Ideen oder mythologischen
Motiven beeinflußt und stattdessen mehr von der Ähnlichkeit
der Werkzeuge des Künstlers oder von der Sprödigkeit des Materials
in ihrem Parallelismus mitbestimmt worden sind. Dieses völlige
Übersehen der großen Bedeutung materieller und sozialer Bedingungen
im Entstehen der Kulturen und im künstlerischen Schaffen
zugunsten einer einseitigen Isolierung mythologischer Motive ist
m. E. einer der größten Nachteile des Buches.

Das 5. Kapitel untersucht verschiedene Darstellungen des Opfers,
vor allem des Selbstopfers Gottes in ganz unterschiedlichen Kulturen
und ist sachlich eigentlich wenig mit dem vorhergehenden Material
verbunden. Das Schlußkapitel über ,Das Erwachen' ist äußerst kurz,
eigentlich nur ein Nachwort, welches das Traummotiv des Eingangskapitels
wieder aufnimmt und auf den Mythos als Traum und Leben
hinweist und mit der Frage endet, was uns heute vom Mythos bleibt:
„Welches ist der Traum, den wir träumen und der uns heute träumt?
Welcher Art war das Erwachen der Renaissance, das Tizians Gemälde
und Shakespeares Dichtung inspirierte, einen Galileo, einen Newton
und unsere Astronautenflüge zum Mond hervorbrachte?" (S. 497).
Das Buch endet mit einem Photo des Erdballs, das von Apollo 8 auf
dem Flug zum Mond aufgenommen worden ist.

Meine kurze Inhaltsangabe hat dem Leser wohl schon vermittelt,
wie impressionistisch und anekdotenhaft dieser Band über das mythische
Bild ist. Er liest sich wie ein großes Bilder- oder Geschichtenbuch
, das eine seltene Fundgrube ikonographischer und literarischer
Motive darstellt. Es ist vor allem die starke Ausdruckskraft dieser,
vielen sicherlich unbekannten Bilder, die den Hauptwert und die Faszination
dieses Buches ausmachen. In der vergleichenden Betrachtung
dieser Bilder kann der Leser sich an dem vielfältigen Reichtum bildlicher
Formen erfreuen, während die Gedankenfolge des Textes
manches zu wünschen übrig läßt. Die Hauptthemen des Buches sind
die Traumqualität der Welt, die grundlegende mystische Einheit der
menschlichen und kosmischen Mitte, deren Hauptmodell in der Integration
des Yoga zu finden ist, und die symbolische sowie psychologische
Bedeutung der Mythen und ihrer Bildformen. Doch wird dieser
Symbolismus nie näher erörtert und analysiert. Die differenzierten
hermeneutischen Stufen der Bildinterpretation, der Ikonographie
sowie der Ikonologie, werden nicht einmal erwähnt und die Möglichkeit
ganz anders ausgerichteter Interpretationen des von Campbell
vorgelegten Bildmaterials kommt nicht einmal am Rande zur
Sprache. Außerdem muß man feststellen, daß trotz der großen Auswahl
der Bilder eigentlich kaum Mythen oder bildliche Formen aus
dem Islam, Judentum, den afrikanischen Religionen oder dem fernen
Osten mitberücksichtigt werden, von wenigen Ausnahmen abgesehen.
Der Schwerpunkt des Bandes liegt eindeutig auf indischem Material
sowie Beispielen des Christentums, der klassischen westlichen Antike,
einiger Stammesreligionen und mittelamerikanischer Kulturen.

Das Fehlen theoretischer Reflexionen und systematischer Analysen
ist zu bedauern, denn die Produktion des Buches ist von hoher Qualität
. Die Quellen aller Abbildungen und Tafeln sind am Ende des Bandes
angegeben, wo auch ein Register der behandelten Themen und
Motive zu finden ist. Doch ist leider kein Literaturverzeichnis der im
Text und in den Anmerkungen erwähnten Sekundärliteratur vorhanden
. Der vorliegende Band ist die Taschenbuchausgabe eines im Jahre
1974 zuerst veröffentlichten und 1975 mit Verbesserungen gedruckten
Werkes. Obwohl das Format reduziert ist, bleibt der Band mit der